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Klischees zum Kult

Von Retro-Phänomenen wie Hammerfall wurden Anthrax bisher verschont  ■ Von Oliver Rohlf

Im Heavy Metal kommt die Kategorie „amtlich“ einer Auszeichnung gleich. „Amtlich“ ist, wer solide rockt, seine Instrumente beherrscht und trotzdem die Virtuosität nie aus den Augen verliert. Garniert ein solcher Metal-Meister sein Werk mit einem gediegenen Maß an Melodie, ist die „Amtlichkeit“ perfekt.

Hammerfall ist so eine Band. Kaum ein Szeneblatt, das die schwedischen Newcomer nicht mit Titelgeschichten hofiert. Und das, obwohl die einzige Heldentat des Quintetts darin besteht, exakt so zu klingen wie die meisten Metalbands vor 15 Jahren. Nach dem Schlager scheint nun auch das härteste aller Rock-Genres voll in Retro-Hand zu sein. Hammerfall – die fünf Guildo Horns des Metal. Dabei mokierten sich noch vor zwei Jahren zahlreiche Szene-Recken über die Muffigkeit antiker Genre-Saurier wie Judas Priest, Iron Maiden oder Running Wild und stellten die ketzerische Frage: „Ist der Metal tot?“ Natürlich nicht, so die mitgelieferte Antwort, die Heavy-Welt zahle lediglich ihren Tribut an die musikalischen Weiterentwicklungen in Form einer Auszeit.

Dann veröffentlichten Hammerfall ihr Debüt Glory To The Brave und erklärten diese dürren Jahre für beendet, indem sie die alten Tugenden Loyalität, Aufrichtigkeit und Nietenarmbänder wiederbelebten. Das Retro-Ritual kam voll zum Zug. Sämtliche Klischees wurden zum Kult umgedeutet, und auf einmal waren sie wieder da: die fast vergessenen, brustfreien Bühnen-Poseure, die von nichts anderem als der Stärke des True Metal sangen. Die Rückbesinnung auf die eigenen Wurzeln, so sagt man jetzt, hätte dem Heavy Metal den Stolz auf sich selbst und die alten, guten Marktanteile zurückgegeben. Denn retro sells, und das verdammt gut. Seitdem kramt eine Hundertschaft an Gruppen in den Mottenkisten der szene-internen Vergangenheit und erstellt abstruse Listen mit zu verehrenden Helden. Das verschafft keine neuen Klänge, stiftet aber genügend Identität für die kommenden Jahre.

In dieser zweifelhaften Hall Of Fame tauchen Anthrax glücklicherweise nicht auf, obwohl vordergründig vieles dafür spräche. Denn die New Yorker Metaller haben in ihren 17 Jahren Bandgeschichte das Genre entscheidend mitgeprägt. Das mag daran liegen, daß sich die Musiker um Gitarrist Scott Ian anders als bespielsweise Slayer vom Motto der 80er Jahre, alles zu verdammen, was nicht Metal war, trennten und konsequent HipHop, Skate- und Hardcore einfließen ließ. Die gesamte Cross-over-Welle Anfang der 90er hätte ohne Ians brachiales Seitenprojekt S.O.D. so wahrscheinlich nicht stattfinden können. Die Fangemeinde von Anthrax war schon divers, als Manowar noch an ihrem Credo „Death to false Metal!“ herumdokterten. Heute sind Anthrax vier bärtige Männer jenseits der 30, die neben der überschaubaren Härte ihrer Musik vor allem den Familienfrieden pflegen. Das klingt nach Mittelstandsunternehmen. Und genau das ist es auch.

Anthrax: Mi, 21. Oktober / Hammerfall, Primal Fear, Labyrinth, Pegazus: Do, 15. Oktober, jeweils 21 Uhr, Markthalle

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