Klimawandel in der Politik: An Überheblichkeit verhoben
Die Deutschen haben sich gegen die Arroganz der Macht ein Stück Demokratie zurückerobert. Immer war es knapp, aber immer hat es sich gelohnt.
Es ist eher ein Gefühl als eine kühle Analyse: Was für eine Erleichterung! In den vergangenen Wochen war in der deutschen Politik gleich mehrmals zu beobachten, wie die konservative Machtelite dieses Landes durch demokratisches, zivilgesellschaftliches Engagement in die Schranken gewiesen werden konnte. Gegen alle Widerstände. Und es war stets sehr knapp.
Mit der Verlängerung der AKW-Laufzeiten fing es an: Diese Politik, die laut Umfragen nur eine kleine Minderheit der Bevölkerung befürwortet, wurde von der schwarz-gelben Koalition auf Bundesebene im vergangenen Herbst brutalstmöglich exekutiert - mit Rückendeckung und nach sehr wahrscheinlichen Einflüsterungen der großen Energiekonzerne natürlich. Und das in einem zentralen Politikfeld.
Proteste dagegen, gegen dieses Regieren gegen die klare Mehrheit des eigenen Volkes, auf den Straßen und Plätzen der Republik schienen zwecklos. Alles prallte ab an der Arroganz einer demokratisch nicht legitimierten Clique von Profiteuren der Laufzeitverlängerung, vor allem in der Industrie. Wie kaum jemand anders verkörperte der nun abgewählte Ministerpräsident Baden-Württembergs, der Atomkraftfan Stefan Mappus (CDU), diese Überheblichkeit der Macht, die ja am Ende nur ein Kotau der Exekutive vor wirtschaftlichen Interessen war.
PHILIPP GESSLER ist Reporter der taz.
Ähnliches schien sich beim Fall des früheren Verteidigungsministers (Dr.) Karl-Theodor zu Guttenberg zu wiederholen: Fast wochenlang schien der falsche Doktor mit seinen miesen Ausflüchten, seiner adlig-gutsherrschaftlichen Unangreifbarkeit durchzukommen. Hätte es nicht einen Aufschrei der machtfernen, bürgerlich-technischen Elite in Form von Internetmassenprotesten echter Doktoren gegeben - auch diese Empörung hätte die konservative Machtelite wohl wider besseres Wissen und trotz des Verstoßes gegen ihre Grundwerte ausgesessen.
Das war ganz knapp: Wäre die Reaktorkatastrophe in Japan nur drei Wochen früher gekommen, hätte zu Guttenberg aller Voraussicht nach politisch überlebt, dieses Thema wäre an den Rand gedrängt worden. So aber wurde sein Rücktritt der erstaunliche Sieg einer gesellschaftlichen Gegenkraft, die die Regierung Merkel/Westerwelle offenbar kaum beachtenswert findet. Hier überwog ebenfalls Erleichterung, dass scheinbar eher harmlose Proteste im Netz und auf der Straße doch etwas bringen.
Nun mag Angela Merkel als Physikerin wirklich aus eher technischen und sicherlich wahltaktischen Gründen plötzlich ein bisschen gegen die Atomkraft sein, nachdem im japanischen Fukushima de facto ein zweites Tschernobyl entsteht. Ihr plötzlich durchgesetztes Moratorium für die Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke und die (zeitweise?) Abschaltung von sieben deutschen Meilern wäre aber nicht denkbar gewesen, wenn die Antiatomkraftbewegung nicht seit Jahrzehnten so stark in die Gesellschaft gewirkt, das Feld bestellt hätte.
Wieder der gleiche Eindruck: Es bedurfte schon einer Menschheitskatastrophe, um Teile einer offenbar abgehobenen Elite in Politik und Industrie zu einem Umdenken zu bringen. Zumal die angeblich falsch zitierten Bemerkungen von Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) bei der Spitze der deutschen Industrie zeigten, wie wenig ernst der schnellere Abschied von der Atomenergie in der Bundesregierung und bei den Wirtschaftsbossen gemeint war. Der Kairos, um zu Guttenberg zu zitieren, der geschichtliche Moment war ganz kurz auf Seiten der Zivilgesellschaft. Auch das war knapp.
Schließlich die Wahl in Baden-Württemberg am Sonntag: Da hatte sich die CDU in Jahrzehnten durch ein nur halb demokratisches Wahlrecht und den geschickten Zuschnitt von Wahlkreisen eine Machtbasis geschaffen, die kaum zu knacken schien. Nur zwei Direktmandate mehr für die CDU - und die Mehrheit der Bevölkerung wäre erneut in der Regierung nicht repräsentiert worden. Das war ebenfalls, wie der Wahlabend zeigte, eine hauchdünne Entscheidung. Was für eine Erleichterung, dass es anders kam, auch hier.
Der Landesvater Baden-Württembergs in spe, Winfried Kretschmann (Grüne), zitierte am Wahlabend Max Webers Bild von der Politik als Bohren dicker Bretter. Das Volk hat sich in den vergangenen Wochen ähnlich mühsam ein Stück Demokratie zurückerobert. Die Arroganz der Macht wurde gestraft. Deutschland ist ein anderes Land geworden. Glück war auch dabei. Welche Erleichterung! Widerstand lohnt sich. Demokratie auch.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen