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Kolumne ChartsHimbeereis zum Frühstück

1968 und die Folgen: Die drei besten deutschen Schlager, die es ohne den Summer of Love nicht gegeben hätte.

Der Summer of Love von 1967 und seine Folgen sind in diesem Jahr ausführlich beschrieben worden. Die Beschäftigung mit dem gesellschaftlichen Aufbruch von 1968 wird auch das kommende Jahr dominieren. Was allerdings bisher völlig fehlt, sind die Auswirkungen auf den deutschen Schlager. Erst ein Jahrzehnt später erreicht der Versuch des deutschen Schlagers seinen Höhepunkt, Anschlussfähigkeit zu suggerieren - um damit Platten zu verkaufen.

marco limberg

Peter Unfried ist stellvertretender Chefredakteur der taz.

Jürgen Drews hatte zwar durch sein Mitwirken im Hippie-Imitat "Les Humphries Singers" eingeführt und spielte nun den Spätachtundsechziger des Schlagers, den Antikonformisten, der sich dem bürgerlichen Leben und seinem Leistungsanspruch entzieht. Er ist auf der Suche nach erfüllenderen Lebensformen. Er übernachtet und kopuliert in Kornfeldern, steht nachmittags auf und gibt Vorgesetzten und Eltern Widerworte, weil sie in einer bösen Welt leben und nichts verstehen.

In "Wir ziehn heut Abend aufs Dach" (1978, Meine Nummer drei, ein Cover von "Call on me" - Sunrise) heißt es: "Deine Eltern warn gegen mich / Und sie sagten, ich sei nichts für dich". Denen zeigt ers, da holt er die Tochter ab, besorgt Blumen (!) und zieht mit ihr einfach aufs Dach. Das ist das gelebte Motto von Ken Keseys Jugendbewegung: Turn on, tune in, drop out.

Dass Hippies zwar die Leistungsgesellschaft und ihre Scheißeltern ablehnten, nicht aber den Kapitalismus, bringt Drews in "Barfuß durch den Sommer" (1977, meine Nummer zwei) auf den Punkt, wenn er lässig sagt: "Schreib dem Chef einen Gruß / er soll dein Gehalt überweisen." Eine klare Absage an die herrschenden Werte der Konsumgesellschaft ("Ein Plastikeimer ist unser Swimming Pool"), nicht aber an das Geld. Fast so großartig wie das Original, Eddie Rabbitts "Rocky Mountain Music". Mein Post-1968-Schlager Nummer eins aber ist "Himbeereis zum Frühstück" von Hoffmann & Hoffmann (1977, ein Cover von "Crossfire" - Bellamy Brothers). Der Song erzählt, wie ein Mann bei einer Hochzeit die Braut entführt, wie das ja zum Ritual solcher Veranstaltungen gehörte. "Du, ich seh dich noch wie heut / du trugst ein Hochzeitskleid / und bald schon solltest du seine Frau sein." Die Idee ist sehr wahrscheinlich aus Mike Nichols "The Graduate" übernommen, wo sich Elaine Robinson im Hochzeitskleid dem Brauträuber Dustin Hofman und der Revolte gegen die Leere der US-amerikanischen Konsumgesellschaft anschließt.

Der ursprünglich antigesellschaftliche echte Brautraub hatte offenbar seine revolutionäre Sprengkraft eingebüßt und war in den späten 70ern selbst für das Schlagerpublikum kein Vollschock mehr. Im Gegensatz zu heute, wo man über Hochzeiten keine Witze mehr machen darf, ohne dass die jungen Leute einen indigniert anschauen. "Himbeereis zum Frühstück" steht für die Verweigerung des Konformismus in - trotz 1968 und Günter Netzers Haaren - schon noch spießigen Zeiten. Hier schwingt die unmittelbar bevorstehende Gründung der Grünen mit und gleichzeitig ein antilinker Zukunftsoptimismus: Himbeereis zum Frühstück. / Träumend durch den Sommer. / Mit der Berg-und-Tal-Bahn / fuhren wir ins Glück. Dass das Ganze allerdings als "hoffnungslos verrückt" bezeichnet wird, beinhaltet auch bereits Desillusionierung und kündet vom Heraufziehen der bleiernen (aber letztlich doch ganz angenehmen) Kohl-Jahre. Am Ende heißt es: "Auch wenn ich dich nicht halten kann /zieh das Kleid noch einmal an /dein Hochzeitskleid, denn so fing es an." Das Wissen um die Endlichkeit des Glücks führt nicht zu faustischer Verzweiflung, sondern zu einer seltsam-heiteren Gelassenheit: schön, das es schön war. Mehr geht halt nicht.

Immer wenn ich zwischen Betrieb und Reproduktion meiner Arbeitskraft dieses Lied höre, denke ich nicht an Adorno, sondern daran, dass Günther Hoffmann ja was mit Dunja Rajter am Laufen hatte und sich ein paar Jahre später leider umgebracht hat, was mich nichts angeht und worüber ich nichts weiß, außer dass ich es in diesem Moment sehr traurig finde und mir verlässlich ein angenehmer Schauer über den Rücken huscht. Da. Jetzt auch wieder.

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