Kolumne Älter werden: Der Vertreter und das Böse
Bevor ich Kinder hatte, war ich liberal: Warum Fahrradfahrer zwar nicht als "Gutmenschen", aber dafür als Bessermenschen beschimpft werden dürfen.
L iebe 68er-Genossinnen und -genossen (undogmatisch) links, ich bin die Vertretung, also die Hilfsperson, die dem Vertretenen in dessen Abwesenheit die Teilnahme am Rechtsverkehr ermöglicht. Entschuldigt abwesend ist der Kollege Klaus-Peter Klingelschmitt, wir wünschen schöne Ferien und merken uns den Begriff Verkehr - den brauchen wir gleich.
Sie als Mit68er anzusprechen habe ich mir gestattet, weil ich im Jahr 1968 geboren bin. Wäre mein Vater beim damaligen Bewusstseinsstand der Bevölkerung auf die Idee gekommen (er wäre nicht mal auf die IDEE gekommen), sich zu meiner Mutter ins Schwabinger Krankenhaus mit dem Fahrrad zu begeben (wir sind jetzt schon mitten im Thema: Verkehr), womöglich noch zusammen mit meinen damals fünf beziehungsweise drei Jahre alten Brüdern - man hätte ihn für wunderlich gehalten. Mein Familie besaß zwei VW Käfer, Rad fahren war etwas für den Sonntagsausflug, für arme Leute, Studenten und andere Spinner (tschuldigung).
Heute hingegen: ist Fahrradfahren ganz toll, gesund, öko und hip, es hat einfach das Recht auf seiner Seite - deswegen sind so viele Fahrradfahrer solche Arschlöcher. Aber langsam, die Wahrheit ist immer konkret, so habe ich es in der Schule von 68ern gelernt: Die Fahrradfahrer werden zum Beispiel immer schneller. Darauf ist unser Verkehrssystem nicht eingestellt.
AMBROS WAIBEL ist Redakteur im taz-Meinungsressort.
Es gibt heute den Typus des Fahrradpendlers, der mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von über 30 Stundenkilometern täglich zur Arbeit düst. Dieser Mensch möchte als gleichberechtigter Verkehrsteilnehmer anerkannt werden, findet sich aber oft genug auf einer von Wurzeln durchwachsenen Buckelpiste ("Fahrradweg") wieder, eingeklemmt zwischen parkenden Autos, unaufmerksamen Fußgängern, Hunden oder gar (Augen zuhalten) Kindern. Weicht er auf die Straße aus, so darf er sich anpöbeln lassen, weil er den "Fahrradweg" nicht benutzt; muss er aber nur, wenn dieser Weg in Fahrtrichtung mit den blauen Verkehrsschildern mit Fahrradsymbol gekennzeichnet ist. Und wer hat das wann erfunden? Genau, die Nazis wieder, mit ihrer Reichs-Straßenverkehrs-Ordnung vom 1. Oktober 1934.
Krieg mit besonderer Heimtücke
Der Fahrradfahrer ist also nicht per se böse, und schon gar nicht wollen wir ihn hier wie die Mietschreiber von der Springer-Presse als "Gutmenschen" beschimpfen. Als Bessermenschen allerdings schon. Denn Autofahren macht in den Innenstadtbezirken Berlins und Münchens ("Leben kann man nur in Lutetia, der Rest Galliens ist für die Wildschweine", aus "Asterix, Lorbeeren des Cäsar") schon lange keinen Spaß mehr, der Krieg wird hier wie jeder nicht offiziell erklärte mit besonderer Heimtücke geführt. Da die Radler die potenziell Unterlegenen sind, laden sie ihren Frust bei den Fußgängern ab.
Gentrifizierung bedeutet heute nicht zuletzt, dass junge Menschen auf Mörderbikes ältere Menschen (wie Sie, genau!), Hunde und (Augen zuhalten) Kinder vom Trottoir smashen. Schließen möchte ich heute mit einem Satz meines Vaters: "Bevor ich Kinder hatte, war ich liberal."
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