piwik no script img

■ AUS POLNISCHER SICHTKleines Konotop

Die Reise ging nach Westpommern, zu abgelegensten Ecken um Dramburg, wo vor über achtzig Jahren Walter Gropius als Architekt seine ersten Bauten errichtet hat. Der Auftraggeber war zum größten Teil sein Onkel Erich, der zwar von der Land- und offensichtlich im allgemeinen von Wirtschaft nicht allzuviel verstanden, doch durchaus anspruchsvolle Erwartungen hatte, was den Speicher im Gut, die Schmiede, ja kleinere Wirtschaftsgebäude anging. In der märchenhaften Gletscherlandschaft, die sogar von den tüchtigen polnischen LPGs nicht völlig kaputtgemacht worden ist, aber noch weniger Ertrag bringt als in Onkel Erichs Zeiten, stehen die Überreste des damaligen Glanzes. Um zu einem anderen Gut zu kommen, wo Gropius zusammen mit Adolf Mayer mehrere Gebäude entworfen hatte, mußten wir — nach einstimmiger Meinung der Einheimischen — durch das kleine Konotop. Jan-Thomas und Annemarie konnten es erst nicht glauben und dann nicht akzeptieren, daß das Konotop ein Ortsname und kein allgemeiner Begriff sei. Also haben wir daraus einen Begriff geschmiedet: ein Konotop ist klein, wenn im Ortskern ein Ehrenpanzer der ruhmreichen Roten Armee steht, es ist mittelgroß, wenn zwei; drei — nunmehr zumeist als Wegweiser benutzte — ehemalige Denkmäler bedeuten ein großes Konotop.

Hinter dem Speicher, der so baufällig ist, daß er aus Sicherheitsgründen eingezäunt und nicht mehr zu betreten ist, liegt ein wunderbarer, unter polnischen Denkmalschutz gestellter Park. Im Park befindet sich die eigentliche Lösung des Rätsels. Hier werfen die Polen seit Jahren ihren Müll weg, so daß ein verseuchtes (Isotop?) Biotop entstand — kurz: ein Konotop!

In einem kleinen Konotop haben wir ein Gropiussches Landarbeiterhaus gefunden, das erstaunlich gut erhalten geblieben ist. Mit seinen acht Jahrzehnten behielt es sogar die charakteristischen Schornsteine, und fast alle Öffnungen in der Fassade sind unverändert. Um so schockierender, daß von dem prächtigen Gutshaus einige hundert Meter weiter klägliche Mauerreste sich in der letzten Phase des In-sich-Zusammenfallens befinden. Leider ist der Zustand der meisten frühen Bauten Gropius' sehr schlecht. Die polnischen Denkmalschützer sind sich durchaus bewußt, daß man sofort handeln müßte, um wenigstens etwas zu retten. Die Armut dieser Region erlaubt aber keine Hoffnung. Aus der »Metropole« Köslin, geschweige denn aus Warschau kommt kein Groschen: zentral wird in Polen das Geld bestenfalls angesammelt (wenn's klappt), zum Verteilen gibt es nix. Viel existiert nicht mehr, obwohl das sicherlich die beste Bausubstanz war — aus ideologischen Gründen wurden die herrschaftlichen Häuser abgetragen — was sollte man in einem Konotop mit dem Luxus- Gutshaus anfangen? Es störte und wurde beseitigt. Nun steht an dessen Stelle ein Wegweiser-Panzer und hilft, die Straße nach Groß-Konotop zu finden. Piotr Olszowka

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen