Kolumne Das Schlagloch: Euphorisch überspannte Hingabe
Je tiefer die gesellschaftlichen Klüfte, desto mehr betont Israel seine kollektive "Einheit" - in Werbespots zum Beispiel.
Im israelischen Fernsehen ist in den letzten Wochen der Werbespot einer Bank zu sehen, die sich als israelische "Bank der Staatsbeamten" ausgibt. Höhepunkt des Reklamefilms: Eine schier unüberschaubare Masse von Funktionsträgern im öffentlichen Dienst - in vorderster Linie uniformierte Polizisten und Polizistinnen, unter denen sich eine besonders lebensfreudige Dame mit anzüglichen Schwenkungen ihres imposanten Oberkörpers hervortut - bewegt sich in choreografiertem Gleichschritt und singt aus vollem Halse und in chorgefestigter Einheitlichkeit ein Loblied auf die Bank, die schon immer die Bank der israelischen Staatsbeamten gewesen sei und es auch immer bleiben werde.
Das lauthals hymnisierende Einheitskollektiv ist von ungezügelter Freude und Begeisterung erfasst. In einem anderen Spot, oft dem der Bank folgend, ist eine Unmasse von Menschen am Strand zu sehen, die, von einem Reporter befragt, in einheitlichem Ton und uniformer Gestik eine Klimaanlage skandierend lobpreist. Anders als bei der Bank, aber nicht minder suggestiv, herrscht auch in diesem Werbefilm eine kollektiv-ekstatische Stimmung, der herdenmäßige Überschwang einer konsumberauschten Gemeinschaft.
Beim bloßen Anblick der euphorisierenden Bankwerbung mag einem die tiefsinnige Brechtsche Gehässigkeit in den Sinn kommen, was schon der Einbruch in eine Bank sei, gemessen an deren schierer Gründung. Diese Einsicht beansprucht freilich Allgemeingültigkeit und bezieht sich gewiss nicht allein auf besagte israelische Bank. Auch die lebensbejahende Hochgestimmtheit des Werbesongs ist nicht nur diesem spezifischen Spot eigen.
Das macht ja das Manipulative der standardisierten Werbung aus: dass sie das Pathos vollkommen austauschbar einsetzt - egal, ob das neuerworbene Haus, die Effektivität des Waschmittels oder der "taste of life" des leichten Getränks beworben wird, stets wird die hollywoodeske musikalische Kodierung klischierter Lebensbeglückung und stereotypisierten Alltagsrausches verwendet, der sich jedes der angepriesenen Produkte unterzuordnen hat.
Das israelisch Eigentümliche beider Werbespots schlägt sich im szenischen Mittel der versammelten Kollektivität nieder. Genauer: in der euphorisch überspannten Hingabe ans homogen Anonymisierte. Man wird vielleicht einwenden wollen, das sei nicht ernst, sondern ironisch gemeint: ein Gimmick, witzige Vermarktungsidee. Mag sein. Nur hat halt Ironie genau dort ihre Grenzen, wo sie, ohne es zu wissen und zu wollen, etwas bewahrt, das die gesellschaftliche Realität sehr wohl durchwirkt und bestimmt. "Die jüdische Gemeinschaft" ist in Israel eine todernste Ideologie, die genau dort aufhört, Spaß zu verstehen, wo man ihr zentrales Postulat - den Zusammenhalt des jüdisch-israelischen, mithin zionistischen Kollektivs - zu hinterfragen beginnt. Das hat eine lange Tradition.
Vor dem Hintergrund einer jahrhundertealten Verfolgungsgeschichte unternahm es der politische Zionismus seit Ende des 19. Jahrhunderts, den in aller Herren Ländern verstreuten Juden eine nationale Heimstätte zu errichten. Zu diesem Zweck musste er unterschiedlichste Menschengruppen aus heterogenen Kulturen und Traditionen, aus wirtschaftlich wie politisch divergenten Lebenswelten und Sozialisationen erst zusammenbringen und der Einheitsideologie eines neu geschaffenen Kollektivs unterordnen. Spätestens nach der jüdischen Katastrophe im 20. Jahrhundert sollte es klar geworden sein, dass man die historische Notwendigkeit einer solchen nationalen Unternehmung nicht voreilig infrage stellen konnte.
Was indes in der diasporischen Gemeinschaft eine zwar notgedrungene, gleichwohl authentische Solidarität hatte entstehen lassen, die das kollektive (teils ghettoisierte) Leben strukturierte und regelte, löste sich in der nationalen Gesellschaft des neu gegründeten Staates auf, wobei die ehemalige diasporische Solidarität sowie auch die des Sozialismus der prästaatlichen Ära zur Ideologie einer Zusammengehörigkeit verkam. Sie hatte mit innerer Solidarität kaum etwas zu tun, dafür aber umso mehr mit dem Konsens über die Unantastbarkeit des "israelischen Kollektivs" und seiner vermeintlichen Kohäsion.
Das israelische Kollektiv war aber, historisch und strukturell bedingt, von vornherein ein Zusammengewürfeltes: alteingesessene Pioniere, aschkenasische, sephardische und orientalische Juden, orthodoxe Antizionisten, nationalreligiöse und säkulare Zionisten, eingewanderte Shoah-Überlebende und nach 1948 zurückgebliebene palästinensische Araber. Späterhin immigrierten zahlreiche Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion, aber auch aus Äthiopien. Diese und noch viele andere Gruppen, die unterschiedliche, oft gegensätzliche, teils widersprüchliche Interessen und Zielsetzungen verfolgten, ließen ein Konglomerat der Zerrissenheiten entstehen, dessen kollektive "Einheit" umso nachhaltiger ideologisch beschworen werden musste, je tiefer sich die objektiven klassenmäßigen, kulturellen, ethnischen, politischen und nationalen Klüfte innerhalb der Gesellschaft auftaten. Der Staat wusste darum und nahm sich auch der pionierhaften Herausforderung der gesellschaftlichen Konsolidierung an. Aber in den realen Lebenswelten kannte man das Scheinhafte und Scheinheilige dieser Gemeinschaft.
Je mehr man staatsoffiziell die äußere Bedrohung als inneren Kitt bemüht - die "Schoah" musste als historisches, die "Sicherheitsfrage" als aktuelles Paradigma der Solidargemeinschaft herhalten -, umso mehr stellte sich heraus, dass selbst unhinterfragbare Ideologeme vermeintlicher Einheit wie diese Verschiedenes in der israelischen Gesellschaftsvielfalt bedeuten mögen: Die Schoah nimmt einen unterschiedlichen lebensweltlichen Stellenwert bei religiösen und nichtreligiösen, bei aschkenasischen und orientalischen Juden, bei jüdischen und nichtjüdischen Bürgern des israelischen Staates ein. Die Lösung der Sicherheitsfrage - ohne Zweifel ein reales Problem - wird von nationalreligiösen Rechten und linken Zionisten, von jüdischen und arabischen Israelis vollkommen konträr anvisiert.
Die Bank- und Klimaanlage-Werbespots kodieren, so besehen, einen Wahrheitskern der israelischen Gesellschaft. So verlogen die in ihnen dargestellte kollektiv-euphorische Einheitlichkeit im Hinblick auf die Wirklichkeit dieser Gesellschaft sein mag, widerspiegelt sie zugleich aufs Prägnanteste die Ideologie der beschworenen Kollektivität. Dass sich dieses ideologische Moment in Zusammenhang mit einer Bank- und einer Klimaanlage-Reklame kundtut, offenbart nicht nur den Fetischcharakter der gottgewordenen kapitalistischen Ware, sondern nicht minder auch die ekstatische Vergöttlichung dessen, wes realen Bestand man schon immer heimlich bezweifelt hat.
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