Klima Kein Land hat in Europa so stark für die Kohle gekämpft wie Polen. Nun stehen viele Gruben vor dem Bankrott, selbst frühere Manager kämpfen heute für sauberen Strom. Das könnte die Energiepolitik in ganz Europa verändern: Kohleland ist abgebrannt
AUS WARSCHAU, GLIWICE UND KATOWICE Bernhard Pötter
Pawel Smolén ist ein glühender Anhänger der Kohle. Und ein Mann, den Umweltschützer lieben. Der Mittfünfziger sitzt im Tweedjackett in einem Café an der Warschauer Stadtmauer. Er wählt seine Worte vorsichtig. „Viele meinen, Polens Kohleindustrie sei wie die ‚Titanic‘ “, sagt er. „Der Eisberg ist direkt vor uns. Die Katastrophe ist nicht unausweichlich, aber sehr gut möglich.“ Er nimmt einen Schluck Kaffee.
Kaum jemand kennt den Filz aus Politik, Industrie und Gewerkschaften besser als Pawel Smolén. Der Manager, kurzes Haar, Kinnbart, modische Brille, spricht exzellent Englisch und Deutsch und kontrolliert genau, ob er auch richtig zitiert wird. Er hat einem Treffen zugestimmt, sagt aber, es sei heikel, in Polen kritisch über Kohle zu reden. Er will sich nicht angreifbarer machen als unbedingt nötig.
Er weiß, welche Wirkung seine Worte haben können. Der Ökonom und Ingenieur war über 20 Jahre lang Boss, Berater und Botschafter der Kohleindustrie: Spitzenmanager beim größten polnischen Stromkonzern PGE, später bei Vattenfall Deutschland zuständig für die Braunkohle, bis vor einem Jahr Präsident des europäischen Lobbyverbands Euracoal.
Umweltschützer lieben ihn heute, weil er so lange so wichtig für das Geschäft mit der Kohle war – und es nun infrage stellt. Weil er solche Sätze sagt: „Polen hat die Wahl: den Status quo zu verteidigen und große Anteile am Markt zu verlieren. Oder alte Bergwerke zu schließen, und dafür neue, moderne und sichere Gruben zu öffnen, Energie zu sparen und auf neue Energien zu setzen.“
Dabei glaubt Pawel Smolén, der heute bei einem Bauunternehmen arbeitet, immer noch, dass Kohle gebraucht wird. Aber er sagt den Chefs der polnischen Energiekonzerne: Verändert euch oder geht unter!
In Deutschland und Westeuropa sind solche Forderungen heute normal. Kohle gilt hier vielen Menschen als schmutziger Energieträger. In Polen ist diese Kritik noch immer revolutionär. Nirgendwo sonst in der Europäischen Union sind Kohlekonzerne und Politik so eng miteinander verflochten. Kein anderer Staat hat in Europa so stark für die Belange der Kohlelobby gekämpft. Das Land ist der größte Produzent von Kohle in der EU, die staatseigene Kompania Węglowa der größte Kohlekonzern Europas. Wenn Polen seine Energiepolitik ändern würde, hätte das Auswirkungen auf den ganzen Kontinent.
Vieles verändert sich bereits: Staatseigene Gruben stehen vor dem Bankrott. Direkte Subventionen wie früher untersagt die EU. Ein Teil der Kraftwerke, die meisten sind ebenfalls Staatseigentum, muss auf Druck der polnischen Politik teure heimische Kohle verfeuern statt billigen Brennstoff vom Weltmarkt. Drei im Bau befindliche Kraftwerke werden deshalb wohl nie schwarze Zahlen schreiben. Das Land bezieht noch 85 Prozent seines Stroms aus Kohle, aber die erschlossenen Vorkommen sind bald erschöpft, und was noch übrig ist, liegt so tief, dass es noch teurer wäre, es abzubauen. Der polnische Kohlestaat ist am Ende. Eigentlich.
In Gliwice machen sie trotzdem weiter.
Das Bergwerk Sobieski in der oberschlesischen Stadt Gliwice liegt fünf Stunden südlich von Warschau. In der Luft hängt träge der Nebel, es ist ein feuchtkalter Morgen im April, ein Bulldozer wühlt sich durch nassen, schwarzen Kohlebrei. Im Büro von Direktor Janusz Jarczyk, einem Mann mit Halbglatze und Kugelbauch, ist das Fenster gekippt, die Heizung bollert. An der Wand das polnische Wappen, historische Fotos von Männern, die in Minen arbeiten. Daneben ein altes Grubentelefon aus Holz, mit dem die Bergleute früher aus dem Schacht Hilfe rufen konnten. Auf einer großen Zeichnung sind die Stollen des Bergwerks eingetragen: Schwarz für erschöpfte Schächte, Gelb, Rosa und Blau für die aktuelle Förderung, bis zu drei Millionen Tonnen jedes Jahr. „Wir planen bis 2063 und darüber hinaus“, sagt Janusz Jarczyk.
Seine Grube laufe gut, es gebe kaum Unfälle. Gerade war der polnische Präsident zu Besuch, auch die Ministerpräsidentin lässt sich gern blicken. Auch Jarczyk ist aufgefallen, dass „die Preise letztes Jahr um 20 Prozent gefallen“ sind. Aber gegen Konkurrenz muss sich seine Kohle nicht behaupten. Davor schützt ihn der Energiekonzern „Tauron“, dem die Grube gehört. Sobieski findet für die meiste Kohle Abnehmer im eigenen Unternehmen. Das baut nebenan das nächste Kraftwerk.
Vor der Tür rumpeln lange Güterzüge mit rostig blauen Waggons über das Gleisgewirr des Rangierbahnhofs. Daneben türmen sich die Kohlehalden an einem Hang, auf dem Birken ihr erstes Grün sprießen lassen. „20 Prozent unseres Umsatzes machen wir mit Kohle für Privathaushalte“, sagt der Bergwerksdirektor, da verdient das Unternehmen gutes Geld.
Zum Abschied zeigt Janusz Jarczyk auf die Ahnenreihe der Direktoren. Bis 1984 wurde seine Mine von Kaszimir Jarczyk geleitet – seinem Vater.
Regierung feuert Manager
Die Kohle gehört zu Polen, das ändert sich nicht so leicht. Politik und Wirtschaft sind eng verflochten. Die Stromkonzerne PGE, Enea und Energa, die zusammen den Markt dominieren, gehören mehrheitlich dem Staat. Auch an Tauron besitzt der Finanzminister 30 Prozent, das Stromnetz betreibt eine hundertprozentige Staatsfirma, fast alle Kohlegruben sind Staatsbetriebe. Die derzeitige Regierung hat gerade die Aufsichtsräte in Strom- und Kohlekonzernen ausgetauscht, auch die vorige Regierung feuerte 2013 den Chef des PGE-Konzerns, weil er sich weigerte, ein unrentables Kohlekraftwerk zu bauen. 2015 musste der Tauron-Boss gehen, weil er eine marode Mine nicht kaufen wollte. Die Energiekonzerne sollen schwarze Zahlen schreiben, müssen aber politische Vorgaben erfüllen. Das erzeugt Frust. „In 15 bis 20 Jahren ist PGE irrelevant, wenn sich nichts ändert“, sagt eine Managerin in Warschau.
Die Probleme sind nicht nur wirtschaftliche. Die Luftverschmutzung ist in Polen schlimmer als überall sonst in Europas. An den dadurch verursachten Krankheiten sterben jährlich etwa 40.000 Menschen. Ein Teil der dreckigen Kraftwerke wird wegen europäischer Umweltauflagen bald stillgelegt. Im vergangenen Sommer musste Polen, seit 20 Jahren ein Land im Wirtschaftsboom, in einigen Firmen wegen Engpässen den Strom abschalten. In diesem Jahr droht eine Wiederholung.
Für alle, die an einer Energiewende in Polen arbeiten, ist das eine Hoffnung. Vielleicht zwingt die Angst vor dem Blackout die polnische Regierung zum Umdenken. Im Sommer legt die EU-Kommission ihre Pläne vor, welches Land künftig wie viel für den Klimaschutz leisten muss. Das war bisher immer schwierig, denn alle polnischen Regierungen blockierten, wo sie konnten. Bei Umweltschützern und EU-Beamten heißt es deshalb: „Poland is Coaland.“
Bevor die EU-Kommission im Sommer entscheidet, erwarten die Experten der deutschen Stiftung für Wissenschaft und Politik in einer Studie „tiefgreifende, teilweise auch ideologisch geprägte Konflikte. Im Zentrum der Auseinandersetzungen dürfte Polens neue Regierung stehen.“
Seit einem halben Jahr baut die nationalkonservative Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) den Staat um: Die Verwaltung wurde rabiat gesäubert, das Verfassungsgericht kaltgestellt, die Medien wurden an die Kette gelegt. Internationale Kreditgeber kritisieren das, Manager in polnischen Unternehmen sorgen sich, ob diese Entwicklungen schlecht fürs Geschäft sind.
Wie aber positioniert sich die Regierung in der Energiepolitik?
An einem Donnerstag Ende Januar in Warschau warten etwa 300 Menschen in dunklen Anzügen und Businesskostümen auf den Stargast. Draußen schmilzt der letzte Schnee in dreckigen Haufen am Straßenrand. Die Energiefachleute sind in den fensterlosen Konferenzsaal mit blaugrauem Teppichboden im Hotel Sheraton zur Konferenz des Arbeitgeberverbands gekommen. Thema: „Polnische Energie in Europa“. Dann tritt Michał Kurtyka ans Rednerpult, der Vizeminister für Energie in der neuen PiS-Regierung. Sein Amtssitz, ein dunkelgrauer Kasten, liegt gegenüber am Trzech-Krzyży-Platz. Die neue Regierung von „Recht und Gerechtigkeit“ hat die EU-Fahnen aus den Regierungsgebäuden verbannt, im Sheraton steht neben dem polnischen Weiß-Rot die blaue Fahne der Europäischen Union.
Kurtyka, ein junger Managertyp in blaugrauem Anzug, mit Glatze und Kinnbart, ist einer der wenigen Energieexperten der Regierung. Er spricht alle Probleme an: zu wenige Kraftwerke, zu wenige Investitionen, marode Netze und alte Kraftwerke, zu geringe Wettbewerbsfähigkeit, den Ärger mit Brüssel. Über Lösungen redet er kaum. In seinem 40-Minuten-Vortrag erwähnt er einmal das Wort „Klima“ und einmal „Umwelt“. „Immerhin hat er zugegeben, dass es Probleme gibt“, sagt eine Expertin.
Dann spricht Pawel Smolén. Der frühere Kohlelobbyist legt eine Schrift vor, er nennt sie sein „Testament“: eine Studie über „Megatrends“ in der Energiewirtschaft. Es sind die Fakten, die er seit Jahrzehnten nur intern ansprechen durfte. Jetzt gefällt er sich in der Rolle des Mahners. Vielleicht hassen ihn manche hier. Aber alle hören zu.
Der Beamer strahlt Warnungen an die Wand: Die Kohle ist zu teuer, die Umweltgesetze werden strenger, die Bevölkerung wehrt sich in großen Städten wie Krakau mit Erfolg gegen die Luftverschmutzung. Smoléns Crashkurs endet mit einem drastischen Fazit: „Es gibt keine Zukunft für Kohleheizungen in privaten Haushalten,“ sagt er. „Die Zahl der Minen wird sich halbieren.“ In 15 Jahren werde der Anteil der polnischen Kohle an der Stromversorgung des Landes auf 30 Prozent gesunken sein. Smolén sagt, Polen brauche weniger Kohle und die müsse aus modernen Gruben kommen. Das Land solle Energie sparen. Mehr Wind-, Biomasse- und Sonnenenergie. Nicht wegen der Umwelt, sondern weil Fakten und Finanzen das erforderten. „Es geht nicht um Ideologie“, sagt Smolén, „sondern um Pragmatismus.“
Europas härtester Lobbyist
Ideologie – dieser Vorwurf richtet sich auch an seine alten Kollegen vom Lobbyverband Euracoal in Brüssel, über tausend Kilometer von Warschau entfernt. Dort blicken sie nervös nach Osten. „Polen ist sehr wichtig“, sagt Brian Ricketts, Geschäftsführer von „Euracoal“, „es ist der bei Weitem größte Kohleproduzent in Europa.“ Der härteste Lobbyist für Kohle in der Europäischen Union ist am Telefon recht sanft. Er lobt die „Restrukturierungen“ durch die Regierung, er sieht Chancen für billigere Produktionsweisen, und er sagt: „Polen ist in einem Übergang, wird aber noch lange Steinkohle brauchen.“
Sonst schlägt Ricketts’ Organisation aggressivere Töne an. Der Kohleverband warnt vor dem „Ende der Aufklärung“ für den Fall, dass sich „die Ideen des Sozialismus“ durchsetzen. Euracoal hat besonders die Regierung in Warschau massiv bearbeitet, den EU-Klimazielen zu widersprechen, und fordert auch nach dem Pariser Abkommen, Europa solle sich zurückhalten. In einer Mail an Kollegen in der Branche schreibt Ricketts, die Kohleindustrie werde seit Paris „gehasst wie früher die Sklavenhalter“.
Weil sie erstmals seit Langem Erfolge für möglich halten, investieren die Klimaschützer in Polen. Thinktanks wie die European Climate Foundation und die Agora Energiewende haben ihre Warschauer Büros aufgestockt. Polen setzt den Trend im Osten. Oft haben sich andere Ostländer wie Ungarn, Tschechien oder die Slowakei hinter Warschau versteckt. Wenn Polen von der Kohle abrückt, wäre das ein Sieg für Umweltschützer in ganz Europa. Der Einfluss des Landes schwindet bereits. Ungarn und Tschechien setzen auf russische Atomkraftwerke.
In Polen selbst wird das Festhalten am „schwarzen Gold“ immer teurer. Die Schulden aus der Kohleindustrie machen mit 3,3 Milliarden Euro ein Drittel des Haushaltsdefizits aus. Ökonomen warnen, die Kosten würden das Wirtschaftswachstum gefährden. Dass dennoch keine Regierung das Ende der Kohle öffentlich zu denken oder gar zu planen wagt, liegt auch an der Angst vor den Gewerkschaften. Immer wieder, zuletzt im Februar 2015, zogen aufgebrachte Bergarbeiter durch die Städte und prügelten sich mit der Polizei. Nirgendwo sonst in Polen sind Arbeiter so mächtig. Seit dem Ende des Kommunismus vor 25 Jahren wurde die Wirtschaft brutal modernisiert und privatisiert. Nur der Energiesektor blieb weitgehend unangetastet.
Der Verband der polnischen Arbeitgeber heißt Lewiatan. Eine selbstironische Anspielung auf das übermächtige Monster des Staates, das der britische Philosoph Thomas Hobbes im 17. Jahrhundert beschrieb. Die Lobbygruppe für fast 4.000 Unternehmen empfängt in einem schmucken zweistöckigen Altbau im Warschauer Süden, mitten in einem kleinen Park. Aus den Fenstern der eichengetäfelten Bibliothek schweift der Blick über die Terrasse und die blühenden Bäume, in der Feuerstelle liegt akkurat aufeinandergeschichtetes Buchenholz.
Energieexpertin Daria Kulczycka erklärt, warum die polnischen Unternehmer unzufrieden sind. „Unsere Unternehmen brauchen sichere Energieversorgung, eine langfristige Perspektive“, sagt die energische Dame im feinen blauen Kostüm. Die Firmen fürchten Blackouts, hohe Strompreise, Fragen von ausländischen Investoren nach der Versorgungssicherheit und Ärger mit der EU. Kulczycka wählt ihre Worte mit Bedacht. Sie will niemandem auf die Füße treten.
Die Forderungen der Wirtschaft klingen grün: Der Energiesektor dürfe nicht nur „die Interessen der Industrie schützen“, wichtig seien auch „die Perspektive der Energieverbraucher und das öffentliche Interesse, darunter weniger Umweltverschmutzung“. Die Abhängigkeit von der Kohle sei „riskant“, die ältesten Kraftwerke müssten abgeschaltet, die EU-Regeln für Luftreinhaltung respektiert werden. Kulczycka redet fast genau so wie Pawel Smolén. Kein Wunder: Lewiatan hatte ihn zur Konferenz nach Warschau eingeladen.
Warum kämpft Pawel Smolén diesen Kampf? Wieso legt sich einer der bekanntesten Kohlemanager mit ehemaligen Kollegen und Freunden an?
Smolén behauptet, nicht er habe sich verändert, sondern die andern: „Ich habe diese Dinge seit Jahren immer wieder gesagt, auch als Chef von Euracoal“. Aber in der Wirtschaft und der Politik gebe es immer weniger pragmatische Entscheidungen, immer mehr Ideologie. Er sieht sich als Pragmatiker, der plötzlich radikal klingt, weil Realismus nicht mehr gewünscht ist. „Kohle und Erneuerbare haben beide Platz in Polens Energiemix“, sagt er. Seine neuen Alliierten in den Umweltverbänden sind da anderer Meinung, widersprechen aber lieber nicht laut. Für sie ist der Manager auf ihrer Seite wie ein Hauptgewinn im Lotto.
Die polnische Regierung versucht unterdessen, die Hoffnungen auf einen Wandel zu zerstören. Im Wahlkampf hat sie den Klimawandel geleugnet, den Bergleuten versprochen, deren Privilegien nicht anzutasten. „Weniger polnische Kohle“ heißt für sie: Abhängigkeit von russischer Kohle oder russischem Gas – oder von deutschen oder dänischen Windanlagen. Näher erklären will die Regierung ihre Positionen nicht. Trotz monatelanger Anfragen kommt kein Gespräch mit Vizeminister Kurtyka oder seinen Beratern zustande.
Dafür pumpt die Regierung frisches Geld in alte Schächte. Hilfe für die Bergwerke kommt von Energiekonzernen und Banken, die meisten in Staatshand. Der Kohlestaat reicht die Zeche an die Steuerzahler weiter.
Aber so ganz können auch die Rechtskonservativen die Realität nicht ignorieren. Ende April beschnitt die Regierung die Privilegien der Bergarbeiter und strich das 14. Monatsgehalt.
Brüssel: Im Juni will die EU-Kommission festlegen, wie die Europäische Union ihre Klimaziele umsetzen soll: Bis 2030 wollen die 28 Staaten ihre Treibhausgasemissionen um mindestens 40 Prozent gegenüber 1990 senken. Im sogenannten Effort Sharing legt die Kommission fest, welche Länder wie viel reduzieren. Mehr als die Hälfte davon soll im Verkehr, der Landwirtschaft oder bei Gebäuden erbracht werden, der Rest aus dem Emissionshandel.
Warschau: Bisher genießt Polen Privilegien wie freie Emissionsscheine für Kohlekraftwerke. Aber die Position der Ostländer ist geschwächt. Anders als beim Beschluss der Regierungschefs von 2014 zu den Klimazielen gilt bei diesen Fragen nicht das Prinzip der Einstimmigkeit. Wer sich querstellt, kann überstimmt werden.
In den Minen merken viele, dass sich etwas verändert. „Wir brauchen einen langfristigen Plan“, sagt Bogdan Nowak. Der 60-jährige drahtige Abteilungschef der Bergarbeitergewerkschaft ZZG w Polsce sitzt in seinem engen Büro in Katowice in der Nähe des Bergwerks Wujek. Auch hier hängt ein polnisches Wappen als Wandteppich, drei Topfpflanzen halten sich neben Sportpokalen in Vitrinen am Leben. Auf zwei Bildern gibt noch immer der polnische Papst Johannes Paul II. seinen Segen.„Die Zeit der Proteste ist vorbei“, sagt Bogdan Nowak. „Unsere Grube hat nur noch Kohle für sieben Jahre.“ Die Regierung solle Sozialpläne für die Arbeiter beschließen, Planungssicherheit garantieren. „Wir sollten das machen wie England oder Deutschland“, sagt Nowak. Dort ist die Steinkohle heute praktisch tot.
Widerstand kommt auch zunehmend von Bürgerinnen und Bürgern. In Krakau hat die Umweltgruppe „Krakau Smogalarm“ im vergangenen Jahr einen Sieg errungen: Die Provinzregierung verbot die 30.000 Kohleöfen in privaten Haushalten. Von den zehn Städten mit der dreckigsten Luft Europas liegen sieben in Polen. Der Alarmwert für Rußpartikel ist mit 300 Mikrogramm pro Kubikmeter absurd hoch. „Letztes Jahr hatte Paris Smogalarm bei 80 Mikrogramm“, sagt Anna Dworakowska von der Gruppe „Krakau Smogalarm“ in ihrem Büro am Rand der historischen Altstadt und lacht: „80 Mikrogramm? In Krakau ist das ein guter Tag. Da gehen wir joggen.“
Hoffnung auf den Bankrott
Ihre Gruppe hat in nur drei Jahren das Verbot erreicht. Und durchgesetzt, dass die Umstellung auf Gas- oder Fernheizung fast komplett aus öffentlichen Mitteln finanziert wird. Smogalarmgruppen gibt es inzwischen auch in Wroclaw und Katowice. Aber immer noch sei nicht festgelegt, wie dreckig die Kohle für Privathaushalte sein darf, sagt Dworakowska. „Die Gruben machen mit dem Verkauf von Kohle an Private ihren Gewinn. Wenn die Regierung das unterbindet, verschärft sie ihre finanziellen Probleme.“ Die polnische Regierung ist zugleich Regulierer und Regulierter.
Manche Umweltschützer und Ökonomen hoffen als letzte Lösung auf einen kontrollierten Bankrott des Kohlesektors. Oder zumindest auf die Insolvenz von unrentablen Gruben. Aber wie wahrscheinlich ist es, dass Polens Regierung so etwas zulassen würde?
„Ohne die Subventionen, über die in Brüssel gerade verhandelt wird, und ohne einen Umbau wäre die Kompania Węglowa bald bankrott“, sagt Pawel Smolén. Er hat seinen Kaffee ausgetrunken und seinem Ärger Luft gemacht: über unfähige Politiker, betriebsblinde Kohlemanager und Umweltschützer. „Wir sollten Kohlendioxid bekämpfen, nicht die Kohle“ – solche Sätze sagt er gern. Sobald Polen neue, effiziente Kohlekraftwerke baue und die Wohnungen durch Zentralheizungen statt Kohleöfen beheize, könnten die Emissionen um 30 bis 40 Prozent sinken. „Wir würden Europas Klimaziele locker erreichen“, meint Smolén.
Dann muss er weiter, er hat Termine. In der Energiebranche passiert derzeit viel. Am selben Tag meldet Peabody Energy, der zweitgrößte Kohlekonzern der Welt, in den USA Konkurs an.
Bernhard Pötter, 50, ist taz-Redakteur für Wirtschaft und Umwelt. Bei seinen Recherchen war er überrascht, als er in eine Pro-Windkraft-Demo vor dem Parlament in Warschau geriet. Seine Reise wurde unterstützt durch ein Stipendium im Programm „Reporters in the Field“ der Robert-Bosch-Stiftung
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