piwik no script img

Knast wegen ErsatzheringNato-Gegner wieder auf freiem Fuß

Ein Demonstrant saß aufgrund seiner Beteiligung an den Anti-Nato-Protesten vier Monate unschuldig im Knast - unter katastrophalen Bedingungen.

Die Nato-Proteste in Straßburg waren lustig – es sei denn, man landete unschuldig im Knast. Bild: ap

BERLIN taz | Jan aus Dresden ist seit Mittwoch frei. Vier Monate saß er unschuldig in einem Straßburger Gefängnis – unter "miserablen" Bedingungen. Auf dem Hof quillt der Müll über, das Gefängnis sei überbelegt, heißt es in einem Brief an Abgeordnete des Europaparlaments.

Vier weitere Deutsche und zwei Franzosen sitzen aufgrund ihrer Beteiligung an den Anti-Nato-Protesten Anfang April noch im "Maison d Arret de Straßbourg". Insassen fordern die Thematisierung der Zustände und eine Stellungnahme des EU-Parlaments. Auch die französische Presse berichtet über eine massive Überbelegung der Haftanstalten.

446 Plätze hat das Straßburger Gefängnis offiziell, zurzeit sind dort nach Angaben der Häftlinge 1.448 Personen eingesperrt - zwei Personen müssen auf acht Quadratmetern leben. Die Gefangenen beschweren sich über mangelnde Hygiene, fehlende und falsche medizinische Versorgung sowie verschleppte Anträge auf Besuch.

Zudem soll ein Insasse nach einem Suizidversuch zur Strafe in einer Stehzelle untergebracht worden sein, anstatt ihn psychologisch zu betreuen. Seine Zellennachbarn mussten das Blut wegwischen, heißt es in dem Brief.

Milan Horácek, scheidendes Mitglied der Grünen-Fraktion im Europaparlament, bezeichnet die Missstände in dem Gefängnis nicht als Ausnahme, sondern als eine "inakzeptable europäische Regel" und bittet in einem Schreiben an das französische Justizministerium, diese Missstände abzustellen. Die Aufgabe des Strafvollzugs - dem Häftling ein straffreies, menschenwürdiges Leben zu ermöglichen - sieht er als nicht erfüllt an.

Jan und ein Berliner wurden Anfang April mittels Schnellverfahren zu einer sechsmonatigen Haftstrafe verurteilt. Sie haben Berufung eingelegt. In Jans Fall erfolgreich. Zwei Rostocker befinden sich noch in Untersuchungshaft, eine weitere Person verbüßt eine Haftstrafe von drei Monaten. Hauptanklagepunkte sind entweder Steinwürfe auf die Polizei oder Waffenbesitz, wie im Fall des Dresdners.

Die "Waffe" ist eine 40 Zentimeter lange Eisenstange. Der bekennende Pazifist wollte diese als Ersatzhering für sein Zelt in einem Camp verwenden. Die Polizei unterstellte ihm die Absicht, einen anderen Menschen anzugreifen, und nahm ihn fest - zu Unrecht, wie sich jetzt herausstellte.

Für Vertreter des Legal Teams sind die Angeklagten "offensichtlich zufällig herausgegriffen". Sie werden wegen "unterstellter Absichten, nicht konkreter Taten" angeklagt, heißt es in einem Bericht - Vorwürfe und Verurteilungen dienten nur der Kriminalisierung des Protests. Das Legal Team unterstützt Gefangene und beobachtet Justiz und Polizei bei Protestaktionen.

Mitarbeiter des deutschen Generalkonsulats räumen ein, dass "die Bedingungen im Gefängnis zu Leid führen". An sich würden die Deutschen aber "gut behandelt".

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

12 Kommentare

 / 
  • S
    Schattenkind

    Stimmt, dass wäre schon wichtig gewesen, dies zu erfahren, warum er mit ner Eisenstange rumrennt. Auch Menschen im Knast haben Rechte und Gefängnisse müssen dementsprechend gebaut werden. Wir leben schließlich nicht mehr im 19. Jahrhundert.

    Und ohne einen "echten" Grund darf man niemanden verurteilen. In der Schule lernt man doch schließlich auch dass wir in einem Rechtsstaat leben und Frankreich ist doch schließlich auch einer oder?

    An was kann man hier eigentlich noch glauben?

  • L
    Lucy

    Solche Unterstellungen sind ja nix neues. Da wird eine Zeltstange zur Waffe und ein Handtuch zur Molli-Lunte und wenn man in deutsche Wohnungen schaut wird man dann feststellen, dass das alles potentielle Terroristen sind. Denn was brennbares und was zum anzünden und was zum hauen und stechen hat wohl jeder bei ich zu hause und beim campen wohl auch dabei...

    Die taz hat aber vergessen zu schreiben, dass der aktivist bereits vor den protesten beim camp festgenommen wurde.

  • F
    Frank

    Na dann alle EU Abgeordnete antreten und 3 Wochen nach Straßburg in den Knast zum Kosten und erfühlen der dort herrschenden Bedingungen.

    Was? Keine lust!

    Unschuldig und ohne ersichtlichen Grund geht keiner??

     

    Schau an.

  • CH
    Christopher Hake

    Schon allein die Existenz einer "Stehzelle" auf europäischem Boden ist doch ein Hohn.

  • D
    DeinFernseherLügt

    Die einzige Aufmache über Demonstranten kommt immer nur wenn mit medialer Konformität über die wenigen Proteste berichtet wird(NATO,G8) und dies als Zeichen von Gleichgültigkeit hingestellt wird.Dabei ist es bei solchen "Veranstaltungen" immer dank eines Eskalationsprogrammes der miserablen Überwacher und aggressiven Polizisten die mindestens genauso vermummt(schwerer Helm,keinerlei Abzeichen oder Nr,ganz in schwarz zur Einsetzung von Gewalt nach eigenem Ermessen)wie die Demonstrierenden.

    Die ganze Aufmachung erinnert,wie meine 89 jährige Oma erst letztens vorm Fernseher feststellte,an die Anfänge des Faschismus,dort wueden zu Anfang auch die Gegner(egal ob gegen Nato oder die NS) auch von schwarzen Meuten durch durch die Straßen geknüppelt.

    Doch wenn man sich zur Selbstverteidigung schützt ist das entweder Widerstand gegen StaatsGEWALT,oder Angriff auf einen Polizeibeamten.Was gibt der Exekutive die Autorität ihre Bürger zu misshandeln?Wieso können Polizei u Co entscheiden mir bei einer Sitzblockade an den Hals zu gehen um einen schmerzvollen "SICHERHEITSGriff" vorzunehmen?Wenn die Polizei ihr von der Politik legitimiertes Verhalten (Richtlinien) Demonstranten seien potentielle Terroristen nicht ablegt sondern verschärft wirrd es unweigerlich zum Vertrauensverlust u zur Eskalation kommen,kaum jemand wird mehr mit den Grünen zusammenarbeiten,der Hass steigt.Jetzt sagen manche sie sind autorisiert,das ist mir zu abstrakt Autorität läßt sich nicht auf Zwang durchsetzen.

    Was mich aber am meisten erstaunt ist die Ahnungslosigkeit u Scheinheiligkeit der Politiker,die sich immer ratloser geben warum die Brutalität gegen die Polizei u den Staat immer weiter zunimmt...unter den immer enger werdenden Rahmenbedingungen von Überwachung Reglementierungen entsteht Druck der sehr wohl zu reaktionärem Verhalten führen kann,aber die Apparatschiks und Technokraten sind blind für die Ursachen.Meine Lösung:In Deutschland eine gute Ausbildung oder Studium abgreifen und sich danach schnellstmöglich in ein geopolitisch unwichtiges Land wie Costa Rica(die nichteinmal eine eigene Armee besitzen) oder sonstwo auswandern,da darf man noch leben,Mensch sein und die Steuern sind auch nicht so hoch.Armes Deutschland.

  • C
    Christian

    @ex-protestler:"als demonstrant ist man heutzutage schon potentieler terrorist und hat seine nach paragraph 1 garantierten menschenrechte verloren."

     

    ...Danke,das ist genau der Punkt! Die Medien berichten allerdings schon, verbreiten jedoch lediglich das Bild Demonstranten seien potentielle Terroristen denen man die nach Paragraph 1 garantierten Menschenrechte absprechen sollte!

  • P
    Philip

    ganz schlimm wie durch einschüchterung (erfolgreich?) versucht wird menschen vom demonstrieren abzuhalten. konsequente rechtsstaatlichkeit in europa? eher nicht.

  • S
    saalbert

    "Maison d Arret de Straßbourg" Ich vermute: "Maison d'Arret des Strasbourg". Es fehlt ein Apostroph, wo ein Leerzeichen zuviel ist, und der Franzose kennt bekanntlich kein "ß".

  • A
    Aufwachen!

    wie in Ulm am 1.Mai....

    erst wird man stundenlang von der Polizei schikaniert, wie Tiere eingepfercht, geknüppelt und mit Pfefferspray bearbeitet und dann wundern sich die deutschen Medien (allen voran die Tagesschau "die Gewalt ging von den Linken aus" wie bitte??????),dass da dann auch mal ein Stein bzw. einen Flasche als Antwort in Richtung der Polizei fliegt.

  • N
    noch-protestler

    es stimmt, die medien habe ihre verantwortung, die demokratie zu schützen, (mal wieder) versäumt.

    schön über guantanamos zustände berichten - zu recht - aber zu den zuständen bei uns schweigen (zugegeben, straßburg ist *noch* nicht guantanamo, aber im prinzip geht es in beiden fälle darum, dass die menschenrechte nicht respektiert wurden und werden, und dass die menschenwürde misshandelt wird).

    es erinnert mich an: schön über chinas internetzensur herziehen, aber eine ähnliche zensur-infrastruktur aufbauen.

     

    danke taz für den bericht!

  • A
    ama.dablam

    40 cm lange Eisenstange als "Ersatzhering". Der arme "Pazifist". Wollte er während des Zeltens demonstrieren oder während des Demonstrierens zelten? Egal, auf jeden Fall will die taz ihre Leser versch....

  • E
    ex-protestler

    eigentlich wollte ich auch nach straßburg, abgehalten hat mich nur die angst niedergeknüppelt zu werden oder im knast zu landen.

    als demonstrant ist man heutzutage schon potentieler terrorist und hat seine nach paragraph 1 garantierten menschenrechte verloren.

    der eigentliche skandal ist aber der, dass die medien nicht berichten und sich in schweigen hüllen.

    da wird lieber panik durch eine leichte grippe verbreitet als sich den tatsächlichen skandalen zu widmen.

    pfui teufel.