Kolumne Blagen: Scheiß Mutter! Scheiß Kind!

Ich möchte die Tochter trotz fettiger Haare herzen. Sie räumt mir für diesen Akt der Mutterliebe genau elf Minuten ein.

Die Einssechzigblondine ist krank. Die Mandeln. Seit Monaten jagt eine eitrige Entzündung die nächste, es ist das Grauen. Sie liegt darnieder, kann kaum sprechen, die Antibiotika machen nicht, was sie sollen. Sie isst nichts, trinkt nichts, dämmert immer wieder weg.

Wenn sie doch mal was sagt, röchelt sie, dass zwar, einerseits, alles Scheiße sei, sie aber, andererseits, durch ihren zugeschnürten Hals keine feste Nahrung aufnehmen könne und auf diese Weise die entscheidenden Kilo für den Strandgang verlöre. Super, sage ich, es fehlt nicht viel und du siehst aus wie diese RTL-Trashmoderatorin, deren Ellenbogengelenke sichtlich kräftiger sind als ihre Oberarme. Aber die Einssechzigblondine freut sich trotzdem auf ihren demnächst anstehenden Hungertod.

Nach nur anderthalb Wochen beschließt ihr Körper, doch nicht resistent zu sein und die Antibiotika ihren Dienst tun zu lassen. Die fünfte Mandelentzündung in nur sieben Monaten ist damit überstanden. Aber: die Dinger müssen raus, sagt der Arzt.

Nur zwei Monate später bekommt die kleine Kassenpatientin einen Operationstermin im Kreiskrankenhaus. Morgens rücken wir beide ein - sie, um sich in ein ungewohnt frisch bezogenes Bett zu legen, ich, um Dokumente zu unterschreiben, die der Teufel aufgesetzt haben muss. So eine Tonsillektomie, erklärt der nette Assistenzarzt, sei nämlich schnell erledigt, aber kein Spaziergang. Stimme weg, Geschmacksnerven irritiert, Zähne abgebrochen - das gäbe es alles, und hier bitte mal meine Handynummer für den Ernstfall eintragen. Ich zögere. Soll ich mein Kind nicht doch einfach wieder mitnehmen? Aber nein, bei der nächsten Entzündung verhungert sie. Also hiergeblieben! Ein ungutes Gefühl bleibt.

Am nächsten Abend besuche ich sie. Frisch operiert liegt sie in ihren Kissen, gerade erbricht sich ihre Zimmernachbarin spektakulär. Dagegen mein Kind: gute Verfassung, bisschen geschwollene Lippe, na ja, aber sogar sprechen kann sie schon. Und was sagt die Einssechzigblondine? Wieder mal sei alles Scheiße.

Ich streiche ihr über die Stirn, wer würde das nicht verstehen bei diesen Halsschmerzen. Nein nein, krächzt sie, das sei auszuhalten, der behandelnde Anästhesist verstünde sein Handwerk. Aber Scheiße, und zwar große Scheiße sei, dass man ihr vorhin gesagt habe, dass sie sich postoperativ eine Woche lang nicht die Haare waschen dürfe. Sieben Tage! Das sei doch uncoole Megascheiße. Oder?

Ich muss ein bisschen grinsen. Gerade raus aus der Narkose und schon wieder an schöne Haare denken - das nenne ich eine sorgenfreie Jugend. Aber die Patientin kennt mich schon ein paar Jahre, sie weiß genau, was ich denke und fängt an, sauer zu werden. In der Gedankenblase über ihrem Kopf lese ich deutlich: … auch noch 'ne Scheißmutter. Ja, sage ich, genau diese Scheißmutter findet, dass du eigentlich immer gut aussiehst, auch mit fettigen Haaren.

Wie lange bleibst du noch? fragt darauf die genervte Patientin. Soll ich schon gehen, sage ich. Naja, antwortet sie und schaut auf die Uhr an der Wand, elf Minuten kannst du noch bleiben, dann fängt Gute Zeiten, schlechte Zeiten an. Mir ist das Grinsen vergangen. So viel Zeit habe ich nicht mehr, sage ich, schließe meine Jacke und stürme aus dem Krankenzimmer. Im Auto nach Hause denke ich: Scheiß Kind! Aber offenbar ist sie wieder gesund.

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1965, ist taz-Parlamentsredakteurin. Sie berichtet vor allem über die Unionsparteien und die Bundeskanzlerin.

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