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Klage gegen BetreuungsgeldDer Spagat der SPD

Die Sozialdemokraten sind gegen das Betreuungsgeld. Doch SPD-Mann Ralf Kleindiek muss am Dienstag begründen, warum es verfassungskonform ist.

Es wird nun auch um die Frage gehen, ob das Betreuungsbild überkommene Rollenbilder zementiert. Bild: Imago/UIG

BERLIN taz | Schizophrenie oder professionelles Rollenspiel? Am Dienstag muss Familienstaatssekretär Ralf Kleindiek (SPD) am Bundesverfassungsgericht das Betreuungsgeld verteidigen – gegen eine Klage, die er einst selbst vorbereitete. Das Betreuungsgeld war 2012 von der schwarz-gelben Koalition beschlossen worden. Vor allem die CSU hatte diese Sozialleistung für traditionelle Familien durchgesetzt, als Ausgleich für die staatliche Förderung beim Ausbau der Kitas. Dagegen hatte die SPD in ihrem Wahlprogramm 2013 die Abschaffung der „Herdprämie“ gefordert.

Das Angebot gilt für Kinder im zweiten und dritten Lebensjahr. Seit August 2013 erhalten Eltern für Kinder, die keine öffentliche Kita besuchen, monatlich 100 Euro. Ab August 2014 wurde die Leistung auf 150 Euro pro Monat erhöht. Hiergegen erhob im Februar 2013 das SPD-regierte Bundesland Hamburg eine Normenkontrollklage beim Bundesverfassungsgericht.

Eigentlich müsste Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) in Karlsruhe das Gesetz verteidigen. Doch dazu hat sie keine Lust und schickt deshalb ihren Staatssekretär Ralf Kleindiek. Dieser kennt die Klage gut, denn in seiner Zeit als Staatsrat unter Hamburgs Justizsenatorin Jana Schiedek (SPD) hat Kleindiek die Klage selbst betreut.

Aus der Union wurden zwar Zweifel laut, ob der SPD-Mann sich entschieden genug für das Gesetz einsetzen wird. Doch Kleindiek dürfte das Misstrauen sogar recht sein. Denn nun schreiben noch einmal alle Medien, dass die SPD eigentlich gegen das Betreuungsgeld ist. Am Dienstag muss er das dann nicht mehr erwähnen.

Pro-Rede aus Bayern

In Karlsruhe wird es zum einen um die Frage gehen, ob der Bund überhaupt ein Gesetz für das Betreuungsgeld beschließen durfte. Hamburg hatte argumentiert, eine bundeseinheitliche Regelung sei „nicht erforderlich“. Hier kann Kleindiek sicher leichten Herzens die Interessen der Bundesregierung vertreten.

Allerdings werden die Föderalismusprobleme, die den juristischen Schlagabtauch im Vorfeld prägten, in Karlsruhe nicht im Mittelpunkt stehen. Sonst wäre nämlich der Zweite Senat statt des Ersten Senats zuständig gewesen. Es wird nun auch um die heikle Frage gehen, ob das Betreuungsbild überkommene Rollenbilder zementiert und Frauen an den Herd binden will. In der schriftlichen Stellungnahme der Regierung wurde dieser Punkt einfach nicht angesprochen.

Eine entschiedene Pro-Rede für das Betreuungsgeld wird in Karlsruhe aber sicher zu hören sein. Die bayerische Sozialministerin Emilia Müller wird sich an der Verhandlung beteiligen. „Bayern wird für das Betreuungsgeld kämpfen“, erklärte Müller vorab.

Unterdessen nimmt der Bezug von Betreuungsgeld stark zu, weil immer mehr Kinder alt genug sind. Im vierten Quartal 2014 bezogen bundesweit 386.483 Eltern Betreuungsgeld, wie das Statistische Bundesamtes mitteilt. Ein halbes Jahr zuvor waren es erst 224.400.

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1 Kommentar

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  • Wenn überhaupt ist das Betreuungsgeld ein finanzieller Anreiz - kein Zwang -, überkommene Rollenbilder zu leben. Aber auch nicht weniger, als die staatliche Förderung von Kitas für 2-3Jährige ein Anreiz ist, Kinder schon in sehr frühem Alter der Fremdbetreuung zu überlassen. Insofern müsste der Manipulationsvorwurf in beide Richtungen gehen, bzw. die Manipulation als durch die beiderseitige Förderung aufgehoben betrachtet werden.

     

    Es bleibt also die Frage, ob der Staat ein von Teilen(!) der Gesellschaft als rückständig erachtetes Familienbild aus diesem Grund nicht unterstützen soll, sondern Förderung - wenn überhaupt - nur einseitig dem als modern empfundenen Familienbild zuteil wird. Aus meiner Sicht ist das ganz klar eine gesellschaftspolitische Entscheidung durch den Souverän und seine Vertreter, gehört also in die Parlamente. Wer gegen das Betreuungsgeld ist, mag die entsprechenden Mehrheiten organisieren.

     

    Ein verfassungrechtliches Gebot einer einseitigen gesellschaftpolitischen Ausrichtung der Förderung hingegen würde den Gleichstellungsauftrag aus Art. 3 Abs. 2 GG entschieden zu weit treiben und den Schutz der Familie vor staatlichen Eingriffen aushöhlen. Der Wunsch danach ist - für mich - ein klassisches Beispiel für übergriffiges Gutmenschentum, das sich bis in den ureigensten Privatbereich seiner Mitmenschen hinein berechtigt sieht, richtig und falsch zu definieren - und den Staatsapparat dieser (und nur dieser) Definition jenseits aller demokratischen Entscheidungsprozesse verpflichtet sieht. Toleranz geht anders.