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■ Klein Dagobert in unsMythos statt Karstadt

Zehn Jahre und sechs Monate soll „Dagobert“ sitzen. Das forderte gestern der Staatsanwalt für den Kaufhauserpresser Arno Funke. Es gelte, Nachahmer abzuschrecken. Anwalt Wolfgang Ziegler, der für eine Haftstrafe im Fünfjahresbereich plädierte, sieht in Funkes Scheitern Abschreckung genug. Einig waren sich beide, daß der Mensch Funke zu einem Mythos gemacht wurde, der er nicht ist.

Ob er will oder nicht, Funke ist ein Mythos. Der introvertierte Angeklagte hat das gemacht, was Menschen wie du und ich aus Angst unterlassen: einmal über den eigenen Schatten springen und alle ergrauten oder von Lösungsmitteln vergifteten Gehirnzellen aktivieren, um den großen Coup zu landen. Fast zwei Jahre spielte er uns im wahren Leben vor, wovon wir nur träumen. Fest entschlossen, nicht dem Sozialamt auf der Tasche zu liegen, sondern in einer ferngesteuerten Tasche die Milliönchen nach Hause zu tragen, legte er sich mit Karstadt an. Letztendlich umsonst. Aber er wird sich später nicht mit dem Vorwurf quälen müssen, es nicht wenigstens versucht zu haben. Wir schon.

Funke verdient nicht nur eine milde Strafe, die ihm Hoffnung für die Zukunft läßt, sondern auch unser aller Hochachtung. Er hat den kleinen Dagobert, der in jedem von uns schlummert, nicht nur wachgekitzelt. Funke hat ihn raus- und auf die reichen Konzerne losgelassen. Obwohl sein und damit auch unser Traum vom großen Geld baden ging, wurde aus dem kleinen Funke ein großer Mythos. Und das soll er bleiben. Wie sonst sollten wir unsere kleinen Feigheiten ertragen? Dafür brauchen wir Mythen. Wer braucht schon Kaufhäuser! Barbara Bollwahn

Prozeßbericht Seite 5

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