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Kolumne DarumReplik auf die Replikreplikreplik

Maik Söhler
Kolumne
von Maik Söhler

Vier lange Texte hat uns die „FAZ“ mit ins neue Jahr 2014 gegeben, die alle um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf kreisen. Wahnsinn.

Wahnsinn, dieses Kinderkriegen. Und erst die Debatte darum Bild: ap

Z wei Jobs, zwei Kinder: Ich bin einer der „bewundernswerten Zombies“, von denen neulich Antonia Baum in der FAZ schrieb. Ich trage auch die „Gelassenheit und das Glück vieler junger Eltern“ in mir, von dem Stefan Schulz in seiner Replik auf Baum in der gleichen Zeitung schrieb – obwohl ich nicht mehr jung bin.

Ich begreife mich als Teil des Satzes „Wir sind in der Mehrheit“, den Florentine Fritzen und Tobias Rösmann wütend als Replikreplik gegen Frau Baum schleudern. Und selbst Melanie Mühl spricht in ihrer Replikreplikreplik gleich doppelt von mir und meiner Familie, wenn sie meine Kinder „Monster“ nennt und mich einen „unbelehrbaren Hedonisten“ (der trotzdem Kinder hat).

In vier langen Texten wirft man sich gegenseitig Standesdünkel, Selbstoptimierung und Ahnungslosigkeit vor – mal vehement, mal verspielt, immer aber in voller Überzeugung.

Zwei Wochen Zeit hat es mich gekostet, diese Texte zu lesen. Ich habe sie zu Hause gelesen, und immer kam etwas dazwischen: erst ein Kind, dann das andere, dann beide Kinder, dann die Frau, schließlich alle zusammen.

Allein die Lektüre von Baums Text dauerte drei Tage. Solche Texte dürfen einfach nicht an Tagen erscheinen, an denen der Sohn Gitarre übt, die Tochter vor einer Erdkunde-Klassenarbeit steht und ich selbst zwei Artikel zu Ende schreiben muss.

Auch Wahnsinn: Alter Calvados aus Kindergläsern

„Man muss wahnsinnig sein, heute ein Kind zu kriegen“, lautet die Überschrift des Artikels von Frau Baum, und damit hat sie recht. Man muss aber auch wahnsinnig sein, wenn man für die FAZ arbeitet oder für die taz und ganz ohne Wahnsinn kommen auch die Bundesligatabelle, die Sitzverteilung im Deutschen Bundestag und die Tatsache nicht aus, dass ich einen wunderbaren alten Calvados manchmal unachtsam aus bunten Kindergläsern trinke.

Diese ganze FAZ-Debatte ist der helle Wahnsinn. Da stehen Sätze wie „Ich verstehe dieses Selbstausbeutungskonzept nicht“, „Das Leben mit Kindern ist anstrengender“, „Wer Kinder hat, wird spätestens jetzt nicken“, und „Nicht jeder will so leben, als hätte man ihn in einen Ikea-Katalog gebeamt“. Also Binsenweisheiten, Ikea-Katalog-Sprüche und Sätze, die aus einem Eltern-Kind-Abendbrot-Gespräch stammen könnten. Damit trifft der FAZ-Wahnsinn die Realität von Eltern und Kindern gut. So reden wir ständig.

Kinderlos glücklich, Sohn und Tochter sind in der Schule, lese ich endlich den Artikel „Kinderlos glücklich“ zu Ende. Später streiten sich Frau und Tochter über ein nicht aufgeräumtes Zimmer, während ich mich in „Ruhe, ihr Jammer-Frauen!“ vertiefe. Zwei Absätze am Stück schaffe ich und denke gerade darüber nach, warum zwei der vier FAZ-Beiträge Ausrufezeichen in der Überschrift haben, da werde ich zum Spielen abkommandiert: „Komm jetzt endlich!“

Liebe FAZ, danke für diese erhellenden Artikel. Nur: Dass Deutschland jedem die gleiche Chance biete, die „Gelassenheit und das Glück junger Eltern“ zu erfahren, das meint ihr doch nicht ernst. Oder? Das wissen ja meine Kinder schon besser.

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Maik Söhler
Journalist
Jahrgang 1969, Leitender Redakteur des Amnesty Journals. War zwischen 2010 und 2020 Chef vom Dienst bei taz.de. Kartoffeldruck, Print und Online seit 1997.
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2 Kommentare

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  • F
    Frontal21

    Gestern die Armut der alleinerziehenden bei Frontal 21 gesehen. Ich persönlich möchte wegen dem hohen Armutsrisiko nur maximal ein Einzelkind. Der Verdienst in vielen frauentypischen Berufen ist zu schlecht, um damit alleine mehr Kinder zu finanzieren.

     

    und die Hoffnung auf eine Vollzeitstelle dieser Fraue kann man begraben: es kann rein rechnerisch bei sinkendem Arbeitsvolumen NIEMALS für alle AN eine Vollzeitstelle geben!!!

     

    noch mal ein Tipp zu den miesen Weiterbildungsmöglichkeiten in DE:

     

    in Schweden bekommt man bis zum 54. Lebensjahr! noch BAFÖG und Studienbeihilfe.

     

    Die Frau dort im Beitrag hat den total überlaufenen Büroberuf gelernt und findet nur Telzeitstellen mit wenigen Stunden. Sie würde gern Altenpflegerin werden, aber nirgendwoher bekommt sie mit 47 Jahren noch Hilfe finanziell, obwohl sie noch 2 Jahrzehnte arbeiten soll!!

     

    ich wünsche mir in DE schwedische Verhältnisse, dann können auch ältere Alleinerziehende in Armut sich noch umschulen.

     

    Bitte immer auch an die Bildungsmisere in DE denken, wenn es um Kinderarmut geht!!!

  • die faz hat sich vielleicht von der aktuellen prokla: "familie und staat", aus berlin (altvaterschule) anregen lassen. nun, wie da sozialpsycholgiegroßmeistschach im massensubjektivierungen gespielt wird, die kirchlich geschüzte hinterhältige heckenscützenbposition der fast frei bezswangabaren privatmoraldefinitionsmacht extrem politökonimisch ausschlachtend - das sicheheritsbedürfnius von frauen ist eine bebaubare sichere erpressungsbank - ist schon lesenswert.

     

    so versteht man die"zurück an heim und herd" (kinder, küche, kirche) politik der bundesministerinnenriege - offen höhnisch als "modern" etikettiert.