Kolumne Blagen: Komakinder
Kirschlikör, Absturz, Dope-Gequatsche - wenn Kinder suchtgefährdet sind, müsse Eltern mit gutem Beispiel vorangehen. Ein Familiengespräch beim guten Roten.
J etzt ist alles klar. Die Einssechzigblondine säuft. Neulich erst tauchte sie wieder im herbstlichen Sonntagnachmittagslicht zu Hause auf. Und was soll ich sagen? Sie stank. Nach Alkohol. Und Nikotin. Und nach allem, wonach man so müffelt, wenn man siebzehn ist, im ländlichen Bereich zu leben gezwungen ist und die Nacht mit einer Handvoll Schulfreunden in einer Laube zwischen Hier und Nirgendwo verbracht hat.
Seit dem Sommer geht das nun so. Tochter verschwindet am Wochenende, taucht sonntags wieder auf, stinkt, schläft und geht montags wie neu zur Schule. Mich kann sie nicht täuschen - ich weiß, wie schlimm es um die Jugend dieses Landes steht. Allenthalben lese ich von Komasaufen, Gewohnheitstrinken, kollabierenden Kindern. Ich bin ja eine aufmerksame, gleichwohl zeitgemäße Mutter. Keine, die gleich losblubbert, wenn der Nachwuchs alle Anzeichen einer Suchtgefährdung aufweist. Ich suche stattdessen den Generationendialog. Und der geht so:
Na, wie wars bei Lukas/Paul/Anna? - Ging so. - Ging so? Hoho, das sieht aber ganz und gar nicht danach aus, wenn ich deine Augenringe so anschaue. Wie lange habt ihr denn gemacht? - Bis sechs. - Ja super, so muss das sein, wenn man jung ist! War bei mir auch nicht anders. - Ich würd jetzt gern schlafen, geht das? - Ach lass uns doch noch ein bisschen quatschen. Was gabs denn zu trinken?
Anja Maier ist Ressortleiterin der sonntaz.
Krachbumm. Tür zu. Ruhe bis Montagmorgen.
Alles in allem also ein nur mittelgutes Gespräch. Um ein bisschen Zug in die Sache zu bringen, zwangen der Vater und ich die kleine Alkoholikerin, eine Woche mit uns in die Ferien zu fahren. Dort, unter italienischer Sonne, erfüllte sie das gängige Vorurteil, das man in Bezug auf Süchtige pflegt: Sie trank nichts. Nicht in der Pizzeria, nicht beim Rommee, nicht mal beim Frühstück. Nur Cola. Der Vater und ich schauten uns wissend an. Ganz klar, das machte sie jetzt, um uns zu täuschen.
Still lächelte sie vor sich hin, wenn ihre Erziehungsberechtigten abends bei Wein und Grappa zu erzählen anhoben von ihrer Jugend. Saufspiele habe der Vater in seinem Sportverein gespielt, als Jüngster der Mannschaft musste er die Bier-Deckel-Schnaps-Deckel-Schnaps-Türme nie zahlen - aber immer austrinken. Oh Mann, sagte er zur Einssechzigblondine, das war sehr unvernünftig, wenn ich heute drüber nachdenke. Das Komakind nickte und lauschte seiner Mutter, die von üblen Abstürzen erzählte, von einer Kirschlikörvergiftung mit sechzehn Jahren und der Klassenreise, wo der Korn kreiste. Was da hätte passieren können, ich hab mächtig Glück gehabt, sagte ich und schaute ihr tief in die Augen.
Regelrecht in Rage redeten der Vater und ich uns. Wir quasselten liberalen Unsinn in Bezug auf Dope, erzählten von unserer Cocktailphase Mitte der Neunziger, schämten uns noch mal ausführlich für jahrzehntelanges Rauchen und priesen und goutierten dabei den guten italienischen Roten. Auf unser Angebot, ein Glas davon zu probieren, reagierte die Einssechzigblondine nur mit Kopfschütteln. Schon klar, raunte ich, du hättest schon Lust, was zu trinken, traust dich aber nicht. Mama, sagte die Einssechzigblondine, lass mich, du bist ja besoffen. Und da hatte sie leider völlig recht.
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