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„Klerikalfaschistische“ Dresdener RedeLewitscharoff bedauert ein bisschen

In einem Punkt entschuldigt sich die Schriftstellerin Lewitscharoff wegen ihrer Aussagen zur Reproduktion. Selbst der Suhrkamp-Verlag rückt von ihr ab.

Glaubt, mit einer Mini-Entschuldigung davonzukommen: Sibylle Lewitscharoff. Bild: imago / gerhard weber

DRESDEN/BERLIN dpa/taz | Autorin Sibylle Lewitscharoff hat sich für ihre Aussagen zur künstlichen Befruchtung und zu Retortenkindern entschuldigt. „Das tut mir wirklich leid, der (Satz) ist zu scharf ausgefallen. Ich möchte ihn sehr gerne zurücknehmen, ich bitte darum“, sagte die Schriftstellerin am Freitag im ZDF-„Morgenmagazin“.

Die Büchnerpreisträgerin hatte bei der Rede im Dresdner Staatsschauspiel Retortenkinder als „Halbwesen“ bezeichnet und die Reproduktionsmedizin mit Praktiken aus dem Nationalsozialismus verglichen. „Ich würde niemals ein Kind, das auf diese Weise zur Welt kam, als fragwürdigen Menschen bezeichnen“, sagte Lewitscharoff jetzt. Alle anderen Sätze ihrer Rede sind ihr keine Entschuldigung wert.

Noch am Donnerstag hatte die 59-Jährige ihre Äußerungen in einem Interview verteidigt. „Darf ich in einer Rede nicht sagen, was ich denke?“, erklärte sie der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, die das Interview zuerst online veröffentlichte.

Lewitscharoff hatte die Rede bereits am vergangenen Sonntag im Staatsschauspiel Dresden gehalten. Der dortige Chefdramaturg Robert Koall warf ihr am Mittwochabend in einem Offenen Brief gefährliche Stimmungsmache und indirekt die Verletzung der Menschenwürde vor. Der deutsche Lesben- und Schwulenverband und die Berliner Akademie der Künste reagierten schockiert auf die Äußerungen.

Lewitscharoffs Rechtfertigung

Lewitscharoff, eine der renommiertesten deutschen Schriftstellerinnen, hatte laut Manuskript über künstlich gezeugte Kinder gesagt: „Nicht ganz echt sind sie in meinen Augen, sondern zweifelhafte Geschöpfe, halb Mensch, halb künstliches Weißnichtwas.“

Der FAZ sagte sie: „Nein, ich will es nicht zurücknehmen.“ Allerdings habe sie auch klargemacht, dass ein Kind nichts dafür könne. „Niemals würde ich einem Kind, das auf solchen Wegen entstanden ist und das mir sympathisch ist, meine Zuneigung verweigern.“

Zudem habe sie ihre Rede damit begonnen, dass ihr Vater ein Gynäkologe gewesen sei, der sich umgebracht habe, erklärte die Autorin. „Ich gebe doch den Menschen im Publikum damit zu verstehen, dass ich anders auf diese Themen reagiere, schärfer und auch persönlicher.“

Die Rede wurde vom Staatsschauspiel zum Herunterladen ins Internet gestellt. Laut Text nannte Lewitscharoff Reproduktionsmediziner „Frau Doktor und Herr Doktor Frankenstein“, das biblische Onanieverbot mit Blick auf die Samenspende „geradezu weise“.

Reaktionen auf Lewitscharow

„Das ist ein fieser Angriff auf alle Familien, die wie viele Regenbogenfamilien auf dem Wege der Insemination Kinder bekommen“, erklärte Renate Rampf für den Lesben- und Schwulenverband in Berlin. Als Schriftstellerin wisse Lewitscharoff, was Worte anrichten könnten. „In diesem Wissen spricht sie den Kindern die Würde ab. Das ist nicht dämlich, sondern Hass – eine Sprache, die wir sonst nur von Verwirrten oder Fundamentalisten kennen.“

Der Präsident der Akademie der Künste, Klaus Staeck, erklärte: „Wir weisen den menschenverachtenden Ton und Gestus der Dresdener Rede von Sibylle Lewitscharoff aufs Schärfste zurück.“ Es sei ungeheuerlich, künstlich gezeugte Kinder als „Halbwesen“ zu bezeichnen. Eine Sprecherin des Suhrkamp-Verlags sagte: „Die Haltung, die in der Rede von Sibylle Lewitscharoff zum Ausdruck kommt, ist nicht mit der des Verlags zu verwechseln.“

Auf Spiegel Online schrieb Georg Diez, sie liefere „die Blaupause für einen neuen Klerikalfaschismus“. In Online-Netzwerken wie Facebook und Twitter gab es zahlreiche Äußerungen gegen Lewitscharoff. Ihre „schreckliche Tirade“ zeuge von „Menschenverachtung“ oder sei bloßer „geistiger Dünnschiss“, hieß es dort etwa.

„Dann hätten wir sie nicht eingeladen“

Lewitscharoff hatte 1998 für ihren Roman „Pong“ den Ingeborg-Bachmann-Preis erhalten. Die Romane „Montgomery“ (2003), „Apostoloff“ (2009) und „Blumenberg“ (2011) folgten. Unter anderem erhielt sie den Preis der Leipziger Buchmesse, den Kleist-Preis und 2013 den Georg-Büchner-Preis.

Das Staatsschauspiel organisiert in Kooperation mit der Sächsischen Zeitung regelmäßig Dresdner Reden. Vor Lewitscharoff kamen in diesem Jahr dabei auch schon die Journalisten Heribert Prantl, Roger Willemsen und der Grünen-Politiker Jürgen Trittin zu Wort.

Koall sagte, er sei von der Heftigkeit und Absurdität der Äußerungen Lewitscharoffs völlig überrascht gewesen. „Natürlich haben wir nicht damit gerechnet, dass jemand auf der Bühne diese Vergleiche anstellt“, so der Chefdramaturg. „Dann hätten wir sie nicht eingeladen.“

In der taz sagte er: „Ich wende mich ja gar nicht gegen ihre Thesen. Die teile ich nicht, empfinde sie abstrus und zum Teil als nicht von dieser Welt, aber damit habe ich kein großes Problem. Das fällt unter die Meinungsfreiheit und die hält man aus. Ich finde den Sprachduktus gefährlich und wende mich gegen den Sprachraum, in dem sie sich bewegt. Ich unterstelle ihr, dass sie sich darüber sehr genau bewusst ist, als Schriftstellerin muss sie das.“

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12 Kommentare

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  • W
    Wahlverwandt

    Vielleicht sollte man ihr Thema aufgreifen und diskutieren und sich nicht nur über die total verunglückten Formulierungen ereifern. Diese sind sicher missverständlich und das sollte einer Schriftstellerin nicht passieren, also ein Fauxpas für sie, aber kein Malheur für die Betroffenen, denn sie wissen es besser. Aber das Thema eignet sich für ernste Überlegungen.

  • EM
    ein Mensch

    Ein Mensch

     

    Mir würde es im Moment eher mal danach sein, die Rede im Ganzen zu lesen, als einzelne Sätze, die aus dem Gesamtzusammenhang gerissen sind, dann könnte man eventuell das Ganze beurteilen.

    So kann man nur die Kommentare oder Zitate kommentieren, was aber der Rede eventuell nicht gerecht wird und man wieder zu falschen Mitteln greift, um das "Falsche" zu identifizieren.

  • F
    Fassungslos
  • P
    Petition

    https://www.openpetition.de/petition/online/aberkennung-des-georg-buechner-kulturpreises-fuer-die-autorin-sybille-lewitscharoff-wegen-unwuerdige

    Das Schleudern verbaler Brandsätze sollte ebenso geahndet werden, wie andere Rechtsbrüche.

    Unsozialer geht es kaum noch.

  • 8G
    849 (Profil gelöscht)

    Mich wundert nicht, dass sich die "Anständigen" aus dem Reihenhäuschen schleichen und die moralisch Empörten geben. Und das, obwohl - guten Willen vorausgesetzt - man die Rede als Rede von ihren Ressentiments verstehen muss, über die sie sich und dem Publikum gegenüber Rechenschaft ablegt und keineswegs als Rede davon, wie die Welt zu verstehen oder gar zu ordnen sei.

     

    Das denkt sie nicht, schon gar nicht meint sie es, sondern sie fühlt es und wagt sich, es mit kaum verhohlener Wut zu artikulieren und in ihre Lebensskizze einzuordnen. Als solches könnte diese Rede geradezu exemplarisch für das Bekenntnis sein, dass das Leben mit seinen Zumutungen Wunden in jeder Seele hinterlässt, die man nicht heilt, indem man sie mit betulicher Stangensprachware zudeckt.

     

    Es hätte ihr allerdings klar sein müssen, dass die im Fahrwasser des Zeitgeists selbstzufrieden und sanftlebend dahindümpfelnden "Anständigen", die gierig darauf warten, dass jemand den Kopf zu weit herausstreckt, diese Fährte umso lieber aufnehmen, als sie weder willens noch dazu psychisch in der Lage sind, ihren eigenen Ressentiments in dieser Art - zumal öffentlich - ins Gesicht zu schauen wie die Lewitscharoff.

  • NV
    nicht verwundert

    In einem Interview bei WDR5 anlässlich der Bekanntgabe der Büchnerpreisvergabe sagte Frau Lewitscharoff sinngemäß, sie pflege keinen Umgang mit "Verrückten" weil das nur unglücklich mache. Das ist nicht nur ein Schlag ins Gesicht aller psychisch kranken Menschen, ihrer Angehörigen, Freunde und Ärzte sondern es drückte in der Art wie es gesagt wurde eine tiefe Abscheu gegenüber allem Andersartigen aus. Insofern kommt diese Entgleisung nicht vollkommen überraschend. Die Folgen ihrer Empfehlung dürfte sie nun selbst zu spüren kommen.

  • A
    Annette

    nicht nur dass Lewitscharoff assistierte Befruchtung mit Pränataldiagnostik gleichsetzt. Da redet eine verbitterte, dem Körperlichen absolut entfremdete Wilmersdorfer Schwäbin, die ihre eigene "Urspungskonstruktion", ihr sein als "fragile Mixtur" nicht erträgt, aber dennoch Angst vor dem (Frei)Tod hat! "Halbwesen", die "nicht ganz echt" seien und die sie mit "Geisteskranken" gleichsetzt. Soviel Menschenverachtendes habe ich selten gehört. Und: im Dresdner Publikum waren während der Rede keine Aufschreie, nur Hüsterchen (lt. Internetversion) zu vernehmen.

     

    Ade Schwäbin! Ihre Wilmersdorfer Wohnung nehme ich gerne für mich und mein "Halbwesen", ganz Mensch!

  • Lewitscharoff und Sarrazin in eine Reihe zu stellen, würde der Qualität ihres geschriebenben Wortes nicht gerecht und zudem Sarrazin unangemessen aufwerten. Aber etwas haben beide sehr wohl gemeinsam: Sie bedienen nicht nur die Stammtische, sondern erhalten wohlwollende Zustimmung von Extremisten und Scharfmachern, die aus dumpfer Repression und Verunglimpfung Macht schöpfen und Einfluss gewinnen wollen.

     

    Noch etwas, Frau Lewitscharoff - verschüttete Milch kann man nicht mehr einsammeln.

     

    Es ist ein Rückschritt ins Mittelalter, passt aber momentan leider in die Reihe der zahlreichen unterschiedlichen Versuche, das Rad der Zeit zurückzudrehen. Ich werde künftig keine Buchhandlung mehr betreten, die deren Bücher in ihren Auslagen präsentiert.

    • N
      noeffbaux
      @noevil:

      Ich kenne nur Buchhandlungen, die das ohnehin nicht tun.

      Alles andere sind Frontalpräsentations-Rolltreppen-Resterampen, die man kaum "Buchhandlung" nennen kann.

  • G
    Gastname

    Klerikalfaschistisch? WTF? Die Frau ist evangelisch.

  • MM
    Markus Meister

    Die Art und Weise Sibylle Lewitscharoff ihre Kritik äußert ist widerlich und unmenschlich und zeugt von einem sehr komischen Wertesystem aus längst vergangener Zeit. Jedoch lohnt es schon, auch kritisch über künstliche Befruchtung, Samenspende, Kaiserschnittgeburt ohne medizinische Notwendigkeit etc. nachzudenken und zu diskutieren. Am Ende dieser Entwicklung steht doch nichts Anderes wie die künstliche Erzeugung von scheinbar perfekten Menschen die Ärzte in Absprache mit Eltern sich nach Wunsch zusammen puzzeln können und ggf. sogar Schwangerschaft und Befruchtung völlig "auslagern" können. Das Unperfekte und Fehler die das Leben ansich auch ausmachen, werden zukünftig todgezüchtet werden können. Spätestens dann, werden auch diejenigen in Erklärungsnot kommen, die sich für den natürlichen Weg entscheiden. Leuten die aufgrund von Unfruchtbarkeit oder anderen Lebensumständen zu dieser Hilfe gezwungen sind zu verurteilen ist unmenschlich, die medizinische Industrie dahinter zu attackieren aber zeugt von großer Sorge um das Mensch sein in all seinen Facetten.

  • T
    Tramp

    Lewitscharoffs Ansichten sind nicht meine. Aber legitim. Wie meine auch. Es gibt nicht nur die eine "richtige" Ansicht.