Kleist als wilde Fahrt: Im Lamborghini ins Nichts
Wilde Fahrt in den Nihilismus: Probenbesuch bei Daniel Foerster und der „Familie Schroffenstein“ in Osnabrück.
Das Theater? „Quälerei! Masochismus! Krise!“ Daniel Foerster lächelt ein bisschen, als er das sagt. „Aber ich brauche es! Komisch, oder? Immer wieder!“ Wir sitzen im „Lampenfieber“, dem Kantinenrestaurant des Theaters Osnabrück, und trotz seines Lächelns ist Foerster sehr ernst. In knapp drei Wochen hat er mit Heinrich von Kleists Erstling „Die Familie Schroffenstein“ Premiere, und viel Zeit ist das nicht mehr. Zumal nicht, wenn man Regie führt wie er.
„Es gibt ja Regisseure, die arbeiten aus einer Genieposition heraus“, sagt er. „Die diktieren von Anfang an ihre Vision von oben herab. So bin ich nicht.“ Foerster liebt „die Schwarmintelligenz des Kollektivs“, braucht Spieler, „die eng mit ihren Figuren verwachsen, denen es zum persönlichen Anliegen wird, was wir auf der Bühne verhandeln“.
So zu arbeiten wie er, erfordert viel Vertrauen. Von beiden Seiten. Zumal es in seinem „Schroffenstein“ sehr energetisch zugeht, sehr körperlich. Schweiß bis zur Erschöpfung. Wie das aussieht? Eineinhalb Wochen später stellt er es unter Beweis: Auf einer Abendprobe im Emma-Theater, der kleinen Zweitbühne des Hauses, ein paar Gehminuten vom „Lampenfieber“ entfernt.
Post-Apokalypse und HipHop-Krieg
Premiere: Sa, 6. 4., 19.30 Uhr, Osnabrück, Emma-Theater; weitere Termine: 10., 17., 25. + 30. 4.; 4., 7., 8., 12., 18. + 30. 5.
www.theater-osnabrueck.de/spielplan/spielplandetail.html?stid=554&auid=667555
Auf der Bühne steht etwas, das aussieht wie ein Endzeit-Gefährt aus dem Film „Mad Max“ – ein Provisorium für den gelben Lamborghini, den seine Fahrer später hier zerlegen. „Endlich wieder Krieg, endlich wieder Krieg!“, dröhnt es aus dem Laptop auf dem Regietisch. „Endlich wieder, endlich wieder, endlich wieder Krieg!“: Zugezogen Maskulin, Berliner Hip-Hop-Band. Etwas von „Kämpfen und Siegen“ ist zu hören, etwas wie „von Raketen zerfetzt“. „Lauter!“, brüllt Foerster. „Lauter!“
Farblicht zuckt. Bomben heulen. Eine Windmaschine kommt zum Einsatz, aufgepimpt durch Nebel und Wasser. Im Auto liegen Sturmgewehre. Schreckensschreie gellen auf. Die Darsteller filmen sich selbst, live, mit Hexenmaske, auf der Treppe ins Stockwerk drunter, kriechen dabei fast ins Objektiv. Das riesige Beamer-Bild, das den gesamten Bühnenhintergrund überzieht, ist unscharf, überblendet, verwackelt. Das ist wild.
Manchmal hält es Foerster nicht. Er schießt rein in die Szene, gestikuliert mit, tanzt mit, ruft mit. Manchmal setzt er auch einen Cut. Nimmt die Darsteller zur Seite, einzeln, in Gruppen, erklärt, lange, konzentriert. Sagt Sachen wie: „Ich würd’ gerne mal probieren …“ Und dann startet er die Szene noch mal. Und noch mal. Und noch mal. „Endlich wieder, endlich wieder, endlich wieder Krieg!“ Wieder und wieder und wieder geht es um diesen abgehackten Finger. Und jedes Mal wird die Szene dichter, entschlossener, akzentuierter, härter.
Julius Janosch Schulte trägt Glitzerhemd und wildes Grellhaar wie ein Popstar der 1980er. Philippe Thelen klappt eine Schweißerbrille runter, bevor es auf Verfolgungsfahrt geht. Hannah Walther stöckelt auf schwarzen Lederstiefeln. Katharina Kessler trägt manchmal so was wie einen gestreiften Bademantel.
Rechts und links Kleiderständer mit Klamotten in wilden Haufen. Rechts und links Scheinwerfer auf Rollen. Eine Taschenlampe blendet, rot metallic. Eine dieser mexikanischen Wrestlermasken füllt sich, die immer so foltermäßig aussehen. Marie Senf, die Dramaturgin: „Ist natürlich alles noch nicht das Endergebnis. Schultes Haar zum Beispiel. Das trägt er im Stück gar nicht.“ Und dann geht es weiter. Manchmal liegt eine riesige Stange längs über der Mad-Max-Karre, wie ein Geschützrohr. Philippe Thelen und Hannah Walther haben eine intensive Kuss-Szene. Körperlich? Schweiß bis zur Erschöpfung? Stimmt.
An Kleist fesselt „die Zerissenheit“
Mit dem Theater angefangen hat Foerster in Göttingen. Aber die Zeit, in der er als Statist des dortigen Deutschen Theaters einen Bären gespielt hat, ist lange vorbei. Und auch sein Regiestudium an der Ludwigsburger Akademie für Darstellende Kunst Baden-Württemberg liegt schon lange zurück. Schon damals hat ihn Kleist gefesselt. „Faszinierend, diese seltsame Zerrissenheit der Figuren, die alle nicht wissen, wer und was sie sind.“
Sein „Schroffenstein“, der „mitunter die toxische Männlichkeit und immer wieder die Identitätskrise des Menschen“ verhandelt, ist betont zeitlos, universal verständlich, und dass das Setting ein bisschen an die Fantasywelten der 1980er- und 1990er-Jahre erinnert, die Ästhetik stark an Tarantino, ist dazu kein Widerspruch.
Wer einen jener Klassiker erwartet, die nicht nur nach dem Sinn des Lebens fragen, sondern auch vorgeben, ihn zu finden, muss umdenken. Radikal. Auf Nihilismus. Keine Figur, die nicht innerlich zerrissen ist. Und dass ein Gedanke töten kann, ein Wille, die Missverständlichkeit von Sprache, das sagt Foerster auch.
Karriere mit vielen Stationen
Wer auflisten will, welche Stationen Foerster vor „Schroffenstein“ durchlaufen hat, braucht Zeit. Das Maxim-Gorki-Theater Berlin und das Theater Freiburg stünde auf dieser Liste, das Schauspiel Frankfurt und das Schauspielhaus Graz. Stücke von Henrik Ibsen und Wilhelm Hauff hat er inszeniert, von August Strindberg und Sarah Kane.
Für sein Stück „Tanzen! Tanzen!“ bekam Foerster den Nachwuchspreis des Heidelberger Stückemarktes 2014. Und auch in Osnabrück ist er für „Schroffenstein“ nicht zum ersten Mal: Beim „Spieltriebe“-Festival 2015 hat er hier „Archiv der Erschöpfung“ von Sascha Hargesheimer inszeniert.
Und nach Osnabrück? Was würde Foerster gern mal inszenieren? Vielleicht „Der Löwe im Winter“ von James Goldman. Oder was von Thomas Bernhard oder Thomas Brasch. Aber erst mal ist Kleist dran. Nur wenige Tage noch. Nicht mehr viel Zeit. Vor allem, wenn man so Regie führt wie er.
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