Köche bevölkern IFA: Schalotten auf der Funkmesse
Zwischen DVD-Playern und Spülmaschinen braten Fernsehköche auf der Funkmesse im Dienste der Industrie. Das Kochen auf Messen ist beliebte Marketingstrategie.
Gleich gibt es Kürbis in Pergamentpapier. Doch zuvor hebt eine elektronisch anmutende Melodie an, den Starkoch zu begrüßen. Etwa 100 Zuschauer klatschen in die Hände, als die Moderatorin die Show in der "Siemens Koch Arena" beginnt: "Meine Damen und Herren, hier ist Alexander Herrmann." Herrmann, ein großer, akkurat frisierter Franke, geht an fünf jungen Hostessen vorbei, stellt sich hinter seinen Induktionsherd und lächelt.
Showgekocht wird auf der diesjährigen IFA an allen Ecken. Irgendwo wird immer gerade ein Ei getrennt oder eine Schalotte gebraten. "Ich habe den Eindruck, jede Branche will auf ihrer Messe kochen. Ich habe gerade erst einer Waffenmesse absagen müssen", sagt Herrmann-Managerin Nina Holländer. Gerade hat sie der Marke, die sie vertritt, beim Garen eines Fleischstücks zugesehen.
Wenn Sternekoch Herrmann nicht in seinem eigenen Restaurant steht, tritt er im Fernsehen auf, etwa bei "Lanz kocht" oder der "Küchenschlacht" im ZDF. Bei Siemens hat er einen langfristigen Vertrag unterschrieben. Für den Auftritt auf der IFA bekomme er kein Geld, sagt seine Managerin, das gehöre zum Vertrag. "Mir ist schon klar, dass die Firma ihre Novitäten eingebettet wissen will. Aber ich sehe mich nicht als Verkäufer oder Marktschreier", erklärt Herrmann seine Rolle.
"Allein, dass ein solcher Koch unsere Produkte benutzt, ist schon Werbung genug", begründet Siemens-Marketingleiter Ulrich Twiehaus die Idee, ein Kochtheater mit Zuschauerrängen, Dutzenden Scheinwerfern und Kameras auf der Messe aufzubauen. Kalt bleibt die Siemens-Küche selten: Morgens, mittags und abends dünsten und braten neben Herrmann auch die Starköche Alfons Schubeck und Tim Raue.
In der "Kenwood"-Showküche von TV-Koch Mirko Reeh werden Küchengeräte aggressiver beworben. "Wir wollen dem Endkonsumenten das Produkt live in Aktion präsentieren", sagt Sprecherin Romy Schwertner von Kenwood. Was das bedeutet, merken die Gäste schon in den ersten Minuten. Die Gespräche zwischen dem "Starkoch" und seinem Moderator, der ein wenig aussieht wie Florian Silbereisen vom Musikantenstadl, muten ähnlich spontan an wie Dialoge, die man aus Homeshopping-Sendern kennt. Reeh: "Das System ist so klug, dass es gar nicht erst läuft, wenn etwas nicht richtig eingestellt ist." Moderator: "Ja, Mirko, da hast du recht, das Ganze nennt sich ,Safe Use Sicherheitssystem." Am Ende der Show klatscht von den etwa 15 Zuschauern die Hälfte.
"Wir sind alle bedingt käuflich", gibt Reeh zu. Veranstaltungen wie die IFA machen einen erheblichen Teil seines Einkommens aus, sagt er. In seinen eigenen Restaurants kocht er nicht mehr. "Ich stand seit zehn Jahren nicht mehr normal hinter einem Kochtopf."
Für die meisten Messebesucher ist Mirko Reeh nicht der erste Koch auf der IFA, dem sie zusehen. "Ich war schon beim Bosch-Stand vom Ralf Zacherl und dazwischen noch beim Marquardt", sagt Danny Maciejewski, der sich gerade zum zweiten Mal die Show von Mirko Reeh ansieht. Vielleicht ist für die Marketingabteilungen das Ziel schon erreicht, wenn einer wie Maciejewski am Ende des Tages "Ich war beim Bosch-Stand" sagt.
Wenn Maciejewski seinen Tag sehr gut organisiert, kann er auch vielleicht noch mitverfolgen, wie Stefan Gerstner Tonga-Bohneneis anrührt, Meikel Pedrana Zwiebeln brät und Cornelia Poletto holländisches Sommergemüse dünstet. Und nicht zu vergessen: Später macht Zacherl noch Zander bei "Bosch".
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?