piwik no script img

Köln und die FolgenPolizei verliert Zurückhaltung

Polizeipressestelle will Sexualstraftaten künftig vermehrt öffentlich machen. Opferanwältin kann darin keinen Mehrwert erkennen.

Silvester vor dem Kölner Hauptbahnhof Foto: dpa

Die Gewalt gegen Frauen in der Silvesternacht in Köln zeitigt auch in Berlin Folgen. Noch sind es nur Pläne: Innensenator Frank Henkel (CDU) will die Speicherungsfristen für Videoaufzeichnungen im öffentlichen Nahverkehr verlängern. Der CDU-Fraktionschef Florian Graf möchte, dass die Polizei bei Straftaten grundsätzlich die ethnische Herkunft der Tatverdächtigen bekannt gibt. Die Polizei-Pressestelle selbst will ihre Praxis bei der öffentlichen Bekanntgabe von Sexualstraftaten verändern.

Indes: Die Begeisterung in Fachkreisen über derlei Vorstöße hält sich in Grenzen: „Meistenteils Panikmache und Aktionsmus“, sagt der innenpolitische Sprecher der Grünen, Benedikt Lux. „Die Polizei soll lieber dafür sorgen, dass Sexualstraftäter richtig verfolgt werden,“ sagt Rechtsanwältin Christina Clemm. Sie vertritt Opfer von Sexualstraftaten.

2014 hat die Berliner Polizei 2.991 Sexualdelikte registriert, darunter 684 Vergewaltigungen und 723 Fälle des sexuellen Missbrauchs von Kindern. Sexualstraftaten werden, wie alle von der Polizei erfassten Delikte, jedes Frühjahr in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) veröffentlicht. In den täglichen Meldungen der Polizeipressestelle werden allerdings nur in seltensten Fällen Vorkommnisse von Sexualstraftaten verbreitet. Die Rede ist von ein paar Fällen pro Jahr. Tätig wurde man bisher nur in ganz besonderen Fällen. Zum Beispiel, wenn es eine konkrete Beschreibung von dem Tatverdächtigen gab und eine öffentliche Fahndung eingeleitet wurde. Diese Zurückhaltung begründete Polizeisprecher Thomas Neuendorf am Montag auf Nachfrage der taz mit „Opferschutz“. Anders als bei anderen Straftaten werde die Pressestelle von den Fachkommissariaten nicht automatisch über Sexualstraftaten informiert. Die Gefahr, dass Informationen über das Opfer nach draußen sickern, sei als zu groß angesehen worden. „Es darf nicht passieren, dass plötzlich ein Reporter vor der Tür des Vergewaltigungsopfers steht.“

In Zukunft möchte die Polizeipresse von den Fachkommissariaten über alle Fälle unterrichtet werden und selbst entscheiden, welche Taten an die Presse weitergegeben werden. Insbesondere „überfallartige Sexualstraftaten“ wolle man künftig öffentlich bekannt machen, erläuterte Neuendorf das Vorhaben, das noch mit der Polizeiführung abgestimmt werden muss. Geschehen werde das wie bisher in anonymisierter Form. Die Wahrung der Persönlichkeitsrechte des Opfers habe oberste Priorität.

Die Polizei soll Se­xualstraftäter lieber richtig verfolgen

Rechtsanwältin Christina Clemm

Warum nun das Ganze? „Köln hat gezeigt, dass die Öffentlichkeit unzufrieden mit der Nichtveröffentlichungspraxis der Polizei war“, so Neuendorf. In der ersten Presseerklärung über die Silvesternacht war dort von weitgehend friedlichem Feiern die Rede gewesen.

Rechtsanwältin Clemm, die oft als Nebenklägerin Vergewaltigungsopfer vertritt, leuchtet das alles gar nicht ein. Mit der Bekanntmachung von überfallartigen Sexualstraftaten werde ein falsches Bild erzeugt. „Der gefährlichste Ort für Frauen ist mitnichten die Straße, sondern zu Hause.“ Denn: Die meisten Sexualdelikte würden im Bekanntenkreis verübt. Sie glaube auch nicht, dass sich Frauen durch solche Veröffentlichungen zum Erstatten einer Strafanzeige ermutigen ließen.

Die Nationalitäten von Tatverdächtigen will die Polizei auch in Zukunft nur von sich aus veröffentlichen, wenn dies zum Verständnis des Sachverhalts notwendig ist. „Wir verhalten uns analog zum Presse­codex“, sagte Neuendorf. Relevant könne die Bekanntgabe bei politisch motivierten Delikten sein, zum Beispiel wenn Palästinenser eine antisemitische Tat begingen. Auf Anfrage der Presse werde die Nationalität – so wie in der Vergangenheit auch – genannt.

Innensenator Henkel möchte die Speicherungsfrist von Überwachungsvideos von jetzt 48 Stunden auf vier bis fünf Tage ausweiten. Dazu der Grüne Lux: „Cool und besonnen bleiben.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Zitat: „Die Begeisterung in Fachkreisen über derlei Vorstöße hält sich in Grenzen: Meistenteils Panikmache und Aktionsmus“, sagt der innenpolitische Sprecher der Grünen, Benedikt Lux. Zitat Ende.

    Ich bezweifle, dass für dieses Thema ein Politiker Fachkompetenz hat.

    Ich würde mich hier eher an einer Polizistin orientieren, wie z.B. Tania Kambouri (Autorin von "Deutschland im Blaulicht"), die für die Beurteilung von Straftaten den soziokulturellen Hintergrund, insbesondere den muslimischen, als wichtig erachtet.

    • @Demokratiefreund:

      Den Grünen wird in Bezug auf die Innere Sicherheit bei Meinungsumfragen i.d.R. auch nur eine sehr geringe Kompetenz zugesprochen.

    • @Demokratiefreund:

      Die Frau Kambouri wird nicht von den Grünen vertreten. Die Grünen Diffammieren solche Personen seit Jahren.