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Neue Leitung für die Berliner VolksbühneBewerbung für eine Revolution

Bald soll die Volksbühne eine neue Intendanz bekommen. Die einstigen Besetzer von „Staub zu Glitzer“ haben sich beworben und wollen Veränderung.

2017 war die Volksbühne schon einmal ein kollektivierter Ort Foto: Christian Mang

Berlin taz | Noch ist die Volksbühne führungslos. Doch fast ein Jahr nach dem plötzlichen Tod des ehemaligen Intendanten René Pollesch könnte sich das für das Haus am Rosa-Luxemburg-Platz bald ändern. Nach Informationen der taz steht die Ernennung einer neuen Leitung kurz bevor – auch wenn die Kulturverwaltung auf Anfrage mitteilt, eine Entscheidung sei für das „1. oder 2. Quartal“ zu erwarten.

Namen von möglichen Pollesch-Nachfolgern werden bereits gehandelt: Etwa der Choreografin Florentina Holzinger oder des Theatermachers Ersan Mondtag. Letzterer sorgt in der Volksbühne bereits für Unruhe. Eine anonymisierte Mitarbeiterin äußerte sich kürzlich in Radio 3, dass Mondtag für „Machtmissbrauch und den schwierigen Umgang mit Mitarbeitenden“ bekannt sei.

Die Entscheidung über die Intendanz trifft Kultursenator Joe Chialo (CDU) zusammen mit einem Expertengremium. Wer dazugehört, beantwortet die Kulturverwaltung auf Anfrage nicht.

Gesucht wird in der im August vergangenen Jahres veröffentlichten Ausschreibung eine „Persönlichkeit oder ein Team mit Visionen für die Leitung eines der größten Ensembletheater im Berlin des 21. Jahrhunderts“, die die „künstlerische Exzellenz des Hauses genauso steigern kann wie seine gesellschaftliche Relevanz“. Eine zunächst angedachte Interimslösung für die Spielzeiten 2025 und 2026 mit dem norwegischen Theaterregisseur Vegard Vinge und der Bühnenbildnerin Ida Müller hatte sich im Dezember zerschlagen. Grund ihrer Absage sollen auch die massiven Haushaltskürzungen im Kulturbereich gewesen sein.

Kein transparentes Verfahren

Einer transparenten Besetzung, wie sie etwa die Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger oder das Berliner Projekt Fairstage fordern, entspricht das Verfahren nicht. Dass ein konservativer Senator in einem nicht öffentlichen Prozess über die Führung des einstigen Ar­bei­te­r­thea­ters entscheidet, ruft daher erneut die linke Künstler:innen- und Ak­ti­vis­t:in­nen­grup­pe Staub zu Glitzer auf den Plan. Die hatte das Haus im Jahr 2017 öffentlichkeitswirksam besetzt. Gerahmt als transmediale Theaterinszenierung gab es eine Woche lang Performances, Partys und politische Diskussionen, dann räumte die Polizei.

Staub zu Glitzer arbeitet seitdem weiter an ihrer Vision, die Top-down-Struktur zu überwinden und die Volksbühne zu einem kollektiv geführten Theater zu machen. Nach dem Motto: Die Volksbühne soll führungslos bleiben.

Diesem Ziel folgend hat sich das Kollektiv selbst beworben – und macht dies nun auch öffentlich. Staub zu Glitzer fordert zudem alle anderen Be­wer­be­r:in­nen auf, es ihnen gleichzutun und ihre Bewerbungen zu veröffentlichen, sagt Sprecherin Sarah Waterfeld der taz.

In ihrem Bewerbungsschreiben heißt es, man strebe nach einem „Modellprojekt zur Überwindung des Intendanzsystems“. Das Kollektiv bewerbe sich nicht für die Intendanz, vielmehr gehe es ihnen darum, „Enabler*innen eines völlig neuen Staatstheater-Modells“ zu sein: Menschen aus der Volksbühnen-Community, darunter etwa die 230 Angestellten, Nachbar:innen, Wis­sen­schaft­le­r:in­nen und Ak­ti­vis­t:in­nen, sollen „eingeladen sein, ihr Theater der Commons zu gestalten“. Das Theater als radikaldemokratisches Gemeingut der Stadtgesellschaft.

Kollektive statt Leitung

Laut Waterfeld bedeutet das etwa die Etablierung einer „öffentlichen Spielzeitplanungsphase“. Statt dass nur Intendanz und Dra­ma­tur­g:­in­nen planen, was im Theater läuft, sollen Produktionskollektive das Ruder für einzelne Programmpunkte übernehmen. Dabei geht es auch darum, die Angestellten der technischen Gewerke, vom Kostüm bis zum Bühnenbau, gleichberechtigt zu beteiligen. Zudem sollen Außenstehende motiviert werden, sich einzubringen.

In der Bewerbung schreibt Staub zu Glitzer: „Ein Theater der Commons erscheint vielen als etwas Undenkbares, Ungeheuerliches.“

Gleichwohl sei die Kollektivierung des Hauses die „einzige progressive kulturinstitutionelle Strukturreform“ in einer „gefährdeten Demokratie“. Waterfeld sieht das Modell als Antwort auf die Krisen der Theater, sie spricht von „Publikumsschwund, Begrenzung auf bürgerliche Kreise und Angriffe von Rechts“.

Wieso Kultursenator Joe Chialo auf ihre Idee eingehen sollte? „Er hat nichts zu verlieren“, sagt Waterfeld. „Er könnte sagen: 'Wenn die Linken glauben, sie könnten an diesem traditionell linken Haus einen auf Demokratie machen, dann sollen sie es mal versuchen.“ Im September habe es ein Treffen von Staub und Glitzer mit der Kulturverwaltung gegeben, bei dem das Modell vorgestellt wurde. Dabei geht es auch um eine institutionelle Neuaufstellung des Theaters, um die bislang in die Struktur eingeschriebenen Entscheidungshierachien zu überwinden. Waterfelds Eindruck von dem Gespräch: „Die haben das schon verstanden.“

Vorstellungskraft nötig

Einer, der der Vision von Staub zu Glitzer grundsätzlich positiv gegenüberstand, war René Pollesch. Die Besetzung, die unter dem als neoliberal verschrienen Intendanten Chris Dercon stattfand, der als Nachfolger von Frank Castorf ans Haus geholt worden war, unterstützte er ideologisch und auch finanziell.

Nach dem Amtsantritt von Pollesch 2021 hatte das Kollektiv noch die Hoffnung, dieser werde in Zusammenarbeit mit ihnen dafür sorgen, dass er der letzte Intendant sein wird. Monatelange Gespräche über einen demokratischen Ansatz für die Volksbühne waren zuvor allerdings gescheitert. Nicht an mangelndem Interesse, sondern aufgrund „begrenzter Vorstellungskraft“, wie Waterfeld sagt.

Eine letzte Kooperation gab es Ende 2021, als Staub zu Glitzer die streikende Krankenhausbewegung in die Volksbühne einladen konnte. So stellte man sich das vor: ein politisches Theater, das seiner gesellschaftlichen Verantwortung gerecht wird. Doch schließlich statt die Theaterräume und auch die Bühne für die Ar­bei­te­r:in­nen zu öffnen, blieb es bei einer Pressekonferenz. Aus Enttäuschung plante Staub zu Glitzer bereits die nächste Besetzung, die Pollesch mit der Drohung, notfalls die Polizei zu rufen, abschmetterte.

Doch an Für­spre­che­r:in­nen mangelt es dem Kollektiv nicht. Ihrer Bewerbung beigefügt sind etwa 20 Schreiben, sogenannte „letter of intent“, von renommierten Wis­sen­schaft­le­r:in­nen und Kulturschaffenden, die die Idee eines kollektivierten Theaters unterstützen: Dazu gehören der Commons-Forscher Vasilis Kostakis von der Harvard-Universität, der Kunst-Antropologe Massimiliano Mollona der Universität Bologna oder aber Nora Sternfeld und Friedrich von Borries von der Hochschule für Bildende Künste Hamburg. Letztere schreiben, sie empfinden den Ansatz von Staub zu Glitzer „auch für das – in mancher Hinsicht tradierte – Modell „Intendanz“ neue Formen kollektiven Handelns zu erproben, als reizvoll, wichtig, zukunftsweisend“.

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1 Kommentar

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  • " „Enabler*innen eines völlig neuen Staatstheater-Modells“ zu sein: Menschen aus der Volksbühnen-Community, darunter etwa die 230 Angestellten, Nachbar:innen, Wis­sen­schaft­le­r:in­nen und Ak­ti­vis­t:in­nen, sollen „eingeladen sein, ihr Theater der Commons zu gestalten“."

    Viel Erfolg. Das Wording klingt ja schon mal totally volksnah und ist auch für Arbeiter*innen und Migrant*innen sofort verständlich und schreckt definitely niemanden ab.