■ TIP: Kolumbiens kurzer Traum vom Frieden
TIP
Kolumbiens kurzer
Traum vom Frieden
(NDR 3, 21.00 Uhr) Nicht einmal Gabriel Garcia Marquez, Kolumbiens Literatur-Nobelpreisträger, hätte es phantastischer darstellen können: Comandante Oscar William Calvo, Chef der pro-chinesischen Guerilla, feiert mit der Schickeria, reichlich Champagner und Ministern im Museum für Moderne Kunst den Waffenstillstand mit der Regierung. Antonio Navarro Wolf, Kommandant der populistischen Guerillaorganisation M-19 (Movimiento de 19 avril) trifft im besten Hotel der kolumbianischen Hauptstadt mit dem schönsten Transvestiten der Welt auf einen Cocktail zusammen.
Das liegt mehr als drei Jahre zurück. Damals unternahm Kolumbiens Ex-Präsident Betancur den spektakulären Versuch, den Konflikt mit den Aufständischen durch Verhandlungen zu lösen. Er setzte eine großzügige Amnestie für die Guerilleros durch, und knapp zwei Jahre später schlossen die wichtigsten Guerillaorganisationen einen Waffenstillstand mit der Regierung. Friedenstauben in allen Größen und Preisklassen waren im Sommer 1984 die Verkaufsschlager der Straßenverkäufer in dem südamerikanischen Land.
Heute erscheint die Erinnerung an jene Tage unwirklich. Guerilla-Chef Oscar William Calvo lebt nicht mehr. Im November 1985 erschoß ihn ein Killer-Kommando auf offener Straße in Bogota. M-19-Kommandant Navarro Wolf sitzt als Krüppel im Rollstuhl, irgendwo in Mexiko oder Kuba im politischen Exil. Er verlor beide Beine, als ihn eine Granate des militärischen Geheimdienstes traf. Die Hoffnung auf eine friedliche Lösung des politischen Konflikts in Kolumbien ist verflogen. Dem Waffenstillstand folgte der „schmutzige Krieg“, 2.000 Menschen, Gewerkschafter, kritische Journalisten, Campesinos und Politiker der Linken sind im vergangenen Jahr in Kolumbien aus politischen Gründen ermordet worden. Das Militär, das der Aussöhnung mit der Guerilla von Anfang an feindlich gegenüberstand, ist in die politischen Morde offensichtlich verwickelt.
Patrick Menge erzählt über den gescheiterten Versuch, zwischen einer Guerilla, die neben ihrer kämpferischen Grundhaltung auch mit komplexen Beziehungen zur mächtigen Kokain-Mafia aufwarten kann, und einer politischen Oberschicht, die im Kampf gegen „Subversion und Kommunismus“ diskret mit den Militärs zusammenarbeitet, in einen friedlichen Dialog zu treten.
Amnestierte Guerilleros, Campesinos und Jugendliche aus den Stadtmilizen der Aufständischen kommen in der Sendung ebenso zu Wort wie die verbissen an ihren Privilegien festhaltenden Angehörigen einer „eiskalten“ Oberschicht. „Heiße“ karibische Ryhthmen, Guerilla-Songs und Balladen vom traurigen Tod eines Drogenschmugglers begleiten musikalisch das widersprüchliche Bild Kolumbiens.taz
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