: Klandestine Welten
ALTMEISTER Fast aus dem Nichts legt John le Carré einen Spannungsaufbau hin: „Spione wie wir“
Es hätte so eine schöne Zeit werden können. Sonne, Strand, Sex und ein bisschen Tennis. Perry und Gail sind aus einem grauen Großbritannien in die Karibik gereist. Aber kaum angekommen im Paradies, läuft der Luxusurlaub aus dem Ruder. Der Russe Dima fordert Perry zum Tennismatch heraus und wenige Seiten später steckt das englischen Pärchen mittendrin in einem Sumpf, in dem sie und ihre Beziehung zu versinken drohen.
Der simple, aber äußerst effektive Trick, den John le Carré, der Altmeister des Spionagethrillers, in seinem neuen Roman anwendet, deutet sich schon im Titel „Verräter wie wir“ an. Er lässt einen Otto Normalverbraucher, einen bis zur Spießigkeit korrekten Literaturdozenten, ohne Umstände in eine so faszinierende wie bedrohliche Welt versinken. Dort warten: russische Gangster-Bruderschaften, britische Politprominenz, zwielichtige Geheimdienstler und, nicht zu vergessen, das böse Finanzkapital. Und aus dem Oxford-Intellektuellen Perry, der Obrigkeiten bislang eher kritisch gegenüberstand, wird ein Möchtegern-Spion, der – registriert seine ebenfalls faszinierte Freundin Gail – plötzlich einen „Ich-bin-England-Blick im Gesicht“ zu tragen versteht und für sein Land begeistert seine Existenz aufs Spiel setzt.
Nach Moral sollte man da nicht fragen. Le Carré macht das, was er immer macht: Er zieht den Leser hinein in klandestine Welten. Aber wie er das macht, ist immer noch einzigartig. Mit geradezu unglaublicher Raffinesse entwickelt le Carré seinen Plot um die beiden Aushilfs-Spione. In homöopathischen Dosen streut er die Informationen, setzt sie wie Akzente und in einem schlafwandlerisch sicheren Rhythmus. Fast aus dem Nichts legt le Carré hier einen Spannungsaufbau hin, wie er eleganter kaum konstruiert werden kann.
Obwohl: Tatsächlich aus dem Nichts entsteht hier natürlich rein gar nichts. Le Carré kann sich verlassen auf die Vorurteilsbildung seiner Leser. Kaum dass ein grober Glatzkopf mit osteuropäischem Akzent die Szene betritt, springen im Kopf unweigerlich die erwartbaren Warnsignale an: Russenmafia!, funken sie grell, Geld! Macht! Gewalt! Und, ja, auch ein bisschen Sex. Nicht, dass le Carré in „Verräter wie wir“ zum ersten Mal die veränderte Welt nach dem Ende der Blockkonfrontation reflektieren würde. In seinen letzten Romanen ging es immer wieder um international operierende Verbrecherringe, um Geldwäsche und Terrorismus. All die schönen Motive, die ihm diese neue Unordnung bietet, verknüpft der ehemalige Geheimdienstler und Diplomat nun zunehmend geschickter mit seinem Kerngeschäft: den Geheimdiensten und der Politik.
Was dort passiert, ist, trotz parlamentarischer Untersuchungsausschüsse, immer noch ein Mysterium. Aber gern glaubt man le Carré, dass es in diesen Zirkeln so zugeht, wie er beschreibt. Denn im Gegensatz zu seinem Kollegen Ian Fleming, dem Erfinder von James Bond, überhöht er seinen Gegenstand nicht zur Karikatur. Auch nahezu ein halbes Jahrhundert nachdem er aus dem Geheimdienst ausgeschieden ist, erweckt le Carré immer noch sehr erfolgreich den Eindruck, sein Darstellung von Arbeit und Alltag der Geheimnishändler sei authentisch.
Tatsächlich hat le Carré, wie man es von ihm gewohnt ist, ausführlich recherchiert und führt in der Danksagung eine beeindruckende Liste an Experten auf, vom Professor für Kriminologie über die Banker bis zum Direktor eines Luxushotels. Man kann also davon ausgehen, dass die Geschichte von Perry, Gail und Dima tatsächlich so oder so ähnlich hätte passieren können – oder eines Tages noch passieren wird. Das sind keine beruhigenden Aussichten, wahrlich nicht. Aber dafür wahnsinnig spannend zu lesen. THOMAS WINKLER
■ John le Carré: „Verräter wie wir“. Aus dem Englischen von Sabine Roth. Ullstein, Berlin 2010, 416 Seiten, 24,95 Euro