Kolumne Aufgeschreckte Couchpotatoes: Letzter Anker Sylt
Sehnsucht nach daheim auf La Réunion: Selbst die gut gewürzten Krabbenteigtaschen sind nichts gegen die frischen Krabben aus der Nordsee.
Gruppenreise nach la Réunion, der Tropeninsel im Indischen Ozean. „Chamäleons und Wale, die bunte kreolische Kultur, die weltbekannte Vanillepflanze, schwarze Strände, ein aktiver Vulkan“, so wird die Insel, die zu Frankreich gehört, beworben. Es ist nicht zu viel versprochen: La Réunion ist schön, wild, abwechslungsreich, vielfältig, besonders.
Karlheinz und Bernd aus Niedersachsen hat sie nicht imponiert. Die Reise war eine Trophäe, die sie beim letzten Jagdwettbewerb gewonnen hatten. Ihre einzige Auflage: ein Reisebericht für Wildwechsel, das regionale Jagdmagazin. Sie haben für dieses bislang Jagdgewehre getest. Nun testen sie eine Reise.
Die befreundeten Herren, Karlheinz, der bodenständige Spargelbauer, und Bernd, der markenverwöhnte Unternehmer, nervten. Karlheinz mit seinem unerschöpflichen Reservoir an Männerwitzen aus dem letzten Jahrhundert. Und Bernd, dem in seinen teuren eng geschnitten Hemden, die immer leicht am Bäuchlein spannten, jede Anstrengung zuwider war. Dafür konnte Karlheinz in der weiten Cargohose alles mitgehen lassen, was ihm so nebenbei gefiel.
Noch in den schönsten Hotels fanden sie eine Haar in der Suppe: der Föhn zu heiß, die Dusche zu lasch. Das feinste Menu „würztechnisch zu streng“, die Natur zu wild, die Strände zu grobsandig, der gerade aktive Vulkan zu wolkenverhangen, die Vulkanebene zu wüstenartig und für Bernds feine Sportschuhe ohnehin nicht geeignet. Das Sonntagspicknick am Strand, bei dem sich die Gastgeber vor Zuvorkommenheit überschlugen, war ihnen zu unhygienisch. Und dann der Wein. Den sollten sie bei dieser All-inclusive-Reise selbst bezahlen. Wachsam teilten sie die Flaschen untereinander auf. Selbst dem Guide, der sie den ganzen Tag zu befrieden versuchte, gönnten sie keinen der teuer bezahlten Tropfen.
Sie wollten luxuriöse Komfortzone, ganz für sich. Günter, der geschwätzige Besserwisser, kannte ohnehin alles, nämlich von Sylt. Der feinkörnige Strand, die gehobene Gastronomie, die schimmelfreien Hotels und die Speisekarten auf Deutsch – Günter und Bernd verglichen das touristische Angebot Réunions permanent mit Sylt. Und Bernd konnte es nicht fassen, dass auf Réunion die Speisekarten in Französisch waren, das er ja nicht versteht. Die Frage, ob Franzosen auf Sylt französische Speisekarten fänden, brachte ihn immerhin ins Überlegen.
Im Zeitalter der Kosmopoliten waren sie zwei selbstgefällige Dinosaurier aus deutschen Landen. Man darf gespannt sein, was sie in Wildwechsel über die Reise schreiben werden. Vielleicht einen Vergleich der frittierten und viel zu fettigen Krabben im Teigmantel à la Creol mit den köstlich frischen Nordseekrabben von Sylt.
„Dass es so etwas noch gibt im 21.Jahrhundert“, empörte sich eine junge Mitreisende. Sie war wahrscheinlich noch nie auf Sylt!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe