Klimaprobleme in Indien: Das Sterben einer Jahreszeit

700 Millionen Bauern leben in Indien. Sie könnten zu einer starken Lobby für den Kampf gegen den Klimawandel werden. Doch noch ist es nicht so weit.

In Indien hilft der Regenschirm oft nur noch gegen die sengende Hitze. Bild: ap

Nisha Singh ist eine stille, schöne Bäuerin. Sie schaut die meiste Zeit scheu zu Boden. Dann enteilt ihr auf dem Weg zur Tränke ihre Wasserbüffelkuh, um einem Büffelkalb das Futter streitig zu machen. Die Kuh ist so dick wie ein Nilpferd. Als die schlanke Bäuerin in ihrem gelbgrünen Sari, dem traditionellen Kleidungsstück, versucht, sich ihrem großen Tier in den Weg zu stellen, müssen die umstehenden Dorfbewohner lachen. Da lacht auch Nisha Singh. Es ist ein fröhliches, langes Lachen. Es verrät eine Menge über ihren Gemütszustand, wenn sie morgens um acht Uhr ihre zwei Wasserbüffelkühe zur Tränke auf der Wiese vor das Dorf treibt. Sie ist guten Mutes. Trotz der großen Trockenheit in diesem Jahr. "Ich bin optimistisch. Der Regen wird nicht weniger werden", sagt sie. "Es gab immer Jahre ohne Regen und Jahre mit genug Regen."

Wie sie reden Bäuerinnen auf der ganzen Welt. Aber Nisha Singh - 27 Jahre, verheiratet, zwei Kinder - könnte es besser wissen. Sie lebt im nordindischen Bundesstaat Haryana. Hier lebt die Avantgarde der indischen Bauernschaft, die insgesamt 700 Millionen Menschen zählt und der die regierende Kongresspartei ihren letzten Wahlerfolg maßgeblich zu verdanken hat. Die Bauern in Haryana sind relativ wohlhabend, zum großen Teil selbstständig, in einem starken Verband organisiert und stolz auf ihre viertausendjährige Geschichte, die bis auf eine der ältesten Zivilisationen der Menschheit, die Indus- oder Harappa-Kultur, zurückgeht.

Doch Nisha Singh nützt das alles nichts. Sie ist eine Frau. Sie ist Analphabetin. Sie weiß nicht, was ihr Onkel und die anderen führenden Männer im Dorf wissen. Es stört sie nicht, dass sie ihre Büffelkühe nur bis zu der aus Holz gezimmerten Tränke auf der Wiese und nicht mehr wie ihre Mutter zu den Wasserlöchern auf die Felder führt.

Die Vorhersagen:

In Indien wird es wärmer. Nach einem Bericht, den die indische Regierung für die Vereinten Nationen angefertigt hat, werden die Maximaltemperaturen in Südindien bis zum Jahr 2050 um 2 bis 4 Grad steigen; für den Norden wird ein Anstieg um mehr als 4 Grad erwartet. Auch die Minimalwerte dürften in 40 Jahren um rund 4 Grad höher liegen. Die Regenmenge wird zunehmen, allerdings wird es weniger Regentage mit umso heftigeren Niederschlägen geben. Die Folge: Trockene Regionen werden voraussichtlich noch trockener, Wolkenbrüche mit anschließendem Hochwasser werden häufiger auftreten.

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Die Folgen:

Das alles wird Indien auch finanziell belasten. Laut Weltbank geben die einzelnen Bundesstaaten allerdings gegenwärtig mehr für die akute Nothilfe aus als für wichtige Anpassungsmaßnahmen. Im Staat Maharashtra habe die Nothilfe nach einer Dürre 2003 und einer Flutkatastrophe 2005 mehr gekostet, als der Staat von 2002 bis 2007 insgesamt für die Landwirtschaft ausgegeben hat. Der Rückversicherer Swiss Re hat berechnet, dass die Ernteausfälle in dem Staat bis 2030 bestenfalls um 10 Prozent, im schlimmsten Falle um 50 Prozent zunehmen können. Hinzu kommen weitere Folgen des Klimawandels wie Gletscherschmelze im Himalaja, das Steigen des Meeresspiegels sowie das häufigere Auftreten von Zyklonen, die an Stärke zunehmen. Diese Entwicklung bedroht Küstenstädte wie Bombay. (step)

In den Löchern hielt sich früher das Wasser des Monsunregens das ganze Jahr lang. Doch seit einiger Zeit trocknen die Löcher schon in den Wintermonaten aus. Jetzt, im Dezember, müssen die Büffel bereits wie die Menschen Brunnenwasser trinken. Nisha Singh lässt ihre Tiere nach der Tränke den ganzen Tag mit Ziegen und Schafen zusammen auf der Wiese weiden. Sie denkt sich nichts dabei. Es geht ihr gut. Früher aber hätten sich ihre Büffelkühe zu dieser Jahreszeit noch im Schlamm gesuhlt. Den Tieren geht es schon nicht mehr so gut.

Singhs Onkel, Mewa Singh, ist über diese Dinge hoch besorgt. Er ist 50 Jahre alt, ein selbstständiger Kleinbauer mit weniger als einem Hektar Land und genug Zeit, sich über alles Gedanken zu machen. Besonders jetzt, wenn die Wintersaat gesät ist, die Frauen fleißig Tiere und Haushalt versorgen und die Männer tagsüber stundenlang Tee mit Büffelmilch trinken und quatschen. Auch Mewa Singh im traditionellen weißen Kleid redet dann viel. Er sagt, dass man sich in seinem Dorf Bunghla, 200 Kilometer westlich der Hauptstadt Delhi, des Klimawandels bewusst sei.

Schon vor 25 Jahren, Anfang der Achtziger, hätten die Veränderungen eingesetzt. Erst im Rückblick sei ihm das klar geworden. Früher habe es im Sommer drei Monate lang eine Stunde am Tag geregnet. Die Leute hätten den Monsun als eine Jahreszeit erlebt. Die gebe es heute nicht mehr. In diesem Jahr sei die Trockenheit besonders schlimm gewesen; fast die ganze Sommerernte sei ausgefallen. Seine Familie habe das verkraftet, aber die Sorge bleibe. "Heute wissen die jungen Leute nicht mehr, was ein Monsunregen ist", sagt Mewa Singh und schließt dabei seine Nichte ausdrücklich ein.

Er nimmt sein kleines Motorrad und fährt über eine frisch geteerte Straße zu seinem Feld. Er hat es erst im November gepflügt, einen Teil mit dem Trecker, einen anderen Teil mit dem Kamel, und Weizen gesät. An diesem Morgen muss er seine Böden nur bewässern. Er wartet bis zehn Uhr, dann setzt die Elektrizitätsversorgung für die Felder ein. Täglich bekommen die Bauern der Gegend nur vier Stunden Strom für die Bewässerung. Mewa Singhs kleine elektrische Anlage stellt sich automatisch ein. Sie pumpt Grundwasser aus Singhs 120 Meter tiefem Brunnen durch einen dicken Schlauch zu den Sprengern auf dem Feld.

Noch ist der Brunnen Mewa Singhs Lebensversicherung. Er spendet das ganze Jahr Wasser, egal ob es regnet oder nicht. Daher fehlt den meisten Mitgliedern seiner Familie das Krisenbewusstsein. Mewa Singh hat den Brunnen wie die meisten Bauern in seinem Dorf in den Achtzigerjahren anlegen lassen. Vorher gab es zwei Brunnen im Dorf, heute sind es 200. Sie waren erst 30, dann 60 Meter tief. Immer tiefer mussten die Bauern graben, weil der Grundwasserspiegel rapide sank. Heute weiß Mewa Singh, dass sein Brunnen nicht endlos sprudeln wird. Erstens verbrauchen die Bauern, weil der Monsunregen ausbleibt, zu viel Grundwasser. Zweitens ist die Wasserversorgung Nordindiens langfristig gefährdet, wenn es eines Tages nicht mehr genug Schmelzwasser von den Gletschern des Himalaja geben sollte.

Mewa Singh erfasst die Gründe nicht im Einzelnen. Er weiß nicht, was die Wissenschaft ausgerechnet hat: dass Indien bis 2080 mit 40 Prozent Ernteausfall rechnen muss und damit das landwirtschaftlich am schwersten vom Klimawandel betroffene Land der Welt sein wird. Aber er ahnt doch längst, was auf ihn zukommt. "Unser Gleichgewicht ist gestört. Das Leben wird nicht so weitergehen", sagt er.

Doch wenn die Bauern in Bunghla demonstrieren, dann nicht für mehr Klimaschutz, sondern für mehr Elektrizität für ihre Brunnenpumpen. Der einflussreiche Bauernverband im Bundesstaat Haryana ruft jedes Jahr im Januar zur Großdemonstration nach Delhi. Mewa Singh war beim letzten Mal dabei. "Wir wollen mehr Elektrizität!", rief er mit den anderen Bauern. Wie könnte es anders sein? Die ganze Familie braucht mehr Strom: für die Felder, zum Kochen, für die Beleuchtung bei den Schularbeiten am Abend, für den Fernseher.

Sosehr Mewa Singh das langfristige Problem des Klimawandels erkennt, so wenig kann er sich den Wünschen seiner Familie entziehen. Die aber freut sich heute, wie seine Nichte Nisha, über die kleinen Fortschritte im Alltag. Weiter denkt sie nicht. "Die Winterernte", sagt Mewa Singh mit Blick auf seine Felder, "wird wieder gut ausfallen."

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