Kolumne American Pie: Gefährlich einfach
Die Houston Rockets spielen Basketball nicht „the right way“. Können sie so die dominanten Golden State Warriors wirklich stoppen?
D ie Basketballwelt erlebt gerade ein kollektives Déjà-vu. Einmal mehr bahnen sich die zwei dominantesten NBA-Franchises der letzten Jahre ihren Weg in die NBA-Finals. Das Duell der Cleveland Cavaliers unter König LeBron James gegen die Golden State Warriors könnte Anfang Juni in eine vierte Runde gehen. Selbst die Houston Rockets, das beste Team der regulären Saison, scheinen daran nichts ändern zu können.
Im ersten Spiel der Conference Finals gegen Golden State setzte es in eigener Halle eine 106:119-Niederlage. Ein unkonventionelles Spielsystem und die Playoff-Allergie der Superstars James Harden und Chris Paul könnten den Rockets einmal mehr im Weg stehen. Schon nach Spiel eins der Finale-Serie steht in Frage, ob der kontinuierlich perfektionierte Masterplan championship-tauglich ist.
„Wir sind praktisch besessen von der Frage‚ wie wir die Warriors schlagen können?“, gestand Houstons General Manager Daryl Morey vor dem ersten Duell. Das spielerische Talent einer der besten Kader der NBA-Geschichte zu überbieten, ist illusorisch. Um die Dynastie aus Oakland zu stürzen, braucht es Kreativität und Mathematik. Dass drei Punkte mehr zählen als zwei, hat die ganze NBA mittlerweile verstanden. Dunks und Dreier sind die effizientesten Abschlüsse im Basketball und der lange Mitteldistanzwurf demnach die mathematisch unerwünschte Option.
Diese Erkenntnis wurde von Houston in den letzten Jahren auf die Spitze getrieben. Die Rockets verzichten in ihrer Offensive fast komplett auf den Mitteldistanzwurf und nahmen in der vergangenen Saison als erstes Team in der Geschichte der NBA die meisten ihrer Würfe von hinter der Dreierlinie. Während Basketballgelehrte vom komplexen Teambasketball der Warriors schwärmen, suchen die Rockets immer neue Wege, ihr Spiel zu vereinfachen. Komplizierte Spielsysteme und lange Passstafetten sind nach ihrer Definition unnötige Energie- und Zeitverschwendung. Effizienz ist bei den Houston Rockets nicht ein Kriterium unter vielen, es ist die Spielphilosophie selbst.
Isolation Houston
Das Angriffssystem von Headcoach Mike D’Antoni ist demnach genauso leicht zu durchschauen, wie es schwer zu verteidigen ist. Die Rockets verbinden ihr modernes Basketballverständnis mit dem aus der Zeit gefallenen taktischen Mittel der Isolation. Das System, das auf dem simplen Eins-gegen-Eins beruht, ist eigentlich als „Heroball“ verschrien. In den 1990er Jahren waren NBA-Angriffssysteme vom Eins-gegen-Eins geprägt, heute gilt die Isolation als schlechte Angewohnheit egoistischer Starspieler. Trotzdem betreiben die Rockets kein Nineties-Revival, wenn James Harden und Chris Paul ihren inneren Streetballer rauslassen. Erstens bindet das Team die gegnerischen Verteidiger oft weit weg vom Korb und schafft so viel Platz für die Stars. Und zweitens sind ja die Mitteldistanzwürfe weiterhin verboten.
Eine herausragende Rolle spielt dabei der wertvollste Spieler dieser Saison: James Harden. „The Beard“ ist statistisch der mit Abstand beste Eins-gegen-Eins Spieler des Planeten. Scheinbar mühelos zerlegt er Spiel für Spiel die gegnerische Verteidigung mit Step-back Dreiern und Schrittfinten. Kommt ein zweiter Verteidiger zur Hilfe, findet Harden den richtigen Pass hinter die Dreierlinie oder unter den Korb.
Die Spielphilosophie der Rockets ist bei vielen Fans höchst umstritten. Trotzdem hielt die Franchise über die Jahre stur daran fest, perfektionierte das System und verbesserte kontinuierlich den Kader. Die bisherige Bilanz ist der erste Platz in der Western Conference, eine der gefährlichsten Offensiven aller Zeiten und ein schier unbegreifliches 50-Punkte Viertel in der ersten Runde der Playoffs gegen die Minnesota Timberwolves. Ob die Rechnung auch gegen Golden State aufgeht, wird sich zeigen. Spiel zwei der Best-of-seven-Serie steigt in der Nacht auf Donnerstag. Philon Griesel
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