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Klopapier statt PolitikWenn „das Volk“ übernimmt​

Bremens jüngste Flüchtlingsinitiative organisiert übers soziale Netzwerk, was in Unterkünften fehlt. Aber die Motive fürs Helfen sorgen für Unmut​.

Obwohl es in Flüchtlingsunterkünften an vielem fehlt, wird längst nicht alles gebraucht. Foto: dpa

BREMEN taz | In Bremen gibt es zahlreiche Vereine und Initiativen, die Hilfe für Flüchtlinge organisieren – viele machen das seit mehr als 20 Jahren. Die momentan populärste Initiative aber gibt es erst seit knapp einem Monat. Das Erfolgsrezept der Flüchtlingshilfe Bremen (FHB) heißt: unbürokratische Hilfe über das soziale Netzwerk Facebook organisieren.

Jeden Tag veröffentlicht die FHB aktualisierte Bedarfslisten für die Flüchtlingsunterkünfte in den Stadtteilen. Da werden etwa Fußballschuhe, Badelatschen und Fahrräder in Arsten gesucht, Spielsachen in Bremen-Ost, ein Kleiderschrank und eine Waschmaschine in Gröpelingen. Fast 11.000 Menschen folgen der Facebook-Gruppe von FHB, zahlreiche Kommentare und Anfragen zeugen von großer Spendenbereitschaft.

Fehlende Zahnpasta

Auf diesen veröffentlichten Bedarfslisten finden sich immer wieder auch Dinge, die eigentlich nicht fehlen dürften. Laut FHB mangelt es beispielsweise in Gröpelingen an „Hygieneartikeln für Kinder und Frauen“, in Blumenthal fehlen Handtücher und in der Bahnhofsvorstadt Windeln.

Gehören diese Dinge nicht zur Grundausstattung von Flüchtlingsheimen? Und was bekommen die Menschen, die aus der Zentralen Erstaufnahmestelle (Zast) in die Unterkünfte der Stadt verteilt werden, mit auf den Weg? „Sie bekommen eine Erstausstattung mit – aus Sicht der Behörde ist der Grundbedarf also gesichert“, sagt David Lukaßen, Sprecher der Bremer Sozialbehörde. Alles Weitere sei dann aber Sache der Flüchtlingsheimträger.

Einer dieser Träger ist der Arbeiter-Samariter-Bund (ASB). Jutta Becks, Geschäftsführerin des ASB Bremen, räumt ein, es habe in der Zast zwischenzeitlich Probleme mit der Versorgung gegeben: „Aufgrund der hohen Flüchtlingszahlen sind viele Menschen von dort direkt und ohne Erstausstattung in andere Unterkünfte verteilt worden.“ Die Träger und Einrichtungsleitungen müssten sich dann um diese Dinge kümmern, „und das tun sie auch“, sagt Becks.

Auch andere Heimbetreiber bestätigen das auf Nachfrage der taz. Einer von ihnen, der ungenannt bleiben möchte, bietet sogar Zahnpasta an: „Seitdem auf dieser Facebook-Seite behauptet wurde, bei uns würde Zahnpasta fehlen, haben wir mehrere Kartons übrig – brauchen Sie welche?“

Der taz will Christian, wie sich der Initiator der FHB-Facebook-Gruppe nennt, weder seinen Nachnamen verraten noch Auskunft erteilen. Man wolle, teilt er lediglich im Facebook-Chat mit, „nicht politisch werden“ und verweist auf die Überschrift eines Kommentars im Bremer Weser-Kurier: „Das Volk übernimmt.“

Auf erneute Nachfrage reagiert nicht mehr er, sondern FHB-Aktivist Konrad, der ebenfalls seinen Nachnamen nicht nennen will. Und der fragt per Chat, ob die taz eine „Hetzkampagne gegen den Staat“ plane. Er ergänzt: „Es geht uns nicht darum, Missstände an den Tag zu bringen“, schreibt er im Chat, sondern darum, „dort zu helfen, wo etwas fehlt – das kann aus unterschiedlichen Gründen alles mal sein, aber deswegen muss man das nicht in der Presse aufbauschen“. Drei Tage später steht auf der Bedarfsliste der FHB, in einem Übergangswohnheim in Bremen-Hastedt werde Toilettenpapier gebraucht.

Durchdachte Hilfe

„Das Problem ist sicherlich, dass auf Facebook jeder weitestgehend ungeprüft alles veröffentlichen kann“, sagt Lucina Bogacki, die im Auftrag der Bremer Sozialsenatorin als Koordinatorin für zivilgesellschaftliches Engagement im Flüchtlingsbereich und als Koordinatorin für Migration für die Landesarbeitgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege (LAG) arbeitet. Das Engagement der FHB sei toll, sagt sie, „aber es muss auch abgestimmt und vernünftig durchdacht werden“.

Bogacki hat sich vor Kurzem mit Christian und anderen FHB-AktivistInnen getroffen. „Es gibt in Bremen Initiativen wie den Verein Zuflucht, der seit über 20 Jahren arbeitet und sehr gut vernetzt ist oder auch Portale wie Gemeinsam in Bremen, die tolle Arbeit leisten“, sagt sie. „Es ist ganz wichtig, dass alle Flüchtlingshilfeorganisationen an einem Strang ziehen und zusammenarbeiten und ich hoffe, dass das auch mit der Flüchtlingshilfe Bremen funktioniert.“

Sie habe der FHB angeboten, Infoveranstaltungen abzuhalten und Kontakte zu vermitteln, „und das fanden die auch gut“. Der taz schrieb Christian indes: „Wir wollen mit keiner Hilfsorga direkt und exklusiv zusammenarbeiten. Unser Konzept geht hervorragend so auf.“

Der Satz „Das Volk übernimmt“ aus dem Weser-Kurier ärgert Bogacki: „Das hört sich an, als sei das etwas Neues – dabei tut es das bereits seit über 20 Jahren.“ Jedes Ehrenamt benötige darüber hinaus immer auch ein Hauptamt, „sonst kann vernünftig koordinierte Arbeit nicht gewährleistet werden“. Hinzu kommt, dass andere Flüchtlingsinitiativen stets, wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung, auf die Verantwortung des Staates für die Flüchtlinge hinweisen.

Bestes Beispiel ist die seit 23 Jahren aktive Flüchtlingsinitiative Bremen: „Wir übernehmen Aufgaben, für die der Staat eigentlich zuständig ist – insofern ist unsere Arbeit mit Blick darauf sogar falsch. Bloß: Den Menschen muss ja trotzdem geholfen werden“, sagt Mit-Initiatorin Gundula Orter. Deswegen hat die Initiative vor knapp zwei Jahren eine Ehrung des Senats für ihr Engagement abgelehnt. Beratungsstellen wie ihre sollten nicht geehrt, sondern durch den Staat überflüssig gemacht werden, sagte Oerter damals.

Zugang zu Ressourcen

Vielleicht, so mutmaßt Oerter heute, begründe sich der Erfolg der FHB auch aus dem „Bedürfnis von Nicht-Geflüchteten heraus, sich zu engagieren und eine gute Atmosphäre zu schaffen“. Darum ginge es letztlich aber gar nicht, „sondern um Rechte und um den Zugang zu Ressourcen – und zwar für alle Menschen“.

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3 Kommentare

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  • Die Hilfe zu privatisieren geht noch brutaler:

     

    Die Asylaufnahmestelle der Berliner Sozialbehörde gibt den Asylsuchenden keine Krankenscheine mehr und zugleich ruft sie mit der Ärztekammer dazu auf, auf ehrenamtlicher Basis die medizinische Versorgung der Asylsuchenden sicherzustellen.

     

    Identitäten werden nicht mehr geprüft, jeder darf soviel Asylanträge stelle wie sie/er möchte - was viele tun um so vielleicht doch noch soziale Versorgung und Unterkunft zu bekommen - und das Chaos ist perfekt!

  • Das Problem ist "das gute Menschen" spontan Helfen und damit oft mehr Unheil als Gutes anrichten!

    .

    In "Fachkreisen" unter prof. Sozialarbeitern nennt man das "Elberfelder Modell"!

    .

    Damals strickten "Fabrikantengattinen" Strüpfe und packten kleine "Liebesgabenpäckchen" für "Arbeiterkinder denen so schlecht ging" wärend die "Ehemänner dieser Damen" die Eltern dieser Kinder weiter unter dem Existenzminimum bezahlten! Half sehr gut, gegen nachdenken über die Strukturen, Günde des Problems und gegen schlechte Gewissen der Damen!

    .

    Spontane Hilfe ist gut, aber:

    "Fang nie etwas an, versprich was,... wenn du nicht sicher bist, das auch bis zum Ende durchhalten zu können!"

    .

    Massiver politischer Druck auf Senat, usw. ohne den solche Aktionen sinnlos sind (der vielleicht auch einmal die "gesitteten Grenzen überschreitet") bringt wohl auf Sicht gesehen mehr!

    .

    Weiss

    Sikasuu

    .

    Ps. Super Beispiel für den o.a. Ansatz sind "Tafeln". Die haben sich "betoniert", anstatt dem üblichen prof. Ansatz zu folgen: Sozialarbeit, Not-Hilfe muss als 2. Ziel haben sich selbst überflüssig zu machen!

    • @Sikasuu:

      Nichts für ungut, aber:

       

      "Fang nie etwas an, versprich was,... wenn du nicht sicher bist, das auch bis zum Ende durchhalten zu können!"

       

      Das halte ich für eine äußerst ungesunde Einstellung. Es gibt immer eine Art zu handeln die man selbst noch nie probiert hat, oder die vielleicht überhaupt noch niemand probiert hat. Und die größten Herrausforderungen an eine Gesellschaft sind immer die, von denen ohnehin niemand weiß ob sie vollständig bewältigt werden können.

       

      In den Aktionen sehe ich zuallererst mal einen starken Widerspruch gegen das Argument Nummer #1, das rechte Extremisten und konservative Politiker gleichermassen gerne bemühen:

       

      "Deutschland kann sich so viele Flüchtlinge nicht leisten".

       

      FHB und andere beweisen doch recht eindeutig das Gegenteil: "Wir können uns das leisten, wir wollen uns das leisten, und wenn die öffentliche Hand uns dabei nicht recht unterstützen mag, dann organisieren wir das notfalls auch selbst."

       

      Von daher mögen Selbstorganisation und Zivilcourage hin und wieder schlecht organisiert sein, sie sind aber auch immer eine starke politische Meinungsäußerung. Und die politische Verwaltung täte gut daran, die Hilfsbereitschaft der Menschen in ihr eigenes Wirken einzubeziehen, und in der Organisation zu unterstützen; anstatt sie wahlweise für unnötige Hilfsbereitschaft zu kritisieren oder gleich vom Steuerzahler finanzierte Zeit damit zu vergeuden diese Organisationen "ehren" zu wollen.