piwik no script img

Kolumne Älter werdenIch bin Dein Nachtgespenst

Über Infantilismus und Ignoranz bei Herstellung und Verkauf von Damenschlafbekleidung.

L iebe Altersgenossinnen und -genossen der Generation 50+ links. Ganz sicher will ich Sie im neuen Jahr nicht gleich mit alten Debatten über den republikweit grassierenden Infantilismus elenden, mit dessen Erforschung und der Publikation der oft nur vagen Befunde sogar manche von UNS ihr Geld verdienen. Wie die Generationen "Golf" oder "Z" ihren - angeblich - perversen Hang zu ebendiesem Phänomen Infantilismus ausleben, interessiert mich sowieso nicht; solange diese alle brav in ihren "Ghettos" oder im "Hotel Mama" bleiben.

Klaus-Peter Klingelschmitt ist Korrespondent der taz in Frankfurt. Das Bild zeigt ihn als Gitarrist der Rockgruppe Dreadful Desire im Jahre 1969.

Ich möchte hier auch keine Klage über den umfassenden kulturellen Niedergang der Mittelschicht in Deutschland nachreichen. "In Zeiten wie diesen" (CDU Hessen) möchte auch kein Mensch mehr etwas vom PREKARIAT hören, das in der Regel sowieso immer nur die anderen sind. Mein Verhältnis zum PREKARIAT orientiert sich ohnehin schon länger an einem von Ray Davies (Kinks) geschriebenen Text gegen die Überheblichkeit demonstrierenden (Spieß-)Bürger und Yuppies im Zeitalter von Maggie Thatcher: "Dont look down to the people below, oh no, dont look down?!"

Deshalb rege mich auch ganz bestimmt nicht darüber auf, wenn DIE in Feinrippunterhemden an ihren Frühstückstischen sitzen und die Blödzeitung lesen oder in ihrer Villa eine Kolumne für sie schreiben, schon am Nachmittag RTL II gucken oder dort die Programmverantwortlichen sind oder in Jogginganzügen aus Frottee oder Ballonseide bei Plus mit Sägemehl vermischte Billigzigaretten kaufen oder Single Malt von der Insel Islay im Gourmetsupermarkt.

Wenn sich aber bei prekären Zeitgenossen 50+ alberner Infantilismus und (kulturelle) Ignoranz paaren und massiv zu Verhaltensnormen verdichten, die auch außerhalb der Grenzen dieser Parallelwelten von vorher mutmaßlich ganz normalen Menschen kopiert werden und einem bei der Verrichtung selbst ganz alltäglicher Geschäfte bald irre auf den Geist gehen, verliere sogar ich die Contenance.

So wollte ich meiner lieben Frau - sie musste ins Krankenhaus - in der rheinland-pfälzischen Kapitale Mainz ein Nachthemd kaufen; eines aus Baumwolle für eine ERWACHSENE gebildete und in ihrem Beruf erfolgreiche Frau 50+ links eben. Doch in gleich drei Kaufhäusern wurden mir die immer gleichen bonbonfarbenen Baumwollnachthemden "für Damen" angeboten, deren Frontpartien mit Bärchen, Bienchen, Mäuschen, Luftballons oder - "Kreisch!" - Sprüchen wie: "Ich bin Dein Nachtgespenst!" verunziert waren. Sonst gab es: nichts. Also weiter in ein Wäschefachgeschäft. Wieder nur Bärchen, Bienchen, Mäuschen und jetzt auch Kätzchen und Schmetterlinge auf Lindgrün oder Pink.

In meiner Verzweiflung wandte ich mich an eine Verkäuferin 60 plus und wollte von ihr wissen, ob es nur noch dieses infantile Zeug zu kaufen gebe. Sie sah mich an, als sei ich Alf aus dem All und hätte soeben die Decke zur Wäscheabteilung durchbrochen, und sagte: "Junger Mann, des ist heut Trend. Und die Dinger sind doch SOOOO GOLDISCH!" Sie habe ja ein Nachthemd mit Tante Daisy drauf; und ihr Mann einen Schlafanzug mit Donald Duck. "Und heute Abend fahren Sie mit Ihrem lila Twingo und den 200 Stofftieren darin wieder zurück nach Entenhausen zu Ihrem spitzen Ganter", gab ich patzig Antwort - und verließ schimpfend den Laden.

Vor der Tür beugte sich gerade ein älterer Mann mit Pudelmütze und taubenblauem Blouson zu einem Hündchen herab, das eine junge Frau an der Leine hielt. "Ei wie heißt du denn, mein kleiner Racker, ei was bist dann du für ein GOLDISCHES Scheißerle?!" Genau DAS quäken DIE mit ihren Mickymausstimmen auch in Kinderwagen hinein; wobei ihre Botschaften wegen der hohen Tonlage wahrscheinlich bei den Kötern besser ankommen. SOLCHE Menschen sollte man post mortem obduzieren und auf Restspuren von Hirn hin untersuchen. Vielleicht findet die Forschung ja bald einen Impfstoff gegen den Infantilismus im Alter. WIR könnten davon noch profitieren.

Rein: Spinoza. Die Ethik.

Raus: Nix.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen