Kolumne Blicke: Die Arschitekten

Badezimmerfenster, Laminat und ein windelweicher Berufsstand.

Neulich stand ich mal wieder unter der Dusche. Und dachte an jenes bezaubernde Wesen, das mir gesagt hatte, wie schön es sei, unter der Dusche zu stehen und dabei in den Himmel blicken zu können.

Ja. Hatte ich gesagt. Schon.

Und gedacht hatte ich, wie viel schöner ich es fand, jenes Wesen in meiner Dusche sehen zu können. Und so.

Seit ich aus der heimischen 50er-Jahre-Wohnbox ausgezogen bin, habe ich immer ein Bad mit Fenster gehabt. Es bot nicht in jeder Wohnung einen Sternenblick, ich erinnere Brandwände und die Perspektive in das Bad einer Lesben-WG, deren Bewohnerinnen sich am offenen Fenster ganz nonchalant trockenfrottierten – eine Hauptattraktion für Freunde aus katholisch-geschlechtergetrennten Gegenden, die mich in meiner links-lutherischen, hessischen Uni-Stadt besuchten.

Aber die ernste Frage ist ja die: Warum haben – hessisch gesprochen – Arschitekte’ seit dem Krieg nie aufgehört, Badezimmer ohne Fenster zu entwerfen? Welches Zimmer einer Wohnung hätte ein Fenster nötiger? Wo wäre es schöner? Und warum ist das Badezimmerfenster ein Luxus, zumindest in all jenen Städten, deren Gründerzeitbauten längst von Zahnärzten (und Architekten) in Beschlag genommen sind? Die klassischen Antworten lauten: Architekten sind entweder dumm oder dreist oder feige. Oder alles zusammen.

Wenn ich über dieses Thema mit Architekten spreche, heißt es immer: das Geld. Der Bauherr. Ich sage dann immer, aha, Architekten sind Leute, die ein ehrliches Handwerk lernen, um es zu verraten. Von dem Geld, das ihnen der Verrat einbringt, nehmen sie sich dann eine Altbauwohnung mit Badezimmerfenster.

Architekten sind coole Leute. Die hauen einem keine aufs Maul, wenn man sie als verantwortungslose Karrieristen outet. Architekten verziehen nur leicht gequält das Gesicht, wenn man ihnen ihre Mitläufermentalität mitgibt. Architekten blicken ins Leere, wenn man etwas ganz Offensichtliches feststellt: dass jemand, der ein Bad ohne Fenster entwirft, ein Zyniker ist. Und Zyniker können Türsteher werden, DJs oder Investmentbanker – aber sie sollten nicht über die Behausung des Menschengeschlechts entscheiden können.

Wenn Architekten also reine Erfüllungsgehilfen von Investoren sind, dann kann es einem angesichts der bevorstehenden massenweisen energetischen Sanierung nur angst und bange werden. Denn mit ihr bekommt ein windelweicher Berufsstand nun auch noch die moralische Rechtfertigung geliefert für jede nur denkbare Scheußlichkeit und Dummheit. Wie wäre es denn erst mal mit Mietwohnungen, in denen man nicht jedes Körpergeräusch der Nachbarn hört? Zu teuer. Wie wäre es mit hohen Decken, die auch das Herz und den Verstand erheben? Geht nicht. Und der größte aller Schrecken, das Laminat? Wollte der Bauherr drinhaben.

Und wie so oft, wenn man älter wird, denkt man sich am Schluss: die einzige Möglichkeit, in dieser Gesellschaft wenigstens anständig zu wohnen, ist: reich werden. Und sich einen Architekten halten.

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Geboren 1968 in München, seit 2008 Redakteur der taz. Er arbeitet im Ressort taz2: Gesellschaft&Medien und schreibt insbesondere über Italien, Bayern, Antike, Organisierte Kriminalität und Schöne Literatur.

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