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Kolumne Älter werdenGeboren, um frei zu sein

Die Haare mit dem Flammenwerfer kürzen? Tod auf der Bühne? In der hessischen Provinz war alles möglich.

D as Jubiläumsjahr 2008 - 40 Jahre nach 68 - ist fast zu Ende. Alles ist zur Jugend- und Studentenrevolte und der noch immer aktuellen GUTEN Rockmusik von (fast) allen längst geschrieben und gesagt worden; darunter auch Obskures und schwer verdauliche Vergleiche mit der nationalen, völkermörderischen Revolution 1933 ff. Und deshalb, liebe Altersgenossinnen und -genossen der Generation 50 plus links, lassen WIR es zum Schluss einfach noch einmal so richtig krachen, damit die professionellen Miesmacher sich wieder die Bettdecken über die Ohren ziehen. Und die orthodoxen Eiferer von damals ff. auch in zehn Jahren noch den "Big Zeppelin" aufblasen und in bizarren Talkshows aus der Geriatrie (70 plus) wieder was vom eigentlich konterrevolutionären Charakter des von den Kindern der Bourgeoisie aus Langeweile angezettelten Revoluzzerei erzählen können.

Bild: privat

Klaus-Peter Klingelschmitt ist Korrespondent der taz in Frankfurt. Das Bild zeigt ihn als Gitarrist der Rockgruppe Dreadful Desire im Jahre 1969.

WIR lassen es also krachen wie Jimi Hendrix mit seinen (Gitarren-)Riffs von 68, die nur Wochen später genau so ohrenbetäubend durch die Sporthallen in der deutschen Provinz fetzten - nachgespielt von blutjungen Amateuren mit vom vielen Üben wunden Fingerkuppen: "Djjjjjjjjjjjjjjjjjjjjjjjjjjj! Ramdamda! Ramdamda! Ramdamda!" (Foxy Lady)

Ich war da gerade 16 - und einer dieser tollkühnen Kopisten, die sich in einer neuen Rockformation mit Verve in die neue Zeit hineinspielen wollten; reproduzierend tätig an der Frontlinie im Kampf gegen das "Establishment" - das war für uns in der hessischen Provinz die Eltern- und Großelterngeneration -, das einem die langen Haare gerne "mit dem Flammenwerfer" heruntergebrannt hätte. Und WIR waren - anpolitisiert - gegen den (Vietnam-)Krieg und solidarisch mit den aufbegehrenden Studenten weltweit.

Deshalb führten "Dreadful Desire", bei denen ich seit dem Sommer 68 die E-Gitarre spielte, bei ihren Gigs - wir waren einmal Vorgruppe der bekannten Beatcombo Lords - das Stück "The Unknown Soldier" von den Doors als antimilitaristische Performance auf. Nach einem exzellenten Trommelwirbel "erschoss" ich unseren Sänger Pete, der die auf dem Flohmarkt ergatterte Jacke eines Schwarzen Ulanen aus dem deutsch-französischen Krieg von 1870/71 trug, symbolisch mit meiner Gitarre. Und Pete mit seiner schulterlangen roten Mähne fiel um wie ein nasser Sack. Ich sang leise für ihn weiter: "Make a grave for the unknown soldier...!" Die kleine Musiktheateraufführung mündete danach in eine irre Klangorgie. Pete feierte Resurrektion und schrie sich dazu die Seele aus dem dürren Leib: "Its all over, the war is over!" Auf der Bühne und unten im Saal tobte das Leben. Die Welt gehörte UNS. Es war der Wahnsinn.

SIE haben sicher ganz ähnliche Erinnerungen an das Jahr 68, liebe Angehörige der Generation 50 plus links; selbst mein kleiner Bruder (geb. 1955) war schon Teil des WIR - und es ging natürlich gegen DIE (Jim Morrison). So einfach war das damals. Solche Erinnerungen sind Kostbarkeiten; sie bedürfen der Pflege auch über das Jubiläumsjahr hinaus. WIR können uns glücklich schätzen, dieser Generation anzugehören. Es ist die Gnade der etwas späteren Geburt; die Älteren dagegen waren vielfach schon ideologisch verbohrt (und verklemmt). Dreiundzwanzig Jahre nach dem fürchterlichen Krieg hatten WIR die Chance zur Emanzipation vom (scheinbar) Ewiggestrigen; und WIR haben sie genutzt, individuell und kollektiv. Darauf können WIR alle stolz sein.

Die Erinnerung an 68 - die 70er begannen dann finster mit dem Tod von Hendrix, Janis Joplin und Jim Morrison - wird UNS auch weiter eine (mentale) Hilfe beim Älterwerden sein. Also: Prosit Neujahr! Stellen Sie in der Silvesternacht die Boxen ins Fenster und lassen Sie es ordentlich krachen: "Wir sind geboren, um frei zu sein ?" (Ton Steine Scherben). Ach wie herrlich - naiv.

Rein: CD "Best of Taste" (wiederentdeckt). Hermann Hesse: "Beschreibungen einer Landschaft". Großpackung Chinakracher (für den kläffenden Köter nebenan). Raus: Endgültig der letzte Weihnachtsklimbim aus dem Keller (Restmülltonne).

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