Kolumne Buchmessern (5): Nur ein exotischer Rhythmus
Eine Schriftstellerin kommt kaum zu Wort, ein Brasilianer soll trommeln – auf der Frankfurter Buchmesse gehörten Klischees zum Unterhaltungsprinzip.
W as für den Argentinier der Tango ist, ist dem Brasilianer der Samba. Auf der Frankfurter Buchmesse darf man das sagen, denn Klischees gehören hier zum Unterhaltungsprinzip. Bei der Party des Piper Verlags in der Innenstadt-Disse Velvet gibt es schundige R’n’B-Hits aus den nuller Jahren und so ist man froh, dass es am nächsten Morgen in Halle 5.1 endlich um die Musik des diesjährigen Gastlandes geht. ZDF-Moderator Wolfgang Herles befragt dort den brasilianischen Autor Paulo Lins zu dessen neuem Roman „Seit der Samba Samba ist“.
Lins wurde international bekannt durch seinen autobiografisch gefärbten Favela-Roman „Cidade de Deus“ und dessen Verfilmung „City of God“ (2002). Auch im neuen Buch geht es um die soziale Peripherie von Rio de Janeiro. „Samba war die kulturelle Waffe der Marginalen“, sagt Lins, „nachdem das Wahlrecht für die schwarze Bevölkerung Brasiliens eingeführt wurde, waren der Samba und die Karnevalsumzüge ein nächster Schritt, sich Zugang zur Gesellschaft zu verschaffen. Und es hat funktioniert: Heute ist der Karneval das wichtigste kulturelle Ereignis Brasiliens.“
Moderator Herles merkt an, dass der frühe Samba aus dem Rotlichtmilieu stamme und dass er sich „Verbrecher und Nutten“ kaum als Komponisten vorstellen könne. Lins erklärt geduldig: „Das war eben der Ort, an dem die Schwarzen lebten und nicht nur Kriminelle, sondern auch Menschen, die einfach keine Arbeit bekamen, weil sie schwarz waren.“
Offenbar sind Wolfgang Herles diese Schilderungen zu theoretisch, er will, dass Lins ihm jetzt lieber mal einen Samba-Rhythmus klopft. „Machen Sie uns das mal vor, wie geht das, der Samba?“ Lins reagiert mit einem hilflosen Lachen und schaut weg. Der Moderator gibt nicht nach, er schnappt sich das Buch vom Tisch und klopft wie irre darauf herum: „So? Stimmt das?“ Null Taktgefühl. Lins kapituliert und trommelt uns schließlich etwas vor. Kaum ein Zuschauer schüttelt den Kopf.
Redselige Herren
Einen Kulturclash gibt es auch im Roman „Der hinkende Rhythmus“ der türkischen Schriftstellerin Gaye Boralioglu. Beim Weltempfang der internationalen Verlage sitzt Boralioglu zwischen den beiden redseligen Herren Wolfgang Riemann und Egon Ammann, die die Handlung des Buchs ziemlich breittreten. Es geht um die Begegnung zwischen einem Roma-Mädchen und einem Istanbuler Macho, die sich gegenseitig lebensgefährlich verletzen und zugleich ineinander verlieben.
Als Boralioglu nach einer halben Stunde endlich zu Wort kommt, sagt sie: „Ich wollte eine Liebesbeziehung konstruieren, die jederzeit imstande ist, entweder in den Abgrund zu stürzen oder abzuheben. Und Gewalt ist ein sehr großes Thema in der türkischen Gesellschaft.“
Vor allem der Missbrauch von Macht bestimmt diese Gewalt, wie die Anklage gegen Boralioglus Kollegen und Freund Emrah Serbes vor wenigen Tagen in Istanbul zeigte. Bis zu 12 Jahre Haft drohen dem Schriftsteller. Der Vorwurf lautet: Beleidigung des türkischen Ministerpräsidenten Erdogan, des Gouverneurs von Istanbul und des Innenministers während einer TV-Talkshow.
Selma Wels, Geschäftsführerin des binooki-Verlags, der Serbes’ Bücher auf Deutsch publiziert, zeigt sich in Frankfurt besorgt, jedoch wenig überrascht: „Emrah war bei den Gezi-Protesten im Sommer an vorderster Front mit dabei und äußerte sich immer wieder regierungskritisch. Diese Rüge ist nur ein weiteres Zeichen dafür, dass die Meinungsfreiheit in der Türkei quasi nicht mehr existent ist.“
Auch in Brasilien ist die Lage angespannt, Zehntausende protestierten dort vergangene Woche gegen die Bildungspolitik der Regierung. Auf der Buchmesse ist davon nichts zu spüren, der Caipirinha ist stark und der Samba nur ein exotischer Rhythmus. Im nächsten Jahr darf man sich dann auf den Tango freuen, denn das Gastland heißt – nicht Argentinien, sondern – Finnland. Die Finnen haben nämlich eine eigene Tango-Tradition, bei ihnen steigen die Melodien ab statt auf. Man ahnt, 2014 wird es schwieriger werden, der Logik des Klischees zu folgen.
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