Klatsch-Ikone über "Bunte"-Skandal: "Ein Reporter ist kein Detektiv"
Dies Illustrierte "Bunte" ließ laut einem Medienbericht Politiker bespitzeln. Dies verletze den Ehrenkodex seiner Zunft, sagt Klatschreporter Michael Graeter.
taz: Herr Graeter, überrascht Sie die ganze Aufregung um die angeblichen Recherche-Methoden der "Bunten", die vom "Stern" veröffentlicht wurden?
Michael Graeter: Die Aufregung verstehe ich nicht so ganz, vor allem weil der Stern ja selbst kein Kind von Traurigkeit ist, wenn es um Recherche geht. Wenn man gute Leute hat, braucht man keine Rechercheagenturen.
Der 68-Jährige ist einer der berühmtesten Klatschreporter Deutschlands. Helmut Dietl schuf angelehnt an Graeter die Hauptfigur der Serie "Kir Royal". Graeters Karriere führte ihn von der Münchner Abendzeitung über die Bild zur Bunten zurück zur Abendzeitung.
Ist dann dieses "Recherche-Abwälzen" auf Dritte nur eine Taktik, etwaige rechtliche Konsequenzen zu umgehen?
Nein, so einfach ist es nicht: Ich bin ja als Auftraggeber oder Medium, welches die Geschichte publiziert, trotzdem belangbar. Der Detektiv mag vielleicht Informationen liefern, aber als Auftraggeber bin ich es, der dafür einstehen muss.
Sind Recherche-Praktiken wie Rund-um-die-Uhr-Beschattung oder eine Wohnung gegenüber dem Zielobjekt anmieten gängige Methoden?
Das ist abhängig von der Größe des Namens, ob ich mit der Geschichte einen internationalen Scoop landen kann. In so einem Fall lohnt es sich schon mal, nachts zu lauern oder eine Wohnung gegenüber anzumieten. Das ist aber so, seit es Journalismus gibt, sozusagen ein "back to the roots" in Zeiten, wo nurmehr Einheitsbrei aus Agenturmeldungen abgedruckt wird.
Was sind denn so die verbreiteten Taktiken von Gesellschaftsreportern, um an gute Geschichten zu kommen?
Also, Hinweise aus dem Netzwerk oder Umfeld von Prominenten und Politikern sind das A und O, schließlich ist ein Journalist kein Hellseher. Und ein angedeuteter Flirt von Personen des öffentlichen Lebens ist nun mal der Stoff, aus dem Gesellschaftsträume gewebt sind.
Was hat sich dabei verändert?
Was mir neu erscheint, ist, dass Agenturen zwischengeschaltet werden. Ich traue keiner Detektei. Und die Aktualität der Bilder hat einen höheren Stellenwert, ein Archivbild zu einer brandheißen Story zieht nicht mehr, es muss schon ein Paparazzi-Bild sein, um Leser anzuziehen.
Verletzen die zitierten Praktiken eine Art "Ehrenkodex"?
Sie verletzen den Kodex insofern, als dass ein Reporter nun mal kein Detektiv ist. Wie schaut denn das bitte aus, wenn jetzt von installierten Bewegungsmeldern die Rede ist? Als guter Gesellschaftsreporter muss man das Bewegungsumfeld der Person kennen und eingrenzen können, um zum Beispiel ein entsprechendes Bild von Ernst August mit einer Bella beim Fischrestaurant in Hamburg schießen zu können.
Für Honorare hat die "Bunte" dem Bericht zufolge mehr als 270.000 Euro gezahlt. Ist das ein realistischer Betrag?
Die Preise für derartige Bilder steigen unnatürlich und schamlos, das ist eine Kommerzialisierung von beiden Seiten. Die Promis sind doch bitte bei jeder Fischdoseneröffnung vertreten, und dann flüstert ihnen irgendein Berater ins Ohr, sie sollen die Bilder ihrer Kinder gewinnbringend verkaufen. Warum sehe ich Oliver Pochers Baby nirgends? Da wird einfach abgewartet, bis der Preis steigt.
Wo hört Journalismus auf, wo fängt Bespitzelung an?
Wenn die Enthüllung flächendeckenden Schaden im Umkreis einer Familie anrichtet, das sagt einem schon die gute Erziehung und das Fingerspitzengefühl.
Aber wir sprechen hier von Politikern, deren Affären aufgedeckt werden sollten. Das bedeutet doch Schaden für Familienmitglieder.
Ein Politiker darf sich eben nicht gehen lassen, oder noch besser: Er sollte sich nicht erwischen lassen. Viele Geschichten, die in Journalistenkreisen bekannt sind, werden auch nicht gebracht. Dafür ist man dann zur nächsten Hochzeit eingeladen.
Wo ist denn Ihre Grenze?
Krankheiten, wie Krebs, rauszuposaunen, sind für mich ein klares Tabu.
Wie weit geht die Recherche?
Man muss so weit gehen, dass man keine Ente produziert. Die Schande ist ja nicht die Recherchemethode, sondern eine Unwahrheit oder eine nicht zu belegende Geschichte mit eigenem Namen zu drucken.
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