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Knoten und Netze Frisch und frech...

■ Die weibliche Seite der Cultura Hamburgienses * Künstlerinnengruppen sind der Kommunikation verpflichtet

sind der Kommunikation verpflichtet

„Künstlerinnengruppen in Hamburg?“ fragt eine Hamburger Kunst-Aktivistin und guckt erstaunt. „Nö, ich glaub, es gibt keine mehr.“ Irrtum: Künstlerinnen gibt es viele in Hamburg, doch feste Zusammenschlüsse sind rar. Das wundert, schließlich haben gerade Frauen oft das Bedürfnis nach Gemeinschaftlichkeit. Denn Frauen haben nicht selten eine Scheu, sich allein oder ihr Werk in der Öffentlichkeit zur Schau zu stellen. Diese Scheu ist der Grund, warum viele Frauen lieber reproduzieren statt produzieren. Diese These bestätigt die Hamburger Medientheoretikerin, Literaturwissenschaftlerin und Feministin Claudia Reiche in ihrem Katalog-Vorwort zu der Frauenkunstausstellung Künstliche Führungen — Konzept-Art von Frauen, die am 3. April in Bremen beginnt. Reiche schreibt: „Einem traditionellen Konzept von „Frau“ entsprechend, ist „ihr Ort“ die Stelle der Vermittlung. Wie im Felde der (...) Familienharmonie (...) hat auch in der Sphäre der Kunst eine Schnittstelle kein Prestige. Eine Referentin ist nicht im Besitz des Wissens; sie nähert sich ihm einfühlsam, um zu reproduzieren, was ihr schnell wieder entschwindet.“

Tragende Netze und verbindende Knoten

Die weibliche Präferenz des kommunikativen Miteinanders zulasten des produzierenden Selbst zeigt sich auch in der Tatsache, daß es heute in Hamburg proportional mehr Dachorganisationen von Künstlerinnen gibt als produzierende Künstlerinnengruppen, also primär schaffende.

Die sekundär arbeitenden Gruppen wie die mittlerweile 70 Jahre bestehende gewerkschaftliche GEDOK, der multimediale und archivierende Bildwechsel, das gerade in Hamburg eröffnete Künstlerinnenarchiv, die Theater-Innung Wilde Frauen, das alternative Frauenmusikzentrum und das Frauenkulturhaus Harburg bieten in Hamburg einiges an Vernetzungsmöglichkeit. Die Verbindungsseile sind also vorhanden. Doch wo sind die Knoten?

Die Gefeierten: Die fünf Frauen des etablierten Tanz Theater Hamburg sind noch von ihrem vorjährigen Kampnagel-Programm Der Ausflug der noch lebenden Frauen im Gedächtnis. Dieses Tanztheaterstück erzählte die Gechichte von vier Gauklerinnen, die mit ihren Einrädern Ruhm erlangen wollen. Aber sie flüchten nur vor sich selbst in ihr letztes gemeinsames Kunststück — den Tod.

Im April beginnt die Choreografin des Tanz Theater Hamburg, Marion Buchmann, mit einer neuen Produktion: In den Gehäusen der Ablagerungen. Wie in den meisten anderen Stücken der Gruppe geht es um die Suche nach dem Ich, dem Selbst. Ihre Vorliebe für psychologische Themen begründet die Choreografin, die seit 1984 das Tanz Theater Hamburg künstlerisch leitet, mit der ständigen „Auseinandersetzung mit uns selbst“. Das Ziel und die Motivation einer Produktion sei, daß sie selbst, aber auch jede der Tänzerinnen etwas mit dem Thema zu tun habe.

Die literaturgeschichtlichen Figuren In den Gehäusen der Ablagerungen sind beiderlei Geschlechts: Elektra und Ödipus, Woyzeck und Nora. Buchmann geht es bei dieser Produktion, die am 15. September Premiere haben soll, weniger um spezifisch weibliche Aspekte, sonder eher um die „unauslöschlichen Spuren, „die unsere Kultur in uns hinterläßt“.

Einen explizit feministischen Anspruch verfolgt das Tanz Theater Hamburg nicht. Das Zusammenkommen der sechs Frauen, sagt Marion Buchmann, habe „sich so ergeben“, sei aber nicht als „Vorgabe“ zu verstehen.

Die Feministinnen: Ganz anders argumentieren Media's Res. Diese Gruppe arbeitet aus Überzeugung multimedial und feministisch. Die seit 1988 existierende Gruppe um die Frauen-Kultur-Aktivistin Birgit Kiupel fabriziert „Wort-Ton-Bild-Schauen“, die sich mit dem Leben aus feministischer Sicht beschäftigen: Ein Programm kreiste um Zeitraum, Raumfahrt, Fahrtenschreiberin (1990), ein anderes wurde Für die Musen 1991 erarbeitet. Männer tauchen weder inhaltlich auf, noch sind sie als Publikum erwünscht. Auch bei dem neuen Programam von Media‘s Res, Arbeitstitel: Lebensgefühle, werden Wiebke Johannsen und Birgit Kiupel den Text und das Bildmaterial vorgeben. Anschließend wird sich Ruth Exter musikalisch davon inspirieren lassen und mit ihrer Posaune dazu improvisieren. Die Texte der Literaturwissenschaftlerin Johannsen erinnern leicht an Annette Beers frühe Romane. Die Foto-Comic-Collagen von Kiupel unterstützen, als Dia an die Wand geworfen, mit ihrem illustrativ-netten Charakter die harmlos-lustigen bis ironischen Performances von Media's Res. Ihre Auftritte absolvierten die Damen bislang in einschlägigen Frauen-Kultur-Stätten wie dem Frauencafe endlich, dem Frauenbuchladen und im Bildwechsel. Doch auch im Rieckhof und in anderen gemischt-besuchten Veranstaltungsorten waren sie schon zu sehen.

Das Konzept von Media's Res beschreibt Ruth Exter mit „feministisch und parodierend“, wobei „vor gemischtem Publikum das provozierende Element in den Vordergrund rückt“. Männer würden nichts begreifen und kritisieren, warum die Gruppe sich nicht für sie und ihre Welt interessiere. „Was uns interessiert, ist das Schreiben über Frauen“, erklärt Exter. Ihre Arbeitsweise, das sich- aufeinander-Beziehen, wird zum Prinzip erhoben: „Die Spezialitäten der Einzelnen fügen sich zusammen zu einer Symbiose“, sie inspirieren sich gegenseitig, denn „das Kreative steckt in der Mischung“.

Die Frechen:Ebenfalls multimedial und trotzdem völlig anders arbeitet frauen und technik. Die acht Frauen haben die Gruppe zum festen Bestandteil ihrer Arbeit gemacht: Uniformierung ist Pflicht, frauen und technik artikulieren sich nicht als Individuen, sondern nur als Gruppe. Sie spielen mit Medien-

1theorien und nutzen feste Kommunikationsstrukturen für ihre Zwecke, indem sie sie entweder mit ihren Inhalten auffüllen, wie zum Beispiel während ihrer ersten Aktion im BP-Haus (1991), bei der sie, im BP-Overall gekleidet, PR- Geschenke mit ihrem eigenen Logo und eine Informationsbroschüre über frauen und technik verteilten. Oder sie spielen mit leeren Formen: wunderschöne Grafiken und Entwicklungskurven. Saubere Schaudiagramme und Karten über Wirkungsradien bleiben bewußt ohne jegliche Beschriftung: Die Meta-Ebene der Kommunikation wird zum Inhalt erhoben. Ihr „parasitäres Prinzip“ (frauen und technik) wandten sie auch im Rahmen der letzten documenta IX an. Sie übernahmen die Teil-Gestaltung der piazza virtuale und veranstalteten in dem Kunstfernsehprojekt ihre kommunikativen Penisneidspiele.

Ihre neueste Aktion ironisiert erneut gekonnt PR-Strategien, denn sie bieten ihren „gut einge- führten“ Namen frauen und technik zum Verkauf an: „Sie kennen den Preis der Technik. Sie wissen, daß

1Frauen teuer sind.“ Momentan wartet die Gruppe noch auf akzeptable Angebote.

„Man muß sich den Namen frauen und technik auf der Zunge zergehen lassen“, sagt ein Mitglied der Gruppe süffisant lächelnd. Dieses Statement sei nicht nur „als Kontra zur Männerwelt gedacht“, sondern auch spielerisch. Doch als feministische Künstlerinnen wollen sie sich nicht sehen, dieser eine – weibliche – Aspekt reiche für eine kreative Arbeit nicht aus. Nichts-

1destotrotz möchten sie nicht mit Männern zusammenarbeiten, sie befürchten eine verminderte Qualität der Arbeit: Frauen ginge es eher um den Inhalt, Männern eher um Formales, um die Technik. Doch soziale Strukturen halten die doppelbödigen Frauen auch bei technischen Prozessen für unabdingbar, die soziale Kompetenz von Männern schätzen sie gering ein.

Die Frischen: Die Idee der Uniformierung benutzen auch die Musikerinnen von Frisch gestrichen als getragenes Gruppen-Logo. Aber nicht nur die knall-bunten Plastik- Kleider fungieren als Erkennungszeichen. Der Bogen, wichtiges Utensil beim Spielen eines Saiteninstruments, gehört genauso zu den Streicherinnen um die Stammgruppe von Ele Grimm, Claudia Heinze, Christiane Bacmeister (Violinen), Insa Härtel, Krischa Weber (Celli) und Ulrike Horway (Bratsche).

Die Akademikerinnen mit der klassischen Musik-Ausbildung spie- len noch in verschiedenen anderen Gruppen und bevorzugen die freie Improvisation, „weil sie mit der Klassik nicht zurechtkämen“, wie Krischa Weber lächelnd erklärt.

1Der Raum, in dem sie spielen, beeinflußt ihre Musik und auch die Choreografie der „Standbilder im Raum“. Frisch gestrichen schneiden ihre Musik-Performances auf den jeweiligen Auftritt und die jeweilige Örtlichkeit zu. Egal, ob sie nun auf dem Tisch oder auf dem Gänsemarkt spielen wie 1992 im Rahmen des Wasserzeichen-Projekts des Studiengangs Kulturmanagement.

Die Varianz der Musik ist ebenso groß wie die Respektlosigkeit vor der konventionellen Klassik. Die Damen mit dem „skurrilen Humor“ (Selbsteinschätzung) bewegen sich spielend zwischen Geräuschkollagen und Verdrehungen von Walzer- Themen. Momentan arbeiten sie mit dem Berliner Musiktheater-Regisseur Rainer Brinkmann an dem Theaterstück „Das Orchester“ von Jean Anouilh. Das Stück über die sechs Damen des Kurorchesters möchten sie vom Ballast befreien und „mit improvisierter Musik das Ganze ins Abstrusere ziehen“. Außerdem, fügt Krischa Weber hinzu, müsse das Anouilhsche Frauenbild verändert werden, „wir wollen Frauen mit Power“.

Das Zusammenspiel mit Frauen „hat sich so ergeben“, sagt Krischa Weber. Diesen Status will Frisch gestrichen beibehalten, „weil's ne andere Art ist, zu improvisieren, eben mehr gemeinsam“. Sie müssen es wissen, schließlich fanden sich alle über das gemischt-geschlechtliche Erste Improvisierende Streichorchester, das sie 1987 verließen, um anders zu streichen.

Die Vorsichtigen: Improvisation ist auch oberste Gebot von Little Little big big, der fünfköpfigen Gruppe um die zwei ehemaligen Mittelpunkte des Frauenmusikzentrums, die Malerin und Performerin Tuija Schulte-Hyytiäinen (drums) und die Literaturwissenschaftlerin Claudia Reiche (vocals). Die Gruppe kokettiert mit ihrem Dilettantismus (obwohl drei eine klassische Ausbildung haben), nennt sich alle drei Monate um, hat kein festes Programm und gibt sich öffentlichkeitsscheu.

Für Little Little big big geht es bei den Improvisationen um eine behutsame Reaktion auf die Töne der anderen, jede spinnt den musikalischen Faden einfach weiter. Ihre Angst vor konventionellen Struktu-

1ren ist so groß, daß gemeinsame Soli sich zwischen John Zorns hektischen Kakophonien und einer Beliebigkeit bewegt.

Am 30. April werden sie im Rahmen der Bremer Konzept-Art von Frauen eine künstliche Führung vornehmen: Die Ausstellung von Schulte-Hyytiäinens expressiv-abstrakten Bildern werden sie durch ihre Improvisationen „gleichrangig ergänzen“ und „die Bilder vielleicht verändern“, erklärt Reiche, „wie auch ein anderer Vortrag das Schauen verändern würde“.

Schon bei ihrer Gründung 1986, damals noch unter dem Namen Penetrant Peinlich, legten sie Wert auf eine reine Frauengruppe. Die Gründe sind vielfältig: Männer könnten keine Musik machen, sie seien „dominant und spielen alles zu“ (Stapelfeld). Schulte-Hyytiäinen resümiert: „Ein Kampf um bessere Positionen fällt weg, das schlägt sich in der Musik nieder.“

Bestens vorbereitet ins nächste Jahrhundert

So sehr sich die einzelnen Gruppen auch unterscheiden, das Motiv und die Motivation bleiben gleich: Thematisiert wird eine künstlerische Suche nach dem Selbst, nach einer Standortbestimmung, nach persönlicher Weiterentwicklung. Einzig frauen und technik fallen aus dieser egozentrisch wirkenden Arbeitsweise heraus. Sie propagieren lachend das Gegenteil, das Aufspüren und Persiflieren von männlichen Strukturen.

Die Kommunikation als eine weibliche Domäne, wird von allen als wichtiges Element angesehen, sowohl für ihre Arbeitsbedingungen als auch für ihre Produkte, in denen sich die Arbeitsbedingungen widerspiegeln. Ob nun Kommunikation selbst thematisiert wird, wie bei frauen und technik oder bei Little Little big big, ob sie als „Schnittstelle“ zwischen den Künsten gilt, wie bei der Ausstellung Künstliche Führungen – Konzept-Art von Frauen, oder ob sie „nur“ das künstlerische Arbeiten bestimmt – das im Trend liegende Zauberkonzept „Kommunikation“ einer medialen Gesellschaft des nächsten Jahrtausend beherrschen die Frauen schon heute eindeutig besser. Greta Eck

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