Klimaforscher bemängeln "Patentlösung": Geomanipulation soll Weltklima retten
Schwefelpartikel in die Erdatmosphäre pusten, Eisenspäne ins Meer streuen: "Geoingenieure" versprechen bequeme Patentlösungen für die Klimakrise.
![](https://taz.de/picture/366003/14/vulkan.jpg)
Riesige Spiegel zwischen Erde und Sonne oder weite Wüstengebiete, die mit weißer Plastikfolie bedeckt werden, um das Sonnenlicht zu reflektieren. Eisendüngung der Ozeane, um das Wachstum der Algen zu beschleunigen und dadurch deren Fähigkeit zur CO2-Aufnahme zu steigern. Und warum nicht künstlich eine dichtere Wolkendecke schaffen, indem man mit Fontänen einen Schleier aus Meerwasser aus den Ozeanen hochspritzt? "Geo-Engineering" nennen sich solche Konzepte. Teilweise bereits realisierbar, teilweise noch Science-Fiction. Immer mehr KlimaforscherInnen glauben, dass es Zeit ist, solche Methoden ins Auge zu fassen, um die Erde vor der Klimakrise zu retten.
Laut einer Umfrage der britischen Tageszeitung Independent meinen 54 Prozent von 80 befragten WissenschaftlerInnen, dass ein solcher "Plan B" notwendig sei, weil die bisherigen Anstrengungen, den CO2-Ausstoß zu verringern, gescheitert sind. Oder zu spät kommen, um einen Anstieg der globalen Temperaturen noch rechtzeitig stoppen zu können.
"Luftschlösser" sind das für Pål Prestrud, Direktor von Cicero, dem norwegischen Zentrum für Klimaforschung. Er hat nichts für solche Pläne übrig: "Die bauen auf einer merkwürdig mechanischen Sicht der Natur auf. Man stellt sie sich so ungefähr wie einen Motor vor. Schraubt man an der einen Stelle, erwartet man die Wirkung an einer anderen. Aber so einfach ist das nicht. Die Natur ist ein ungeheuer komplexes System. Und wir wissen in Wirklichkeit nicht, was als Ergebnis herauskommt, wenn wir auf diese Weise herumzudoktern beginnen."
Als Beispiel nennt Prestrud den Vorschlag von Paul Crutzen, langjähriger Leiter des Max-Planck-Instituts in Mainz, der 1995 den Chemienobelpreis erhielt. Dieser schlug vor, die Effekte nachzuahmen, die ein Vulkanausbruch hat, bei dem große Mengen Schwefel in die Erdatmosphäre geschleudert werden. Dadurch werde verhindert, dass Sonnenstrahlen die Erdoberfläche erreichen.
Nach dem Ausbruch des Mount Pinatubo 1991 auf den Philippinen führte das beispielsweise dazu, die Erde ein bis zwei Jahre lang um etwa 0,5 Grad abzukühlen. Indem man, so Crutzens Konzept, 1,5 Millionen Tonnen winziger Schwefelpartikel mithilfe von Ballons in die Atmosphäre transportiere und dort in 10 bis 50 km Höhe ausstreue, könne der Klimawandel gestoppt werden.
Selbst wenn diese Berechnungen stimmen und man damit tatsächlich einen Klimaeffekt erzeugen kann, hält Prestrud es für wesentlich sinnvoller und erfolgversprechender, den Ausstoß von Klimagasen zu reduzieren. Er weist auf die Verlockungen der "Geo-Engineering"-Pläne hin, die natürlich attraktiv seien, da sie eine Patentlösung versprächen, die noch dazu mit weiterem relativ unbegrenztem Wirtschaftswachstum vereinbar scheint.
Die meisten BefürworterInnen eines "Plan B" wollen nicht missverstanden werden. Diese Optionen "dürfen nicht die Bemühungen mindern, die Emissionen direkt zu verringern", betont beispielsweise John Shepherd, Professor am National Oceanography Centre der Universität Southampton in Großbritannien. Keineswegs sollten solche Technologien als Ersatz für politische Übereinkommen wie ein Kioto-Folgeabkommen verstanden werden.
Abgesehen von unerwarteten Folgen und Nebenwirkungen der Geomanipulationen verweist David Archer, Geophysiker an der Universität Chicago, auf deren grundsätzlichen Schwachpunkt. Sie dienten im Wesentlichen nur dazu, das Problem auf die lange Bank zu schieben: "Kohlendioxid, das wir einmal in die Atmosphäre freigesetzt haben, wird das Klima auf Jahrtausende beeinflussen."
Plan B würde somit unsere eigene Klimarechnung nur den künftigen Generationen aufdrücken. Würden die es dann nicht schaffen, die Rechnung einzulösen, "müssten sie mit der vollen Wucht einer katastrophalen Klimaänderung in ganz kurzer Zeit klarkommen".
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