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Kolumne BlickeEine Ausfallstraße namens Halit

Ambros Waibel
Kolumne
von Ambros Waibel

Berlin! Leipzig! Und vor allem: Kassel! Und dann ist am Sontag auch noch Bu-Bu-Day. Wie das alles zusammenhängt.

A m Sonntag ist Bu-Bu-Day. Denn dann versammeln sich die Mächtigen, Prächtigen und Schlechtangezogenen dieser Republik entweder in Leipzig auf der Buchmesse oder in der Berliner Bundesversammlung. Einer von diesen wird nach Teilnehmerliste der hochverehrte Hans Well (für „Bü90/GR“) sein, von der durch den demokratischen Fortschritt in Bayern implodierten Biermösl Blosn.

Allein deswegen verbieten sich literarische Fantasien, was wohl ein irrer Attentäter mit einer solchen Ballung gesellschaftlicher Eliten anstellen könnte: Seid also unbesorgt, ihr Arischen mit Ohren, Pastörs, Apfel, Müller, und stopft euch die Schnittchen der Steuerzahler rein: Mehr als auf Sand gebaute Drohbriefe wird es nicht geben.

Am Vorabend solcher Großereignisse, denen wir hier, jenseits der Kandidatenfrage, mit einem gewissen inneren Abstand begegnen, liegt es also nahe, den Blick in die entgegengesetzte Richtung zu, hm, richten: dahin, wo Glamour, Glanz und Gloria eher nicht zu Hause sind – nach Kassel.

Alexander Fanetzko
AMBROS WAIBEL

ist Redakteur im Meinungsressort der taz.

Ich mag Kassel sehr. Einer meiner liebsten Menschen lebt dort als Phytophiler. Ich bin zudem erster Preisträger des seit 2005 vergebenen Nordhessischen Autorenpreises, der „sich sowohl an Autorinnen und Autoren als auch an Laien“ richtet, „die ihren Lebensmittelpunkt in Nordhessen oder einen besonderen (etwa autobiografisch bedingten) Bezug zur Region haben“. Ich finde mich da wieder.

In diesem Jahr ist wieder documenta in Kassel, die ich auf dem Weg zum gleichzeitig ausgetragenen Hauptevent, der Caricatura, auf jeden Fall mitnehmen werde. Aber mein spezieller Freund in Kassel ist der Herkules über dem Bergpark Wilhelmshöhe. Dieser Park, das Schloss, die Gemäldegalerie, all dies ist eine europäische Attraktion ersten Ranges. Die ganze Anlage ist so erschütternd schön, dass man die barocke Anmaßung, die über allem thront, ganz gut vergessen kann. Das bescheidene Kassel macht es einem da leicht.

Als ich letzten Monat da war, konnte man den Herkules noch immer nicht besteigen – Sanierung läuft seit 2005; und da bei der letzten documenta der Hauptbahnhof eine Ruine war, wird wohl in guter Tradition diesmal der eingerüstete Held den Besuchern aus aller Welt ein echt kasselänerisches „So wichtig seid ihr uns nun auch wieder nicht“ als Willkommensgruß bieten.

Wer Kassel verlassen will, kann das auf vielfältige Art tun – nicht umsonst kandidierte die Stadt einst als westdeutscher Regierungssitz, ihrer zentral-vernetzten Lage wegen. Eine der großen Ausfallstraßen ist die Halitstraße. Stimmt gar nicht – noch heißt sie Holländische Straße und ist Teil eines großen, alten Verkehrswegs Richtung Niederrhein.

Halitstraße soll sie nach dem Wunsch von Ismail Yozgat heißen. Denn in dieser Straße, in einem Internetcafé, wurde sein Sohn Halit Yozgat von Neonazis ermordet. Der Chef der CDU-Fraktion im Kassler Stadtrat, Norbert Wett, findet eine solche Umbenennung nach HNA-Zitat ein „Wahnsinnsunterfangen“. Schade, dass Norbert Wett nicht zur Bundesversammlung delegiert wurde: Er fände da Herren, mit denen er angeregt plaudern könnte.

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Ambros Waibel
taz2-Redakteur
Geboren 1968 in München, seit 2008 Redakteur der taz. Er arbeitet im Ressort taz2: Gesellschaft&Medien und schreibt insbesondere über Italien, Bayern, Antike, Organisierte Kriminalität und Schöne Literatur.

2 Kommentare

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  • P
    polyphem

    Ja, Halit-Yozgat-Straße wäre besser.

     

    Die Holländische ist ja eine sehr lange Straße und die Gesetze geben mehreren Tausend Anwohnern und etlichen Firmen ein Einspruchsrecht gegen eine Namensänderung. Das darf doch kein Hinderungsgrund sein. Ich würde es als Anwohner oder dort ansässige Firma in meinen neuen Briefkopf drucken lassen, dass ich Befürworter der Namensänderung war.

     

    Liebe Kasselaner und Kasseläner, Sie schaffen das. Holen Sie bitte die moralische Herkuleskeule raus und bearbeiten Sie damit Ihre Mitbürger. Ich möchte im Sommer über die Halit-Yozgat-Straße nach Kassel hinein fahren um die documenta und das Grimm-Museum zu besuchen. Das wäre märchenhaft. Zweihundert Jahre KHM. Und Sie können Herrn Gauck zur Umwidmung des Straßennamens einladen.

     

    Wenn's mit der Umbenennung nicht klappt, komme ich über die Kohlenstraße und biege vorher links ab. Glück auf.

  • K
    Karl

    "Halit" ist alleinstehend ein etwas unglückliches Wort, besser den vollständigen Namen wählen.

     

    Sonst tauch noch ein Rohstoffgeologe auf!

     

    Glück auf!

     

    Karl