Koch und Wulff: Merkel und die Kanzlerträumer
Für Christian Wulff und Roland Koch geht es am 27. Januar nicht nur darum, Ministerpräsident zu bleiben. Die Wahlen haben auch Einfluss darauf, wer zum Kanzlerprinzen wird.
Merkel für Koch: Wichtigste Wahlkampfhilfe für den Hessen ist, dass sich Merkel auf seine Kampagne zur Gewalt von jugendlichen Einwanderern eingelassen hat. Noch vor seinem ersten Auftritt in Bild am 28. Dezember ("Wir haben zu viele junge kriminelle Ausländer!") informierte er sie von seinem Vorhaben. "Gehen Sie davon aus, dass da selbstverständlich nichts überraschend kam", sagt Kochs Regierungssprecher Dirk Metz auf Nachfrage. Anschließend gab Merkels Vertrauter Volker Kauder, CDU/CSU-Chef im Bundestag, Koch Rückendeckung. Am 4. Januar hielt Merkel in Wiesbaden eine für ihre Verhältnisse scharfe Rede zum Thema und ließ einen Tag später den CDU-Vorstand Maßnahmen fordern.
Merkel für Wulff: Eigentlich kommt der Niedersachse alleine klar. In einer Umfrage erklärten 63 Prozent der befragten Niedersachsen, sie wären bei einer Direktwahl für ihn. Merkel kann allerdings die Wulff-Show noch aufwerten: mit Auftritten in Braunschweig, Stade, Osnabrück, Cloppenburg und Hannover. Natürlich soll sie möglichst wenig von Kochs Angstkampagne einschleppen, um Wulffs Mitte-Image nicht zu beschmutzen.
Vielleicht muss man erst einmal diese Kränkung verstehen und dazu die Dinge für einen Moment auf den Kopf stellen. Man denke sich, nicht im Kurhaus von Wiesbaden zu stehen, sondern in der Schweriner Kongresshalle. Bundeskanzler Roland Koch ist eingeflogen, um Angela Merkel, Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, zu helfen. Die rührige Landesmutter kämpft gegen ein Linksbündnis, und der Kanzler donnert: "Angela Merkel muss Ministerpräsidentin dieses Landes bleiben."
"Roland Koch muss Ministerpräsident dieses Landes bleiben", ruft Angela Merkel ins Kurhaus von Wiesbaden. Sie leiert ein wenig an diesem Abend. Ist nun mal ihr Job als CDU-Vorsitzende, den Koch im Amt zu halten. Der hört sich von der ersten Reihe aus an, wie sie ihn als Steuergenie hätschelt. Schon seltsam, dass ihn hier eine Frau lobt, die sie früher in Wiesbaden die Oberschwester genannt haben. Aber an diesem Abend, es ist der 4. Januar, 23 Tage vor der Wahl, hilft Merkel ihm in einer Weise, die neu ist. Kriminelle Jugendliche, schlechte Integration. Sie sagt, dass alle eine gemeinsame Sprache sprechen müssten. "Und das ist in Deutschland immer noch Deutsch, meine Damen und Herren." Immer noch Deutsch. Als wären die Mullahs kurz davor, Arabischtests für die Seniorenunion einzuführen. Die Damen und Herren der CDU im Kurhaus spenden einen herzlichen Applaus. Roland Koch ebenfalls. Es ist eigentlich ein Wunder, wie gut es läuft mit ihm und Merkel angesichts der Kränkung, dass sie Kanzlerin ist, nicht er.
Jetzt geht es um eine neue Frage: Wer ist die Nummer zwei? Roland Koch oder Christian Wulff? Sie haben beide Landtagswahl am 27. Januar. Der Bessere darf ein wenig heftiger träumen, vielleicht doch noch Kanzler zu werden. Das hängt nicht nur daran, wer mehr Prozente schafft, sondern auch wer mit der Chefin besser klarkommt.
In Wiesbaden spricht Koch vor Merkel. Das Scheinwerferlicht knallt ihm auf den Scheitel, von hinten gibt ihm ein goldgelber Strahler eine gesunde Gesichtsfarbe. Er genießt den Applaus und die Lacher, vielleicht sogar seine Hustenanfälle, denn ein richtiger Wahlkampf muss ja Kampf sein, auch wenns gegen den eigenen Körper geht. "Mut haben", "in die Augen sehen", "den Wählern stellen", strengt er sich an. Die Handkante saust auf und ab. "Stacheldraht", "Warnschussarrest", "reinrassige Kommunisten" - er fährt alles auf, was hessische CDU-Leute schätzen. Er bleibt trotzdem nur Angies Vorprogramm.
Wenn man rumfragt in den Landeshauptstädten von Hessen und Niedersachsen zum Verhältnis des jeweiligen kleinen Chefs zur großen Chefin, bekommt man meist nur vertrauliche Antworten. Auffällig ist, dass Merkels Macht selbst bei den Getreuen der Fürsten seltsame Dinge bewirkt. Einer läuft rot an, als er berichtet, dass er sogar selbst mit der Kanzlerin sprechen durfte. Ein Diener des anderen sagt stolz, dass der MP mit der Kanzlerin SMS austauscht. Sehr häufig. Mit beachtlicher Schnelligkeit.
Christian Wulff hat eigentlich den Vorteil, dass Merkel ein gutes Grundgefühl für Niedersachsens CDU hat. Ihre Büroleiterin Beate Baumann kommt wie Wulff aus Osnabrück, er hat sie Merkel vor bald zwanzig Jahren empfohlen. Nach Schäubles Sturz im Winter 2000 schlug der Niedersachse sie früh als Parteichefin vor. Während der Machtkampf noch tobte, feierten sie die Funktionäre auf einer Regionalkonferenz im niedersächsischen Wolfenbüttel schon.
Merkel wurde CDU-Vorsitzende, Wulff eroberte 2003 doch noch das Ministerpräsidentenamt in Hannover. Nach und nach fanden ihn die Leute nicht mehr langweilig, sondern nett. Er tauchte in der Skala der wichtigsten Politiker auf, wurde beliebter und beliebter. Auf dem Politbarometer des ZDF hüpfte er an Merkel vorbei, und als Fischer die Visa-Affäre schlecht bekam, kam er sogar auf Platz eins. Mit jedem Prozentpunkt wuchs Merkels Misstrauen. Der früher sperrige Herr Wulff gefiel sich plötzlich im Fernsehen. Er genoss den Hype. Träumte. Merkel missfiel er.
Nun, da die Führungsfrage geklärt ist und sie oben sitzt auf dem Politbarometer, hat sich die Lage entspannt. "Natürlich gehört ein Grundmisstrauen auf dem Level dazu", sagt einer von ihren Leuten aus dem CDU-Präsidium.
In Braunschweig in der Volkswagenhalle guckt Merkel wie ein bekümmerter Teddy aus der ersten Reihe. Hier ist sie das Vorprogramm. Sie hat die Jugendkriminalität in abgeschwächter Form gebracht, hat routiniert die SPD angegriffen und "ein herzliches Dankeschön an das Ehrenamt in unserem Land" gerufen. Sie musste dauernd husten, vielleicht hat sie sich bei Koch angesteckt vor lauter Nähe.
Jetzt steht Christian Wulff auf der Bühne. Die Farben seiner Krawatte sind aufs Scheinwerferlicht abgestimmt. Gelb, orange, rot auf dunklem Hintergrund zu dunklem Anzug. Er lobt die Niedersachsen, macht Gags und hänselt die SPD, ohne giftig zu werden. Vorher wurde Musik geboten, Akrobatik und Talkrunden mit Landesministern. Im Foyer dreht sich ein Kinderkarussell, es gibt Brötchen und Pizza, die Leute genießen ihren Samstag. Der Ministerpräsident ist der Höhepunkt des Ganzen.
Koch rackert, Merkel regiert. Wulff glänzt.
Aus der ersten Reihe sieht ihm die Kanzlerin mit schief gelegtem Kopf zu. Vielleicht denkt sie ans Politbarometer, vielleicht überlegt sie, warum ihre Leute so eine Inszenierung nicht hinkriegen.
Als sich alle zum Schlussfoto auf der Bühne versammeln, stopft ihr Ronald Pofalla, der CDU-Generalsekretär, einen Stofflöwen in die Hand. Gleich kommt die Nationalhymne. Mit Kuscheltier? Sie gibt Pofalla das Viech mit einer wütenden Bewegung zurück.
Gegen Koch hat Merkel zu oft gewonnen, als dass sie ihn fürchten müsste. Sie ist Kandidatin geworden 2005. Er hat sie unterschätzt. Sie hat ihn ins Leere laufen lassen und sein Frauenbild durcheinandergebracht. Aber es war immer eine offene Konkurrenz zwischen ihnen. Anders als Wulff hat bei Koch stets alles danach geschrien, dass seine Karriere im Kanzleramt enden wird. Muss. Kohl hat ihn doch sogar zum Erben ausgerufen.
Man kann sich die zwei in Tierkategorien vorstellen. Da wäre Wulff der Schleichjäger und Koch der Hetzjäger. Beide sind sie ehrgeizig. Sie stellen es nur anders an.
Jetzt beweist Koch eben, dass er auch im Geduldhaben der Beste ist. Er ist brav gegenüber Berlin und versucht Situationen zu schaffen, in denen beide gut aussehen. Er brachte Merkel auf die Idee, den Dalai Lama einzuladen. Koch kämpft seit Jahren für den Tibeter, sie treffen sich regelmäßig. Im September präsentierten Merkel und er den Dalai Lama gemeinsam im Kanzleramt. Auf den Fotos steht Merkel zwischen den beiden. Sie sieht zufrieden aus mit dem weißen Freundschaftsschal über der Jacke.
Dann, in der Weihnachtszeit, hat Koch sie informiert, dass er die Jugendkriminalität groß bringen wird. Inklusive Ausländerdebatte. Er braucht die Mobilisierung, er fürchtet um sein Amt. Merkel zieht mit. Sie will nicht, dass Koch am Ende abgewählt wird und bei ihr die Schuld abladen kann. Außerdem kann sie durch die Kampagne dem Vorwurf begegnen, dass sie keine emotionalen Wahlkämpfe kann und nie klare Aussagen macht. Sie kalkuliert ein, dass die Reizfigur Koch den meisten Ärger über die Angstkampagne auf sich zieht. Als der Hesse auch noch Knast für Kinder verlangt, bietet sich der Kanzlerin die Gelegenheit, ein wenig auf Abstand zu gehen. Funktioniert doch.
Es wirkt sogar vertraulich, wenn sie sich bei einer Veranstaltung zu ihm rüberbeugt. Wenn beide nach einer Pressekonferenz lachend zum Mittagessen abziehen. "Sie haben sich wunderbar arrangiert", sagt einer von Kochs Ministern. "Er hat Zeit."
Koch wird dieses Jahr 50, Wulff 49, Merkel 54. Vielleicht verliert sie ja die Wahl nächstes Jahr. Dann kann einer der Männer 2013 ins Rennen gehen. Vorausgesetzt, er gewinnt seine Landtagswahl. Bei Wulff sieht es glänzend aus. Bei Koch wird es knapp.
In jedem Fall hat der Hesse sich ein Problem geschaffen mit diesem harten Wahlkampf. Er hat in den letzten Jahren versucht, sich ein weicheres Image zu erarbeiten. Hat sich für Zirkusbären eingesetzt, sogar für Einwandererkinder, den Dalai Lama sowieso. Alles futsch.
Auf der anderen Seite hat Koch die Ämter immer bekommen, obwohl er der Picklige war, der Peinliche und der Böse. Mit 21 CDU-Kreisvorsitzender, mit 32 Fraktionschef im Landtag, mit 41 Regierungschef. Er wird den Kanzlertraum nicht aufgeben, selbst wenn die Hessen ihn abwählen.
Wulff würde sowieso gern noch warten. Er hat eine neue Frau, sie ist schwanger. Es reicht ihm, dass er jeden Abend erst zwischen elf und zwölf in Hannover die Wohnungstür aufschließt. "Wenn Merkel jetzt etwas zustößt und er müsste in Berlin anfangen, wäre das ein Albtraum", sagt ein Weggefährte. Was nicht heiße, dass er es nie wird. Irgendwann. Später.
Einmal wird es zu spät sein. Prinz Charles zum Beispiel wird dieses Jahr 60. So lange ist er nun Erbe, Zweiter, Befehlsempfänger der Queen. 60 Jahre.
Das Prinz-Charles-Syndrom? "Nee!", sagt ein Wulff-Mann in Hannover zu dem Vergleich. "Ich kann mit der Frage nichts anfangen", regt sich ein Koch-Mann in Wiesbaden auf. Ein anderer verweist auf McCain, den möglichen Kandidaten der Republikaner um die US-Präsidentschaft.
John McCain ist Jahrgang 1936. Die Hoffnung stirbt zuletzt.
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