Kolumne Das Schlagloch: Fünf Ringe für einen Witz
Die olympische Idee ist zusammengebrochen - es fehlt nur noch der Gnadenschuss.
Irgendwann einmal hat gewiss ein jeder unter uns sich gefragt, welcher wohl der witzigste Witz auf Erden ist, welche Nation den meisten Sinn für Humor hat und welcher unter den Spaßmachern aller Länder den Lorbeerkranz gewinnen soll. Eigentlich sehnen wir uns alle auf das Heftigste nach Olympischen Spielen des Humors.
Wir dürfen nun frohlocken, denn das Warten hat ein Ende. Der Goldmedaillengewinner unter den Scherzen ist gekürt, und zwar von der britischen Website www.laughlab.co.uk. Der Lorbeerkranz gebührt folgender meisterlicher Leistung:
Zwei Jäger pirschen gerade durch einen Wald, als einer der beiden plötzlich zusammenbricht. Er scheint nicht mehr zu atmen und seine Augen sind ganz glasig. Sein Kumpel zieht das Handy heraus und ruft sofort die Notnummer an. "Mein Freund ist tot", stößt er hervor, "was soll ich nur tun?" "Ganz ruhig bleiben", sagt der Mann am anderen Ende der Leitung. "Zuerst sollten Sie feststellen, ob er wirklich tot ist." Nach einer kurzen Pause ist ein Schuss zu hören. Der Jäger meldet sich erneut: "Erledigt. Und was nun?".
Wer das nicht so witzig findet, möge sich an die vielen langweiligen Entscheidungen bei Olympia erinnern. Sieger können ganz schon mittelmäßig sein. Zudem war der Maßstab dieses spezifischen Wettkampfes die kulturelle Übersetzbarkeit von Humor - gesucht wurde sozusagen der McDonalds des Witzes. Auf der Website kann man die Resultate der Untersuchung nachlesen und muss doch arg staunen, welche Völker welche Art des Humors bevorzugen (Gewinner des Witzemessens ist übrigens ein indischstämmiger Brite).
Besonders überraschend ist die Erkenntnis, die Deutschen hätten den vielseitigsten Sinn für Humor - sie sind sozusagen die Zehnkämpfer des Lachens. Da sieht man doch sofort Harald Schmidt mit dem Bundesadler auf der Brust am Start, entschlossen - wie einst Jürgen Hingsen -, jede Pointe richtig zu setzen. Deutschland wäre eine weitere Goldmedaille sicher.
Wie schade, dass Witze erzählen noch keine olympische Disziplin ist, denn ansonsten hätte ich dem Bundestrainer einen Geheimtipp antragen können, mit dem sich das Bundesteam ins Finale blödeln könnte: Anlässlich der Olympischen Spiele in Moskau im Jahre 1980 hält der bulgarische Diktator Todor Schiwkow eine Rede vor der versammelten bulgarischen Mannschaft. "Liebe Genossinnen und Genossen, es ist mir eine große Ehre, Sie bei den XXII. Olympischen Sommerspielen begrüßen zu dürfen. O O O O O", worauf ihm sein Redenschreiber zuflüstert: "Genosse Generalsekretär, die olympischen Ringe müssen Sie nicht vorlesen."
Dieser Witz wurde später auch Helmut Kohl in die Schuhe geschoben. Witze waren der Exportschlager des sozialistischen Imperiums, nur dauerte es manchmal, bis im Westen ein adaptionskompatibler Staatsmann an die Macht gelangte.
Sollte Humor eines Tages tatsächlich olympisch werden und sich zu so aufregenden Sportarten wie Taekwondo und Dressurreiten gesellen, sollte es unbedingt die Disziplin "Witze über Olympia" geben, neben klassischeren Formaten wie etwa dem Blondinen- oder dem Minderheitenwitz. Denn auf das Internationale Olympische Komitee (IOC) - seit Wochen die größte Lachnummer der Welt - ist Verlass. Die Herren Jacques Rogge und Thomas Bach, sakrale Hüter der hehren Werte des IOC, lassen momentan einen Brüller nach dem anderen vom Stapel.
Die Olympischen Spiele seien unpolitisch, beteuern sie mit der treuherzigen Miene eines Buster Keaton - womit Sie wohl weder die Spiele 1936 in Berlin noch die zwei Boykottspiele 1980 in Moskau und 1984 in Los Angeles meinen. Nicht einmal in der Antike waren die Spiele so friedlich, wie gerne behauptet wird. Im Jahre 364 v. Chr. stürmten Soldaten die Arena in Olympia, und es kam zu heftigen Gefechten. Es ging schon damals um Macht und Geld; die Leitung der Spiele war den traditionellen Gastgebern zuvor entrissen worden.
Auch gab es schon in der hellenistischen Zeit den ersten Boykott: die Spartaner durften 420 v. Chr. während des Peloponnesischen Krieges nicht teilnehmen (nicht einmal als Zuschauer!). Zwanzig Jahre später machten die Spartaner wieder Ärger, weil sie während des heiligen Waffenstillstandes eine militärische Aktion vornahmen. Sie mussten ein deftiges Bußgeld zahlen. Und im Jahre 380 v. Chr. - und nun wird es ganz modern - boykottierten die Athener die Spiele, weil einer ihrer Athleten der Bestechung überführt wurde. (Wir erinnern uns an einige dubiose Goldmedaillen für Griechenland bei den letzten Spielen.)
Mein persönlicher Witzfavorit betrifft die olympische Flamme, die nicht nur "die positiven Werte, die der Mensch seit jeher mit dem Feuer assoziiert, repräsentiert", wie das IOC es poetisch auflodern lässt, sondern " die Botschaft des Friedens und der Freundschaft unter den Völkern" vermittelt. Wer hier nicht lacht, hat die Olympianorm für Humor nicht geschafft. Besonders zynisch wird es, wenn man sich vergegenwärtigt, dass der Fackellauf von den Nazis erfunden und nach Regieanweisungen von Goebbels 1936 zum ersten Mal inszeniert wurde. Krupp fertigte die hübschen Friedensfackeln an. Es gab damals zwar Proteste in Jugoslawien und der Tschechoslowakei, aber sie wurden genauso brutal niedergeschlagen wie jene der kritischen Studenten 1968 in Mexiko. Wenn also der deutsche IOC-Vizepräsident Bach die Demonstranten, die die Fackel angriffen, eifrig diffamiert - "Erschreckend, wie mit Gewalt ein Symbol angegriffen wird, das für Verständigung stehen soll" -, wissen wir ihn in bedenklicher Gesellschaft.
Leider spricht nichts dafür, dass sich das IOC der eigenen Lachhaftigkeit bewusst ist und entsprechende Konsequenzen ziehen könnte. Im Gegenteil: Olympia wird leider ein humorfreier Raum bleiben, eine Hymne an die Heuchelei und eine so minderwertige wie höchst profitable Schmierenkomödie, kaum interessanter als die Suche von www.laughlab.co.uk nach dem weltbesten Witz. Die einzige ehrenwerte Lösung wäre die Abschaffung von O O O O O. Die olympische Idee ist längst zusammengebrochen - es fehlt nur noch der Gnadenschuss. Und 2008 ist dafür so gut wie jedes andere Jahr.
Aber was ist mit den vielen schönen Sportstätten, wird manch einer einwenden. Natürlich sollen diese genutzt werden, für sportliche Wettkämpfe. Wie wäre es etwa mit einem Sportfest für die Häftlinge der Welt? Da China und die USA die mit Abstand höchste Zahl von eigenen Bürgern inhaftiert halten, würde der Medaillenspiegel ähnlich ausfallen wie bei Olympia.
Zudem würden sich interessante, abwechslungsreiche Disziplinen anbieten: Waterboarding vom 1-m-Brett, Marathon-Schlafentzug oder 1.000 m Minenfeldlauf (die chinesischen Häftlinge trainieren in Angola, wo sie auf diese billige Art und Weise die während des Bürgerkrieges gelegten Landminen entschärfen - wer überlebt, wird früher freigelassen). Für Spannung wäre sogar bei sportrechtlichen Fragen gesorgt: Dürften Guantánamo-Häftlinge unter amerikanischer Flagge starten?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Neue EU-Kommission
Es ist ein Skandal
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative