Knackpunkte der Klimakonferenz: Monster namens Marktmechanismen
An den „Kohlenstoffmärkten“ droht die COP zu scheitern. Sie könnten die grüne Wende bringen. Oder Klimaschutz zur Luftbuchung machen.
Sie sind der größte und wichtigste Stolperstein: Es geht um die Frage, ob und wie in Zukunft Staaten und Unternehmen weltweit Zertifikate handeln können, um ihre CO2-Emissionen zu reduzieren. Das Thema ist komplex – und birgt gewaltigen Sprengstoff: Am Erfolg oder Misserfolg eines solchen Systems entscheidet sich, ob weltweit der Klimaschutz in den nächsten Jahrzenten effektiv und gerecht vorangetrieben wird – oder ob ein System errichtet wird, das nur auf dem Papier das Klima schützt.
Hier die wichtigsten Fragen und Antworten:
Warum ein Handel mit Zertifikaten? Ganz einfach: Weil er im Pariser Abkommen steht. Artikel 6 etabliert „einen Mechanismus zur Reduktion von Treibhausgasen und zur Unterstützung der nachhaltigen Entwicklung“ (SDM). Mit diesem Mechanismus sollen Emissionszertifikate zwischen Staaten und Unternehmen gehandelt werden.
In der Theorie profitieren davon alle: Wenn ein deutsches Stahlwerk den Bau eines Windparks in Indien finanziert, kann es sich die Emissionen anrechnen lassen, die dort gegenüber einem neuen Kraftwerk vermieden werden. Das deutsche Unternehmen reduziert billig seine Emissionen. Die indische Seite bekommt nicht nur Geld, sondern auch Technik und Know-how. Im Idealfall nutzen sowohl das Unternehmen als auch der indische Staat das eingesparte Geld für neue grüne Investitionen.
Der reiche Norden will sich freikaufen
Da CO2 ein globales Problem darstellt, ist es egal, wo man es einspart. Allerdings unterstützt das System noch zusätzlich die Ungerechtigkeit im Klimaschutz: Der reiche Norden, der das Problem zum großen Teil verursacht hat, will sich damit im armen Süden von seinen Klimasünden freikaufen.
Warum sind diese „Marktmechanismen“ so wichtig? Weil schon jetzt viele Unternehmen, Städte und Staaten damit werben, demnächst „klimaneutral“ zu sein. Dafür werden Siemens, Bosch, Lufthansa & Co. aber ihre eigenen Emissionen nicht so schnell auf null bringen – sondern suchen Wege, solche Reduktionen zu kaufen.
Auch Staaten wie Deutschland oder die EU streben die grüne Null an, müssen dafür aber sehr schnell noch mehr Emissionen reduzieren. Für höhere Klimaziele in 2030 wollen Berlin und Brüssel zumindest teilweise Reduktionen zukaufen. Auf der anderen Seite stehen Länder, die relativ günstig Emissionen senken können: durch neue Wälder, Wind- und Sonnenkraft statt Kohle, neue Industrieanlagen.
Theoretisch gibt es einen großen Markt dafür, die billigsten Wege zu weniger Emissionen zu finden. Ist das ein System wie der Europäische Emissionshandel? Nein. Höchstens die technischen Rahmenbedingungen könnten ähnlich sein (wie zählt man Tonnen, wie werden Reduktionen angerechnet).
Es gibt einen entscheidenden Unterschied: Im EU-Emissionshandel haben die Staaten eine CO2-Obergrenze festgelegt, die für jedes Jahr gilt und immer weiter absinkt. Es sind also immer weniger Emissionen erlaubt und daher steigen die Preise für die Zertifikate.
„Kaufen von Ausgleichsmaßnahmen“
Auf eine solche globale Grenze haben sich die Staaten im Pariser Abkommen nicht geeinigt. Jedes Land legt nur einen Klimaplan (NDC) vor, der aber nicht einmal Reduktionen enthalten muss. Auch mit einer anderen Landwirtschaft oder einer Quote für Ökostrom dürfen die Staaten Klimaschutz betreiben.
Es gibt also anders als im EU-System keine Garantie, dass durch den Handel tatsächlich CO2 eingespart wird. „Das ist eigentlich kein Emissionshandel, sondern das Kaufen von Ausgleichsmaßnahmen“, sagt Gilles Dufresne, Experte der Gruppe Carbon Market Watch.
Was wären die Vorteile dieser Marktmechanismen? Wenn er gut funktioniert, könnte der Handel einiges bewirken: Arme Staaten bekämen Geld für grüne Investments oder Sozialprogramme und könnten saubere Industrien aufbauen. Mit der Zeit könnten ihre Klimapläne immer ehrgeiziger werden. Unternehmen und Staaten in den Industriestaaten dagegen könnten sich Zeit kaufen und Geld sparen, um tiefe Einschnitte bei den Emissionen voranzutreiben.
„Gemeinsam ambitionierte Ziele zu erreichen, nutzt dem Klima mehr, als in der nationalen Perspektive zu verharren“, sagt FDP-Klimapolitiker Lukas Köhler. Der Experte der Umweltorganisation Germanwatch, Linus Herzig, ist deutlich skeptischer, sagt aber auch: Wenn der Zertifikatehandel für zusätzliche Reduktionen aus neuen Projekten sorge, kein „Nullsummenspiel“ würde und klare Regeln hätte, könnte er „zu zusätzlichem Klimaschutz führen“.
CO2-Lizenzen automatisch löschen
Etwa wenn ein Teil der gekauften CO2-Lizenzen automatisch gelöscht würde: Die deutsche Firma würde dann 100 Tonnen Minderung aus Indien kaufen, könnte sich aber nur 70 anrechnen.
Wie würde das den Klimaschutz voranbringen? Ein gut geregelter Handel könnte weltweit eine Dynamik zu mehr Klimaschutz und Nachhaltigkeit auslösen, ist die Hoffnung – vor allem, wenn endlich die Finanzbranche diesen Wandel unterstützt. Denn mit den Transaktionen ließe sich viel Geld verdienen und vor allem ein durch Klimaschocks drohender Finanzcrash verhindern.
Auch deshalb mahnen Weltbank und Internationaler Währungsfonds inzwischen laut vor der Klimakrise. Und bei der COP25 in Madrid trafen sich zum ersten Mal über 50 Finanzminister zu dem Thema.
Was sind die Risiken des Kohlenstoffhandels? Wenn es schlecht läuft, könnten die „Marktmechanismen“ zu einem gigantischen Selbstbetrug werden. Weil es keine globale CO2-Obergrenze gibt, die auf jedes Land heruntergerechnet wird, sind viele Länder in der Versuchung, weniger CO2 selbst zu reduzieren, wenn sie es teuer verkaufen können. Das könnte verhindern, dass die Länder ihre Klimapläne immer ehrgeiziger machen, schließlich schmälern sie ihre „Exportbasis“, wenn sie mehr CO2 vermeiden.
Dann muss sichergestellt werden, dass Reduktionen nicht doppelt angerechnet werden – dass sich also in unserem Beispiel Indien die vermiedenen Emissionen aus dem Windpark nicht auf seinen Klimaplan anrechnet, wenn es die Lizenzen nach Deutschland verkauft. In den Industrieländern und den Unternehmen könnte der einfache Ausweg „Marktmechanismen“ dazu führen, dass der nötige Umbau der eigenen Wirtschaft und Gesellschaft gebremst wird.
Statt aufwändige, teure und politisch umstrittene Mechanismen (wie die Windkraft an Land) voranzutreiben, könnte man sich mit ein paar Milliarden von allen Anstrengungen freikaufen. Erste Überlegungen in diese Richtung gibt es in der CDU und CSU bereits.
Warum wollen manche diese Instrumente zeitlich begrenzen? Weil die Idee des Kohlenstoffmarkts langfristig einen Denkfehler hat. Denn ALLE Länder müssen nach dem Pariser Abkommen so schnell wie möglich ihre Emissionen auf null bringen. Hoffentlich hat bald also niemand mehr seine Reduktionen zu verkaufen – es sei denn, er wird „negativ“ und speichert mehr CO2, als er ausstößt. Je länger man aber mit Reduktionen Geld verdienen kann, desto länger lohnt es sich, noch Emissionen zu haben.
Das wäre anders, wenn der Handel auf ein paar Jahrzehnte begrenzt würde. Wer hat das größte Interesse an diesem Instrument? Als Käufer bieten sich praktisch alle Industriestaaten mit ehrgeizigen Klimazielen an. Kurzfristig hat die Luftfahrtindustrie ein großes Interesse: Ab 2021 will sie ihr „Klimaprogramm“ Corsia starten, mit dem das Wachstum beim Flugverkehr „klimaneutral“ werden soll. Dafür braucht es am Beginn wohl einige hundert Millionen Tonnen CO2-Reduktion pro Jahr.
Ein fast noch größeres Interesse haben die Staaten, die sich als Anbieter sehen: Vor allem Brasilien möchte umstrittene CO2-Zertifikate aus dem Schutz des Regenwalds gern weltweit verkaufen. Andere Staaten wie Indien, aber auch Russland und die Ukraine drängen darauf, mit alten und derzeit praktisch wertlosen CO2-Zertifikaten aus CDM-Projekten (siehe nächste Frage) ein paar Milliarden Dollar extra zu verdienen.
Ist so etwas schon einmal versucht worden? Ja, das System hieß „sauberer Entwicklungs-Mechanismus“ (CDM). Mit ihm konnten unter dem Kioto-Protokoll Unternehmen aus Industrieländern Reduktionen in Entwicklungsländern kaufen. Allerdings gilt das System für viele Umweltschützer als gescheitert.
Ein Bericht des Öko-Instituts für die EU befand 2016, dass „85 Prozent der Projekte nur mit geringer Wahrscheinlichkeit für zusätzliche Reduktionen gesorgt haben“. Das System hat viel Geld erzeugt, aber es ist unsicher, wie sehr es dem Klima geholfen hat.
Scheitert die COP in Madrid an dieser Frage? Das ist möglich. Vor allem bei den Regeln, wie Doppelanrechnungen zu verhindern sind, scheiden sich die Geister. Die EU hat betont, sie wolle lieber die Verhandlungen platzen lassen als ein System aufzulegen, dass schlechte Regeln für Jahrzehnte festschreibt. Ob das in der letzten Nacht noch gilt, ist fraglich.
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