Kolumne Das Tuch: Die Pressesprecherinnen des Islam
Frauen, die das Kopftuch ablegen, haben es in der muslimischen Community schwerer als solche, die es nie getragen haben.
A uf einer Geschäftsreise in Europa will es die ägyptische Journalistin Nadia El Awady endlich einmal ausprobieren: das Leben ohne Kopftuch. Nach Jahren nimmt sie es zum ersten Mal in der Öffentlichkeit ab. Sie läuft durch die Straßen und wartet auf eine Reaktion. Nichts passiert. „War ich immer so unsichtbar?“, fragt sie sich. Und während die Menschenmassen an ihr vorbeiströmen, fühlt sie, dass sie in der Masse untergetaucht ist – eine von vielen.
Es war ein komisches Gefühl, als ich ein weiteres Mal auf einem sozialen Netzwerk Bilder einer Freundin ohne Kopftuch entdeckte. Für alle sichtbar, öffentlich. Sie hatte das Kopftuch abgelegt, wie so viele andere in meinem Bekanntenkreis in den vergangenen Jahren. Wie würde man auf sie reagieren? Denn genauso wie viele in der muslimischen Community den Kopftuchtragenden „Religiosität“, „Spiritualität“ oder „Reinheit“ zuschreiben, verkehrt sich das bei einer Frau, die das Kopftuch ablegt ins Gegenteil. Weit mehr als bei einer Frau, die noch nie ein Kopftuch trug. So als ob sie mit dem Kopftuch auch dem Islam und der Gemeinschaft den Rücken gekehrt hätte. Sie gehört nicht mehr dazu. Selbst wenn niemand über sie spricht, ein stilles Urteil ist gefällt.
Es gibt Frauen, die das Kopftuch ohnehin nie tragen wollten, die dazu – offen oder subtil – gezwungen worden sind. Oder die sich so weit geändert haben, dass der Islam und das Kopftuch keine Rolle mehr in ihrem Leben spielen. Andere Frauen empfinden das Kopftuch als Einschränkung. Das Ablegen ist eine Befreiung für sie.
ist Bloggerin, Journalistin und taz-Kolumnistin.
Für meine Freundin A. war es eine Qual. Nach etlichen Job-Bewerbungen, nach eben so vielen Absagen, nach Monaten der Perspektivlosigkeit, nachdem man ihr wiederholt in Bewerbungsgesprächen dazu riet, das Kopftuch doch bitte abzunehmen, nach einer großen inneren Krise, nachdem sie sich zu schwach fühlte, um die Blicke und den permanenten Druck, sich beweisen zu müssen, auszuhalten, legte sie es ab. Unfreiwillig. Und doch, obwohl sie die Gleiche war, ebenso spirituell und muslimisch wie zuvor, war sie es nicht mehr in den Augen anderer.
S. hingegen hatte einen ganz anderen Grund: die Politisierung des Kopftuchs, die Bilder und Vorstellungen, die mit dem Kopftuch verbunden sind. „Ich war nur noch damit beschäftigt, den Islam zu verteidigen. Ich habe nur noch außen hin gearbeitet und dabei meine Spiritualität verloren.“ Um sich wieder näher und tiefer mit ihrer Religion zu beschäftigen, ohne von außen daran gehindert zu werden, ohne eine konstante Unruhe zu spüren.
Ja, die Politisierung des Kopftuchs durch die Außenwelt, hat die Trägerinnen zu Anwältinnen und Pressesprecherinnen des Islams gemacht, die sich unfreiwillig und unbewusst diesem Bild fügen. Und tatsächlich besteht hier die große Gefahr, das Eigentliche zu vergessen: den Glauben.
Heute ist S. religiöser als zu der Zeit, in der sie noch ein Kopftuch trug. „Wenn ich mich wieder bereit dazu fühle, stark genug bin, werde ich es vielleicht bald wieder tragen. InshAllah – so Gott will.“
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