Klaus Wowereits neues Buch: Alles andere als sexy
Eine Art Regierungserklärung: Der einstige Regierende Bürgermeister von Berlin quält seine Leser mit eigenlobhudelnden Ergüssen.
Wer Klaus Wowereit ein bisschen kennt, weiß, dass er sich für einen tollen Typen hält. Und ehrlicherweise muss man sagen, dass sich dafür sogar einige Gründe finden lassen. Der inzwischen 64-Jährige war dreizehneinhalb Jahre Regierender Bürgermeister von Berlin; er hat dabei politisch auch mal was gewagt; einige Sätze von ihm sind sprichwörtlich geworden. Genug Grund also, nach vielen Jahren mal wieder ein Buch zu schreiben.
„Sexy, aber nicht mehr so arm: Mein Berlin“ erscheint am morgigen Freitag und hat 256 Seiten. Der Name des Autors ist auf der Titelseite fast dreimal so groß geschrieben wie der Titel des Buchs.
Wer selbst danach noch nicht kapiert hat, dass Klaus Wowereit ziemlich von sich überzeugt ist, dem erzählt er das gleich im ersten Satz des ersten Kapitels. Da heißt es: „Regierender Bürgermeister von Berlin zu sein, das ist ein wunderbarer Beruf.“ Wie viele Stunden mag „Wowi“ darüber nachgedacht haben, ob er das eigentlich völlig überflüssige Komma setzen und einen Relativsatz einbauen soll? Und wie viele Tage darüber, wie er, ohne ein „ich“ zu schreiben, sich in den Himmel loben kann?
Man kann über diesen ersten Satz nachdenken, ihn drehen, wenden, vielleicht sogar rückwärts lesen, und sich überlegen, was denn nun kommen mag. Das sollte man auch. Denn der nächste relevante Satz des Buches folgt auf Seite 204.
Erstmal fragt man sich als Leser fünf zähe Kapitel lang, warum Klaus Wowereit dieses Buch unbedingt schreiben musste. Anstatt anekdotenreich aus seinem Alltag im Roten Rathaus zu erzählen, quält er das Publikum mit teils seitenlangen Aneinanderreihungen von Zahlen, zum Beispiel über die Bevölkerungsentwicklung Berlins in den letzten Jahrhunderten. Daten, die bei Wikipedia oder in Pressemitteilungen der Senatsverwaltungen besser aufgehoben sind.
Schlimmer noch: Wowereit scheinen in den fast dreieinhalb Jahren, seit er im Dezember 2014 sein Amt als Regierender abgegeben hat, jede Form von Wortwitz und politischer Chuzpe abhanden gekommen sein. Ganz im Stil eines Fidel Castro doziert er da vor sich hin, als ob er mal wieder die dringende Sehnsucht verspürt hätte, eine Regierungserklärung abzugeben. Zu irgendwie allem: die Entwicklung der SPD seit dem Krieg und des Wirtschaftsstandorts Berlin, die Länge des U-Bahn-Netzes und das Studentenwerk, kriminelle Clans und die drei Opern der Stadt, deren Erhalt er gesichert habe.
Politisch will sich Klaus Wowereit nicht festlegen, vielleicht auch, weil er keine Schlagzeilen gegen seinen Nachfolger und politischen Ziehsohn Michael Müller (den er nicht ein einziges Mal mit vollem Namen erwähnt) provozieren möchte. Was man gegen Gentrifizierung tun solle? „Ich bin in dieser Frage ehrlich gesagt hin- und hergerissen.“ Sollte man hart gegen Drogendealer vorgehen? „Drogenpolitik ist ein Thema, an dem man sich die Zähne ausbeißen kann. Ich habe das für mich noch nicht abschließend gelöst.“
Klaus Wowereit in seinem neuen Buch
Wem angesichts dessen beim Lesen Zweifel kommen, ob Wowereit in den langen Jahren seiner Regentschaft vielleicht doch keine so erfolgreiche Politik gemacht hat, den beruhigt der Autor regelmäßig: „Ich war dreizehneinhalb Jahre der oberste Repräsentant der Stadt. Und ich glaube, ich habe das ganz gut hinbekommen.“
Sogar gegen die Wohnungsnot habe man alles Mögliche getan: „In Berlin wurde – gerade noch rechtzeitig – entschieden, dass landeseigene Grundstücke nicht mehr nur möglichst gewinnbringend an den Meistbietenden verkauft werden, sondern auch sozialen Zwecken zu dienen haben, zum Beispiel dem Bau von preisgünstigen Wohnungen. So hat es der Senat 2012 beschlossen.“ Und wer war damals Regierender? Genau.
Kein Wort davon, dass seine SPD- und Senatskollegin Ingeborg Junge-Reyer, selbst als der Wohnungsmarkt 2011 merklich leergefegt war, noch ihr und Wowereits Mantra von den angeblich 100.000 leerstehenden Wohnungen in Berlin vertreten hat.
Doch Wowereits Ziel mit diesem Buch ist nicht nur die Schönfärberei seiner politischen Bilanz. Auf der schon angekündigten Seite 204 wird endlich klar, dass er, der gebürtige Lichtenrader, tief in der Seele getroffen ist, weil niemand seine Verdienste angemessen würdigt: „Vielleicht schreibt ja auch mal jemand was Nettes über Berlin.“ Verärgert habe ihn vor allem das stete „süddeutsche Berlin-Bashing“.
Wobei, und da kommt der interessantere Teil des Buches, Wowereit daran seine Mitschuld hat, wie er – notgedrungen – zugibt: „Für die öffentliche Stimmung bleibt der BER die große Lachnummer, Berlin die Stadt, die es nicht gebacken kriegt – und Wowi einer der Hauptschuldigen für das Desaster.“ In Kapitel 6 schreibt der langjährige Aufsichtsratschef der Flughafengesellschaft und Verkünder mehrerer Eröffnungsterminverschiebungen seine Version, wie es zu dem Debakel kam.
Klaus Wowereit: „Sexy, aber nicht mehr so arm: Mein Berlin“. Erscheint am Freitag, 4. Mai, 256 Seiten, 19,95 Euro, Edel Verlag, Hamburg
Und die geht so: Wäre es nach ihm gegangen, wäre der Flughafen gar nicht in Schönefeld, sondern in Sperenberg, weiter südlich von Berlin, gebaut worden („Ich persönlich war immer für Sperenberg“). Aber nur Wowereit war der Weitsichtige, die CDU und selbst die SPD in Brandenburg votierten für Schönefeld. Es folgten viele Irrungen und Wirrungen; irgendwann ist Wowereit Aufsichtsratschef und trifft ab Mitte der 2000er Jahre einige – im Rückblick schwerwiegende – Fehlentscheidungen. Allerdings, wie er betont, im Konsens aller Gesellschafter, also mit Brandenburg und dem Bund zusammen.
Als dann das „für viel Geld installierte Controlling versagt“, ist das Debakel da. Dass Wowereit am 8. Mai 2012 die für Anfang Juni geplante BER-Eröffnung absagen musste, „war der mit Abstand schlimmste Moment meines Berufslebens überhaupt“. Was man ihm damals übrigens auch sofort ansah.
All diese Häme
Letztlich sei „die Katastrophe“ aber – was sonst – eine „unheilvolle Verkettung von vielen kleinen und großen Fehlern, Mängeln und bösen Überraschungen, die sich am Ende summierten“. Schlimmer noch als die Häme ihm gegenüber empfindet er aber offensichtlich, dass der BER seitdem als alleiniges Problem Berlins wahrgenommen werde – obwohl eben auch der Bund und Brandenburg beteiligt sind.
Nun gehen jede politische Karriere und jedes Buch einmal zu Ende. Im Nachwort teilt uns Wowereit noch mit, dass er „bei der Ankündigung, mein Amt aufzugeben, den richtigen Zeitpunkt erwischt“ habe. Viele würden sich ja für unersetzlich halten, er hingegen nicht. Zumindest als Buchautor stimmt das allemal.
Sein letztes Buch „… und das ist auch gut so: Mein Leben für die Politik“ hatte Wowereit 2006 übrigens zusammen mit dem renommierten Journalisten Hajo Schumacher geschrieben. Der stand diesmal wohl nicht zur Verfügung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Künstler Mike Spike Froidl über Punk
„Das Ziellose, das ist doch Punk“
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour