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Kolumne BauernfrühstückNot the yellow from the egg

Anja Maier
Kolumne
von Anja Maier

In Brüssel scheitert Horst Seehofer an englischen Interviewfragen. Ihn deswegen als „bildungsfern“ zu bezeichnen, ist total daneben.

Menschen für schlechtes Englisch dissen? Nicht das gelbe vom Ei Foto: Tania Melnyczuk/Unsplash

K ürzlich war der Bundesinnenminister in der schönen Stadt Brüssel und kreuzte dort den Weg eines Trüppchens MedienberichterstatterInnen. „Minister, one question in English …?“, wurde er angesprochen. Horst Seehofer drehte sich kurz um, lachte verlegen und antwortete: „Nix. No other language.“ Alsdann drehte er ab und eilte vonhinnen. „Was für ein bildungsferner Honk!“, kommentierte ein Feuilletonkollege auf Facebook den Satz des Ministers. Ich las das und dachte: Was für ein schnöseliger Wichser. Und zwar nicht über Horst Seehofer.

Willkommen in der Welt der Bildungshuber, die die Erde zu einem schambesetzten Ort machen. Es handelt sich um Leute, die meinen, dass Fremdsprachen zu beherrschen zur sozialen Grundausstattung gehört. Menschen, die nicht fließend dreisprachig parlieren, gehören für sie zu einer vernachlässigbaren Minderheit. Wer nicht auf Mandarin seinen Flat White zu ordern in der Lage ist, gilt diesen Leuten als würdeloses Gemüse. Auch wenn es sich um einen 69 Jahre alten Minister handelt.

Man muss nicht (ich finde sogar: man sollte nicht) die politischen Positionen von Horst Seehofer teilen. Aber ihn abzuwerten, weil er kein Interview in fließendem Englisch zu geben imstande ist, ist arm. Ich schreibe das hier so hin, weil auch mein Englisch nicht das Beste ist. Und das obwohl ich nicht wie Horst Seehofer jahrzehntelang in der Münchner Staatskanzlei festgekettet war. Ich habe sogar mal ein halbes Jahr in Neuseeland gelebt, und trotzdem ist mein Englisch alles andere als the yellow from the egg. Das könnte nicht nur an meinem sehr übersichtlichen Sprachtalent liegen, sondern auch an meinem Ü50-Jahrgang sowie meiner Herkunft aus Ostelbien. Aber ganz ehrlich: Ist das nicht wurscht? Ich bin nicht stolz drauf, mäßig Englisch zu sprechen. Aber ich will mich deshalb auch nicht schämen gehen. Kommt überhaupt nicht in Frage.

Schon als es nach dem Mauerfall damit losging, dass die Stellenanzeigen in einem turbokapitalistischen Bullshit-Englisch gedruckt wurden, hätte ich mich kümmern sollen. Damals hatte ich wenigstens noch Facility Manager werden können. Als ich in den Nullerjahren in Berlin meine Saftschorle nicht mehr auf Deutsch bestellen konnte, hätte ich mich noch aufholen gekonnt. Aber letzte Woche, als bei der Frauentagsdemo auf dem Alexanderplatz achtjährige Girls „I will fight for women’s rights“-Transparente und Vorschuljungs „Real men are optimists“-Schilder in den Frühlings­himmel reckten, war klar: Es ist zu spät. Ich hätte besser aufpassen sollen damals in der Polytechnischen Oberschule und später bei all den schönen Reisen, die ich dank Helmut Kohl machen durfte.

Im Jahr 2019 adressiert die gesellschaftliche Avantgarde ausschließlich auf Englisch. Wer nicht im Club ist, ist einfach nicht im Club. Wozu sollen die mit solchen Leuten reden? Vor allem: Worüber? Die haben doch sich. Ja gut, ich hab aber mich. Und no other language.

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Anja Maier
Korrespondentin Parlamentsbüro
1965, ist taz-Parlamentsredakteurin. Sie berichtet vor allem über die Unionsparteien und die Bundeskanzlerin.
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11 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • Kluger Kommentar. Zweisprachigkeit ist so selten wie auch Klugheit, die häufig mit Informiertheit verwechselt zu werden scheint. Man sollte also mehr in gutes Übersetzen investieren, bevor die Sottise Schäubles, dass die vielen mit Englisch Fremdelnden diese kluge Sprache ruinieren werden, wahr gemacht wird. Aber wie immer ist der Mann etwas einseitig: Wenn alle Welt englisch radebrecht, ruiniert das letztendlich auch die vielen Muttersprachen - ist das Kollabierenlassen von Vielfältigkeit zwanghaft und ubiquitär... ?

  • Also liebe Anja Maier, das ist ein wichtiger, anregender Text.

  • Drittens. Da ist die Verwendung von „Bildung“ als Distinktionsmerkmal durch das wohlsituierte Bürgertum. Das Inhalt dieser Art von „Bildung“ ist fast egal, seien es nun Rechtschreibregeln, Balladen aus dem 19. Jahrhunderts, Lateinkenntnisse, Klavierspielen, abstruse Mathematikdetails oder eben Fremdsprachen. Wichtig ist nur, dass man etwas hat, mit dem man auf viele andere herabsehen kann. Das geht hervorragend mit „Bildungs“-Inhalten, die fern vom täglichen Leben oder auch sehr zeitaufwändig zu erwerben sind. Die Kompetenz alleine ist es nicht, denn der des Englischen einigermaßen mächtige BWLer betrachtet sich als gebildet und fühlt sich dem kurdisch-, türkisch-, deutschsprachigen Gemüseverkäufer mit seinem Schulenglisch meilenweit überlegen.

    Nebenaspekt: So lange das „höhere“ Schulsystem hier auf Distinktion durch „Bildung“ zielt, so lange bleibt es auch sozial überdurchschnittlich selektiv, so wie es für das Bürgertum auch sein soll.

  • Zweitens. Wenn ich einen typischen Politiker in einer ihm fremden Sprache (wie so oft apodiktisch) reden höre, fürchte ich oft, dass er so auch denkt. Die männliche Form ist hier mit Bedacht gewählt. Ich weiß, wie schwer es ist, sich in einer Fremdsprache wirklich differenziert formal auszudrücken. Man liegt sehr oft daneben. Das gilt auch für Unmuts- oder Wutäußerungen. „Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt.“ Wenn Wittgenstein recht hat, dann wundere ich mich nicht über die inhaltliche Qualität und den mangelnden Differenzierungsgrad der Diskussionen in EU-Gremien und der „Euro-Group“. Viele reden in dieser Art von Englisch wie im Nebel. Denken die auch so, mit Nebel im Hirn? Das wäre ein Faktor, der die Vorherrschaft der neoliberalen Ideologie begünstigt. In den Muttersprachen zu diskutieren wäre wegen der notwendigen professionellen Dolmetscherei teuer und ineffizient. „Teuer und ineffizient wie die Demokratie“, meinen offensichtlich die fachkompetenten Eliten. Da spiegelt sich was!

  • in anregender Text!

    Auch die Kommentare unter dem Artikel zeigen, dass das Problem noch größer ist als die Autorin angenommen hat und dass es weitere Facetten besitzt:

    Erstens. Alltagspsychologisch schließen wir vom Sprachvermögen auf das Denkvermögen eines Menschen. Das ist schwer zu vermeiden. Wie wirkt ein mäßig Englisch sprechender führender Politiker auf eine_n Muttersprachler_in? Besteht nicht die Gefahr, dass die so ein bisschen dümmlich rüberkommen? Wäre es nicht eine verständliche Taktik für einen Politiker, Interviews in einer Fremdsprache, auch einer, in der er sich im Alltag sicher bewegt, abzulehnen und mich besser auf einen Dolmetscher zu verlassen? Kann es nicht sein, dass sich insbesondere Amerikaner dem Rest der Welt überlegen fühlen, weil sie so viele andere als „inguistically challenged“ erleben?

  • Ich kann den Unmut über einen arroganten Kommentar verstehen. Ich sehe mangelnde Sprachkentnisse gerade des Englischen bei Entscheidern und Amtsinhabern aber kritisch: das Verständnis für Kulturen nimmt mit der Kenntnis der Sprachen deutlich zu. So ist das Phänomen Trump rein deutsch gedacht (und das meine ich nicht nur übertragen) nur schwer zu erschliessen.

  • "Und das obwohl ich nicht wie Horst Seehofer jahrzehntelang in der Münchner Staatskanzlei festgekettet war." 1/3 Staatskanzlei, 2/3 Bierzelt, das dürfte die Realität eher abbilden.

  • 8G
    88059 (Profil gelöscht)

    My lovely Mister Singing Club, I think my pig whistles!



    Was für eine Farce!

    Lasst doch den Horst, der scheitert ja schon regelmäßig an der Fremdsprache deutsch...

    Aber sich drüber aufzuregen, dass sich andere aufregen, das ist schon die ganz große Kunst des Trollens. Und voll meta.

    CHAPEAU!

  • Kann man so sehen. Man das aber auch so sehen, dass die Beherrschung (und Anwendung) einer Zweitsprache eben nicht nur ganz praktisch ist oder es einem erspart, sich zu schämen, sondern ganz erhebliche Auswirkungen auf Sprachverständnis und Denkvermögen hat. Eben weil es die ansonsten meist völlig unbewusste Kopplung von Gedanken und Sprechen aufbricht.

    Es ist keine Schande, kein Englisch zu können, aber Englisch (oder eine andere gebräuchliche Sprache) zu verstehen, lesen zu können und überhaupt seine Gedanken aus verschiedenen Richtungen beleuchten zu können, ist ein massiver Vorteil. Es ist kein Zufall, dass Leute wie Trump immer "proudly monolingual" sind: Ihre Äußerungen sind immer nur direkter und unwillkürlicher Ausdruck ihrer Gedanken. Wer nur eine Sprache spricht, verwechselt sehr leicht Worte mit den Dingen, für die sie stehen. Wer seine Gedanken nicht auch in einer anderen Sprache ausdrücken kann, der hat sie mit hoher Wahrscheinlichkeit weniger verstanden als jemand, der das kann.

    Das ist auch kein hochgestochenes Geschwafel, sondern nachgewiesener Effekt, der sich z.B. durch deutlich verringerte Provozierbarkeit bemerkbar macht.

    Vieles davon ist im Alltag zweitrangig, aber für Politiker ganz und gar nicht.

  • 9G
    970 (Profil gelöscht)

    Geht doch am Kern der Sache vorbei: der Bundeshorst ist Deutscher. So deutsch werden die Internationalisten nicht mehr!

  • In den USA fangen Schüler erst in der achten Klasse oder so mit einer Fremdsprache an. Je nach Staat brauchen sie für ihren High School Abschluss nur zwei Jahre einer Fremdsprache, im College ist es ähnlich. Nicht umsonst hört man dann von entsprechenden Leuten, "Wir sind hier in Amerika. Hier wird Amerikanisch gesprochen!"