Klimapolitik der EU: 55 ist das neue 40
Wenn die EU gegen die Erderwärmung vorgehen will, muss sie den Emissionshandel verschärfen. Zertifikate wären dann deutlich teurer als heute.
Das ist das Ergebnis einer Berechnung, die der Finanz-Thinktank Carbon Tracker Initiative am Donnerstag präsentiert hat. „Wenn Europa seine Verpflichtungen einhalten will, muss es früher oder später diese harten Entscheidungen fällen“, sagte Studienautor Mark Lewis zur taz.
Lewis hat bis vor Kurzem für die Barclays Bank und die Deutsche Bank zu diesen Themen gearbeitet. Nun hat er zum ersten Mal durchgerechnet, was das Pariser Klimaziel – den Klimawandel bis 2100 deutlich unter 2 Grad Celsius zu halten und 1,5 Grad anzustreben – für das wichtigste EU-Instrument im Klimaschutz bedeutet: den Emissionshandel. Nähme die EU den Klimaschutz ernst, würden sich bis 2030 die Preise für eine Tonne CO2 auf den europäischen Märkten vervierfachen, prognostiziert er. „2030 würde der Preis etwa bei 40 bis 45 Euro liegen“, sagt Lewis.
Beim derzeit gültigen Ziel von 40 Prozent erwarten die Analysten allgemein dagegen höchstens 30 Euro für 2030. Die höheren Preise bei einem 55-Prozent-Ziel jedenfalls wären „bis 2030 das Ende für Stein- und Braunkohle in Deutschland“, so Analyst Lewis.
Am Emissionshandel nehmen 12.000 EU-Unternehmen vor allem aus der Energie-, Stahl-, Chemie- und Zementbranche teil, die etwa 45 Prozent der europäischen Emissionen verursachen. Für jede Tonne CO2, die sie verursachen, brauchen sie Zertifikate, mit denen sie handeln können. Wegen eines riesigen Überangebots von knapp drei Milliarden Zertifikaten waren die Preise dafür bislang im Keller.
14 Euro für die Lizenz für eine Tonne CO2
Das hat sich mit der neuen EU-Richtlinie bereits geändert. Von gut vier Euro ist die Lizenz für eine Tonne CO2 auf derzeit etwa 14 Euro gestiegen. Denn die EU hat sich für die Zeit von 2021 bis 2030 auf Reformen geeinigt: Jedes Jahr wird ein Viertel der Überschüsse durch die „Marktstabilitäts-Reserve“ (MSR) dem Handel entzogen und die Obergrenze für die Emissionen sinkt schneller. Allerdings bei weitem nicht schnell genug: Statt eines Reduktionstempos von 2,2 Prozent jährlich, wie jetzt beschlossen, fordert etwa auch das Umweltbundesamt, die Reduktion müsste pro Jahr 2,6 Prozent betragen, um ein ähnliches Klimaziel wie die Carbon Tracker zu erreichen.
Von der EU-Kommission gibt es offiziell keine Zeichen, dass eine so drastische Verschärfung bald möglich wäre. „Unser Beitrag zum Pariser Abkommen ist die Reduzierung um 40 Prozent“, sagte eine Sprecherin der Kommission auf Anfrage. Derzeit verhandele man mit den EU-Staaten über neue Ziele für Energieeffizienz und erneuerbare Energien. Da könnten die Länder gern ehrgeizig sein und die 40 Prozent übertreffen. „Eine Festlegung auf 55 Prozent ist derzeit politisch nicht durchsetzbar“, heißt es aus dem Europäischen Rat.
Allerdings wissen auch alle, dass Europa mehr Anstrengungen braucht. Am Mittwoch berieten darüber Vertreter von EU-Ländern wie Frankreich, Deutschland, Schweden und den Niederlanden in Paris. WWF-Klimaexperte Michael Schäfer forderte ebenfalls 55 Prozent, denn „40 Prozent sind viel zu niedrig für einen fairen Anteil am Pariser Abkommen“. Erst im März hat der Rat die Kommission beauftragt, eine Langfriststrategie zu entwickeln, mit der bis 2050 die Paris-Ziele erreicht werden sollen. „Daran arbeiten wir“, heißt es aus der EU-Kommission.
Manche Länder fordern bereits ein schnelleres Tempo: Im März erklärte der niederländische Premier, die EU solle das 55-Prozent-Ziel in den Blick nehmen. Und wenn die deutsche „Strukturkommission“, die dieser Tage gebildet werden soll, zum Jahresende einen Fahrplan für den Kohleausstieg erarbeiten soll, hat sie ebenfalls diese magischen Zahlen im Blick: 55 Prozent weniger CO2-Emissionen aus Deutschland bis 2030.
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