■ Repression gegen die legale Kurdenpartei in der Türkei: Klammheimlicher Putsch
Über sechs Monate sind nach den türkischen Nationalwahlen vergangen, ohne daß es zu einer stabilen Regierungskoalition gekommen wäre. Doch diese Regierungskrise ruft kein Machtvakuum hervor. Die Repressionsinstrumente sind intakt. Letzter Akt: Die Zerschlagung der legalen kurdischen „Arbeitspartei des Volkes“ – letztes Asyl für die kurdische Opposition, die im Rahmen des bestehenden Rechtssystems Politik machte. Die Machthaber in Ankara lassen nicht nur Staatsanwälten und knüppelnden Polizisten freien Lauf. Die Todesschwadronen dürfen wieder morden. Jeden Tag kann man im türkischen Fernsehen blutüberströmten Gesichtern sehen – egal ob Frauen, die Auskunft über den Foltertod ihres Ehemanns verlangen, Gewerkschafter, die streiken, oder Kurden, die einen Parteikongreß abhalten. Der Staat läßt jeden Bürger, der aufmuckt, zum Kriminellen erklären. Der „Feind muß zermalmen“ werden – so die Generalsterminologie, die sich bei den Politikern einbürgert hat. Der Staat ruft zum Waffenduell. Dieser Staat braucht die PKK – genauso wie die PKK diesen Staat braucht.
Fragt sich: Wer sind die Machthaber in Ankara? Macht hat weder die provisorisch amtierende Regierung Mesut Yilmaz, noch die von Korruptionsaffären lädierte Tansu Çiller, noch die gewählten Parlamentarier. Die wirkliche Macht liegt in den Händen einer Verschwörerclique, die es sich zum Ziel gesetzt hat, die Türkei in den Abgrund zu führen: Generäle, Staatsanwälte, Polizeichefs und eine Handvoll Politiker als Figuranten. Darum werkelt der mit Blut befleckte ehemalige Polizeichef und jetzige Justizminister Mehmet Agar fleißig weiter – trotz Regierungskrise. Deshalb darf auch die Polizei ungestraft friedliche Menschen halb zu Tode prügeln. Die Verschwörer an der Spitze des Staates treiben jede Art von Opposition in die Illegalität, damit ihre gewaltsame Bekämpfung sichergestellt ist. Sie sind es auch, die um jeden Preis verhindern wollen, daß die islamistische „Wohlfahrtspartei“, die die stärkste Fraktion im Parlament stellt, eine Koalitionsregierung bildet. Klammheimlich regieren die Putschisten – ganz ohne Putsch und ohne Auflösung des wohl überflüssigen Parlaments. Ömer Erzeren
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