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Kolumne Bestellen und VersendenPassepartout Populismus

Aram Lintzel
Kolumne
von Aram Lintzel

Die Differenzierung zwischen Rechts und Links wird immer mehr weggesaugt, wenn von Populisten die Rede ist. Eine Unschärfe, die entpolitisiert.

Populisten beanspruchen, das „wahre Volk“ zu vertreten, sagt Jan-Werner Müller Foto: reuters

M atthias Matussek ist wieder da. Der Märtyrer des globalen Kampfes gegen die Political Correctness beschwert sich in der aktuellen Ausgabe von Frank Böckelmanns Zeitschrift Tumult – Vierteljahresschrift für Konsensstörung über die „Elite-Deutschen“, die nach seiner Meinung „Kultur und Geist und Homogenität eines Volkes mit Traditionen und gewachsenen Eigenheiten“ missachten. Wenn das deutsche Volk in Gefahr ist, vergehen Matussek die Smileys.

Wie er sich wohl am 8. Mai gefühlt hat? Sein Autorenkollege Alexander Schuller jedenfalls leidet im selben Tumult-Heft am „kulturellen Zusammenbruch“, für den der 8. Mai bis heute stehe.

Man fragt sich, was eigentlich ist neu an den neuesten Rechten, wenn ihr Nationalstolz noch immer so larmoyant klingt wie vor 70 Jahren. Ebenfalls ein Dauerbrenner: die allzeit bereite Totalitarismustheorie, die zum 8. Mai als rechte Vulgärversion unters Volk gebracht wird. Während sie bei Hannah Arendt noch für die liberale Äquidistanz gegenüber den politischen Extremen stand, dient sie längst Revisionisten dazu, die Unterschiede zwischen Nationalsozialismus und Kommunismus zu verwischen und die Deutschen zu Opfern zu verklären.

„Mit dem 8. Mai 1945, der zunehmend euphorisch als ‚Tag der Befreiung‘ gedeutet wird, hatten Unmenschlichkeit und Grausamkeit in Europa noch immer kein Ende“, schrieb gerade erst Erika Steinbach auf ihrer Homepage. „Zunehmend euphorisch“?

Chávez und Orbán

Abgesehen davon, dass kein vernünftiger Mensch behauptet, dass mit dem 8. Mai der Weltfriede eingetreten sei, führt diese Parallelisierung deutscher Vernichtungspolitik und kommunistischer Verbrechen geradewegs zu der These, die Antifa sei ja auch nicht besser als Neonazis und AfD. Die Pegida-Sympathisantin und ehemalige DDR-Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld stellte denn auch neulich in der Jungen Freiheit fest, rechte Gewalttäter würden doch nur die Praxis der Linksextremen „kopieren“.

Eine Art Totalitarismus in neuem Gewand scheint der Populismus zu sein, über den seit letztem Sommer verschärft debattiert wird. Wie der Totalitarismus wird er abstrakt als antipluralistische Position markiert – ohne dass dabei ein Unterschied zwischen linken und rechten Forderungen gemacht würde. So nennt Jan-Werner Müller in seinem jetzt erschienenen Essay „Was ist Populismus?“ Hugo Chávez und Viktor Orbán in einem Atemzug. Populisten, so Müller, der in Princeton Politische Theorie und Ideengeschichte lehrt, seien nicht nur antielitär, sondern beanspruchten zudem, als Einzige das wahre Volk zu vertreten.

Unbestritten gibt es unter vielen (selbst ernannten) Linken einen wutbürgerähnlichen Affekt gegen „die da oben“ und den Anspruch, genau zu wissen, was „die da unten“ wollen. In der deutschen Kolumnenlandschaft ist Jakob Augstein der Maximalbefürworter eines Populismus von links. Zuletzt machte er auf Spiegel Online eine „große Entfremdung zwischen Wahlvolk und Politik“ und einen „Notstand der politischen Legitimation“ aus.

Fehlgeleitete Antikapitalisten?

Außerdem – damit mit der Querfront-Logik auf einer Linie – will er wissen, dass ostdeutsche Rassisten eigentlich fehlgeleitete Antikapitalisten sind. So anmaßend affirmative Bezugnahmen auf den angeblichen „Volkswillen“ sind, so ist doch zumindest – will man schon bei der populären Populismusdiagnose bleiben – ein Unterschied zwischen linkem und rechtem Populismus zu machen.

Eine antipluralistische Position kann schließlich rassistisch argumentieren oder einfach nur gegen Banker, Gentrifizierung und die USA agitieren. Der rechte Populist schließt Gruppen nach völkischen Kriterien aus dem „wahren Volk“ aus, während der linke Populist immerhin im Namen der rassistisch Ausgeschlossenen und Subalternen zu sprechen beanspruchen könnte.

Aram Lintzel

Aram Lintzel ist Referent für Kulturpolitik der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen und Publizist.

Der rechte Populist sehnt sich nach hierarchischen Verhältnissen, der linke fordert im besten Fall ökonomische Gleichheit. Wenn Jan-Werner Müller – typisch liberal – gleichen Abstand zu links und rechts hält und den Populismusbegriff formalistisch entleert, geraten ihm die konkreten Feinderklärungen aus dem Blick.

Das Passepartout „Populismus“ saugt die Differenzen auf und wirkt letztlich entpolitisierend. Umso mehr dürfte es Totalitarismustheoretiker freuen, wenn die AfD im vorletzten Spiegel verniedlichend unter „Populismus“ abgehandelt wird. Unter dem Rubrum könnte genauso ein Essay über Gandhi erscheinen, der war für Jan-Werner Müller nämlich populistisch wie die rechten Hater von heute auch.

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3 Kommentare

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  • Populisten sind Beschwerdespezialisten, die dem kleinen Michel erklären, warum die Welt so mies ist und wer dran "Schuld" hat, und weshalb er sich also zu empören hat. Populisten sind wortlaut und handlungsschwach. Sie freuen sich, nicht regieren zu müssen, denn "Die Politik bedeutet ein starkes langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich." (Max Weber). Was ein mühsames und undankbares Geschäft ist, das nichts als Schimpf, Schande und Besserwisserei einbringt (Da hilft es auch wenig, wenn der Obama die Merkel streichelt). Populisten fordern unisono Direkte Demokratie. Da können sie ihre Kernkompetenz ausleben: aufheizen und abholzen.

  • Alles Populismus - oder was?

     

    In der politischen Debatte wird „Populismus“ gern wie eine Streubombe als rhetorische Konterwaffe zur Abwehr jeglicher Kritik an den gesellschaftlichen Zuständen in Anschlag gebracht. Dabei herrscht bei den diversen Begriffsdefinitionen ein heilloses semantisches Durcheinander. Von „einem spezifischen Politikstil“, „einer Form der politischen Rhetorik“, einer „Strategie zum Machterwerb“ bis zu nichts weniger als einer eigenständigen „Ideologie“, aber ohne „bestimmtes, eigenes Wertesystem“ und „ideologischen Kern“ (sic!) ist alles im Angebot. „Populismus“ könne mit allen möglichen „politischen Richtungen und Zielsetzungen einhergehen“. Kurz - „Populismus“ ist alles und - nichts, ein Passepartout-Begriff, eine rhetorische Allzweckwaffe, ein Wechselrahmen politischer Beliebigkeit. Er sei kein Substanz- sondern ein Relationsbegriff, so das höchstrichterliche BzpB-Verdikt, folglich ein Begriff ohne Substanz.

     

    Es gibt wohl kein politisches Phänomen in der Geschichte, auf welches das eine oder andere aufgelistete „Populismus“-Merkmal nicht anwendbar wäre. So etwa der „Anti-Elitismus“, denn alle Revolutionen waren von nichts anderem als davon getrieben, also gegen die jeweiligen Herrscher-Eliten gerichtet, seien sie nun göttlicher oder sonstiger Provenienz. Nach Cas Mudde steht gar jegliche die Klassenteilung anprangernde und den Respekt der „volonté générale“ postulierende Ideologie an diesem Schindanger des politisch Aussätzigen. Rousseau und Marx - nichts als „Populisten“?

     

    In einer Debatte des „Progressiven Zentrums“ zum Thema lautete die Antwort auf eine Zuhörerfrage, auf welche Begriffsdefinition man sich denn nun hier beziehe, darüber herrsche in den Politischen Wissenschaften „Common sense“. Zu den Merkmalen des Populismus führt Wikipedia nun pikanterweise die „Berufung auf den „gesunden Menschenverstand“ (common sense)“ an. Ergo: Das permanente Rundum-Schwingen der rhetorischen Populismus-Keule ist nichts anderes als - Populismus.

    • @Reinhardt Gutsche:

      Für eine Behauptung, die auf ein einzelnes Wort eingedampft wird, das "kein Substanz- sondern ein Relationsbegriff" ist, hat der Volksmund die hübsche Bezeichnung "Totschlag-Argument" erfunden.

       

      Was frei von jeder Substanz ist, wird vor allem von Leuten gebraucht, die sich insgeheim unterlegen fühlen und Angst haben, das zuzugeben. Es kann nämlich beim besten Willen nicht mehr als Argumentationshilfe verwendet werden, sondern bloß noch als Schusswaffe im Duell. Wer zuerst trifft, hat gewonnen. Der andere bleibt leblos auf der Strecke.

       

      Populismus ist so ein bis zur Substanzlosigkeit abstrahiertes Wort, das alles sagt und zugleich gar nichts. Weil es als hohle Form alles aufnehmen kann, was andere hineininterpretieren an inneren Konflikten, wird es von vielen Leuten heiß geliebt. Die Taschenspieler, die damit hantieren können, werden quasi göttlich verehrt.

       

      Warum? Ganz einfach: Sie geben Leuten eine Stimme, die etwas fühlen, was sie gerne ausdrücken würden, ohne es vorher in Worte fassen und zu dem Zweck überdenken zu müssen. Elite ist ein anderes dieser Worte. Kein Wunder also, dass es doppelt kracht, wenn Populismus und Elite aufeinander treffen. Man kann bzw. muss so etwas wollen. Es lohnt sich also immer, nach dem Zweck zu fragen: Wem nutzt es und in welcher Weise?