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Kleine Documenta in WienMit den Kanarienvögeln flöten

Hinter kalter Sachlichkeit haust die Magie: Die Wiener Secession erlaubt sich mit der von Catherine David kuratierten „Mutatis Mutandis“ eine kleine Documenta.

Suzanne Treisters Zeitungscollagen auf der „Mutatis Mutandis“. Bild: Oliver Ottenschläger

Kassel ist zwar weit weg von Wien, aber derzeit spielt die Wiener Secession mit einem gewissen Kassel-Flair, denn sie konnte die Ex-Documenta-Leiterin Catherine David als Gastkuratorin für eine Sommerausstellung anheuern.

„Mutatis Mutandis“, also „nach Änderung des zu Ändernden“, heißt die Schau, und man kann sich, mutatis mutandis, dann auch ein bisschen wie auf einer Mini-Documenta fühlen, zumindest was die Internationalität, den politischen Anspruch und auch die Disparität der Exponate angeht.

Klein ist die Auswahl der acht KünstlerInnen, schnell anzuschauen ist die Ausstellung trotzdem nicht, denn insgesamt sind mehr als zwei Stunden Filmmaterial dabei. „Thicker Than Paint Thinner“ ist beispielsweise ein 30-minütiger Film des Iraners Babak Afrassiabi über einen Drogenabhängigen, der eher zufällig in die Opposition gegen das Schahregime geriet und zum Mittäter einer Brandstiftung im Abadaner Rex-Kino wurde, bei der 400 Menschen starben.

Afrassiabi lässt in einem kargen Raum einen Schauspieler als Hossein, den Brandstifter, auftreten. Der spricht sein Bekenntnis in einen Kassettenrekorder, schreibt dann wieder das Aufgenommene auf Papier, während daneben in einem Fernseher genau der Film läuft, der damals beim Brand im Rex-Kino gezeigt wurde. Film, Tonband, Schreibblock – die Aufzeichnungsmedien legen sich übereinander, sie verschlingen sich zu einem gebrochenen Ganzen. Doch eigentlich ist es Hosseins Bericht, der zählt, weshalb der Film seinen Sog nur dann entwickelt, wenn man lange genug zuschaut und vor allem zuhört.

Dass Film den Film filmt, ist auch das Prinzip von Louidgi Beltrames „Cinelândia“. Der Franzose lässt seine Kamera endlos um den verlassenen Bungalow des Architekten Oscar Niemeyer im brasilianischen Dschungel von Tijuca kreisen, während aus dem Off Teile eines nie verfilmten Drehbuchs von Michelangelo Antonioni verlesen werden. Natürlich steht in dem futuristischen Bungalow ein auf die Fensterfront gerichteter Filmprojektor.

Projektion der Beltrame-Filme. Bild: Oliver Ottenschläger

Das Fenster wird zur Leinwand, als sei das Draußen nur projiziert. Auch in diesem Werk geht die eigentliche Faszination von den gut gewählten Texten aus. Der immer wiederholte Rhythmus von Tagebucheinträgen „giungla – esterno – giorno“ wirkt zusammen mit der Kamerabewegung wie hypnotisch.

Auch die Werke der Ausstellung, die nicht mit Film arbeiten, reflektieren Medien und das in ihnen verhandelte Wissen. Suzanne Treister verwandelt die Frontseiten von Tageszeitungen in riesige alchemistische Tableaus. In akribischer Feinarbeit zeichnet und schreibt die britische Künstlerin die Frontseiten von Zeitungen oder auch Entwicklungen der Wissenschaftsgeschichte im Muster okkulter Bildarrangements ab. Hinter kalter Sachlichkeit haust immer die Magie.

Wissenschaftsgeschichte, Okkultismus und Militär sind die Komponenten des Treister’-schen Universums. In einer anderen Werkserie („Hexen 2039/Remote Viewing Drawings“) erstellte die Künstlerin unter Zuhilfenahme einer Kristallkugel aus dem Londoner Science Museum hellseherische Skizzen, wieder in einer anderen („War Artists“) kopiert sie Fotografien von Kriegsmalern. Das Militär beschäftigt immer noch Maler, und während die zeichnen, was sie sehen, zeichnet Treister die Fotografie, die zeigt, wie sie zeichnen.

Ein durch und durch persönliches Arrangement

„Mutatis Mutandis“ – die Transformation von Medien ineinander, ihr endloses Vexierspiel, ist ein Motiv, das die Ausstellung durchzieht. Warum allerdings der Kurzführer in intellektualisierender Null-Prosa behauptet, die Ausstellung versammele „eine Reihe von Werken, die die komplexen Beziehungen zwischen aktuellen Geschehnissen, Materialität, Geschichte und Erinnerung ausloten“, muss erst mal jemand erklären.

Die Schau ist ein leichtes, durch und durch persönliches Arrangement. So wie die Installation „Grandi Legendi“ des italienischen Künstlers Andrea Branzi, die dem Hauptraum der Secession eine wunderbar schwebende Leichtigkeit gibt.

Branzi experimentiert mit Design. Auf und an massiven Holzbalken sind Objekte arrangiert, Fundstücke, Bücher, Kisten mit antiken und modernen Bildmotiven. An einen der Holzmasten ist ein grün bemalter Käfig montiert, in dem zwei lebende Kanarienvögel hocken. Der ganze Raum wirkt wie ein pastelliges Blumengemälde, es ist ein Arrangement, in dem selbst zerknickte Plastikflaschen nicht wie Müll aussehen. Muss man wissen, dass die Objekte Unikate sind, dass die Balken aus einem ganz bestimmten Holz gefertigt wurden?

Wenn gerade nichts anderes zu tun ist, schwebt Catherine David in ihren Sommerballerinas zum Vogelkäfig, streckt sich ein wenig und flötet den Kanaris etwas zu.

„Mutatis Mutandis“. Secession Wien. Noch bis zum 2. 9. 2012

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