Kolumne Besser: Antisemitismus? Ist abgeschafft
Jutta Ditfurth gegen Jürgen Elsässer und der Brandanschlag auf die Synagoge in Wuppertal – über zwei bemerkenswerte Urteile deutscher Gerichte.
D er Antisemitismus ist in Deutschland abgeschafft. Nee, echt jetzt. Denn das behauptet nicht irgendwer, das verkünden zwei Urteile deutscher Gerichte aus der jüngeren Vergangenheit. In einem Fall hatte der Journalist und Politaktivist Jürgen Elsässer gegen die Publizistin und ehemalige Grünen-Politikerin Jutta Ditfurth geklagt, weil sie ihn in einem Interview mit der Sendung „Kulturzeit“ auf 3sat als „glühenden Antisemiten“ bezeichnet hatte. Anlass waren die „Mahnwachen für den Frieden“, bei denen Elsässer, ein Wortführer der deutschen Internetspinner, als Redner aufgetreten war.
Das Münchner Landgericht hat Elsässers Klage recht gegeben. Schon am Ende der Hauptverhandlung im Oktober sagte die Richterin Petra Grönke-Müller: „Ein glühender Antisemit in Deutschland ist jemand, der mit Überzeugung sich antisemitisch äußert, mit einer Überzeugung, die das Dritte Reich nicht verurteilt und ist nicht losgelöst von 1933 bis 45 zu betrachten vor dem Hintergrund der Geschichte.“
Ähnlich heißt es in der Urteilsbegründung: „In dieser Bezeichnung kommt zum Ausdruck, dass derjenige die Überzeugungen teilt, die zu der Ermordung von 6 Millionen Juden unter der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft geführt haben, und die Menschen alleine aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft angreifen und für die Übel in der Welt verantwortlich machen.“
Gemessen an dieser Definition wurde der letzte Antisemit um 1960 in Jerusalem gesichtet. Denn so blöd, den Antisemitismus oder gar den Holocaust gutzuheißen, ist niemand; der beinharte Neonazi nicht – der verleugnet den Holocaust nämlich –, und der gewöhnliche Antisemit der Gegenwart auch nicht – der verurteilt den Holocaust, um sogleich zu erklären, die Israelis seien die Nazis von heute.
Ehrbarkeit des Antisemitismus
Die Zeiten, in denen Antisemit eine normale politische Selbstbezeichnung war wie Liberaler oder Sozialdemokrat, sind seit Auschwitz vorbei. Der moderne Antisemitismus hält sich an den Staat Israel, der den Platz des „Weltjudentums“ eingenommen hat, und argumentiert nicht trotz, sondern wegen Auschwitz.
„Der Antisemitismus ist ein politischer Ausdruck der Rechten, und dennoch ist die Linke nicht frei davon“, schrieb Jürgen Elsässer 1992 in seinem Buch Antisemitismus – das alte Gesicht des neuen Deutschland.
Und weiter: „Als nach der Wende der bundesdeutschen Politik 1965/66 der Anti-Israelismus in der offiziellen Sprache keine Stütze mehr hatte, wurde der ‚linke‘ Antizionismus zum wichtigsten Statthalter im gesellschaftlichen Diskurs. Demagogien wie die von der ‚Endlösung der Palästinenserfrage‘ oder den israelischen ‚Konzentrationslagern‘ oder Jubel über tödliche Anschläge palästinensischer Kommandos erhielten durch die Linkspresse eine ‚Ehrbarkeit‘ (Amery), die sie ansonsten verloren hatten. Ein tragischer Widerspruch: Oft waren es dieselben Linken, die sich einerseits in bewundernswerter Kontinuität den Auftritten von Nazi-Gruppen entgegenstellten, und andererseits in ihren antizionistischen Tiraden deren Inhalte selber verbreiteten.“
Man kann sich vorstellen, was der Elsässer des Jahres 1992 über den Elsässer des Jahres 2015, den Verschwörungstheoretiker und Querfrontstrategen, gedacht und geschrieben hätte.
Ditfurth hat auf ihrer Webseite zahlreiche Belege dafür gesammelt, weshalb sie glaubt, Elsässer, der zuletzt als Redner bei der rechtsextremen „Legida“-Demonstration aufgefallen war, so bezeichnen zu können, wie sie ihn bezeichnet hat. Um in die kostspielige Berufung gehen zu können, bittet sie um Spenden.
Brandstiftung ohne Antisemitismus
Das andere bemerkenswerte Urteil stammt vom Amtsgericht Wuppertal, das Anfang Februar drei Deutschpalästinenser wegen eines Brandanschlags auf die dortige Synagoge zu Bewährungsstrafen verurteilte – ohne „Anhaltspunkte für eine antisemitische Tat“ zu erkennen. Die drei hätten nur die „Aufmerksamkeit auf den Gaza-Konflikt lenken wollen“. Klar. Und die Mörder im jüdischen Supermarkt in Paris und der Synagoge in Kopenhagen wollten lediglich die Aufmerksamkeit auf die Aggression gegen den souveränen Kalifatstaat, die Islamophobie in Westeuropa das langweilige Fernsehprogramm lenken.
Nach den Urteilen in München und Wupprtal würde jedenfalls auch ein solcher Richterspruch nicht mehr allzu sehr verwundern. Deutsche Richter, die womöglich selber bei früheren NS-Juristen studiert haben, wissen, dass Antisemitismus nicht koscher ist. Anstatt sich mit dessen modernen Erscheinungsformen auseinanderzusetzen, erklären sie ihn kurzerhand im Namen des Volkes für abgeschafft.
Besser: Spenden. Und zwar an: Jutta Ditfurth. Verwendungszweck: „Elsässer-Prozess“, Konto-Nummer 1200881450, BLZ: 50050201 bei der Frankfurter Sparkasse. Möglichst schnell, die Einspruchsfrist läuft bald ab.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
James Bond
Schluss mit Empfindsamkeit und Selbstzweifeln!
Nachtcafé für Obdachlose
Störende Armut