Klage gegen Ausreiseverbot: Roter Teppich für Diktator Erdoğan
Eine „Friedensdelegation“ um Hamburgs Linken-Fraktionschefin Cansu Özdemir wurde auf dem Weg nach Kurdistan ausgebremst – das war unrechtmäßig.

Die aus rund 20 Menschen bestehende „Friedensdelegation“ hatte sich am 12. Juni 2021 aus Hamburg auf den Weg gemacht. Ziel sei gewesen, „als Teil einer internationalen Delegation die dort lebende Zivilbevölkerung für eine friedliche Lösung gegen den völkerrechtswidrigen Krieg der Türkei in Südkurdistan zu unterstützen“, so die Initiative Defend Kurdistan.
Für einen „Skandal“ hält Özdemir, was dann am Düsseldorfer Flughafen geschah: „Nach dem Sicherheitscheck sind wir von Bundespolizist:innen eingekesselt worden“, sagte sie der taz. „Auf meinen Einwand, ich sei Abgeordnete, wurde mir gesagt: Das ist ein Befehl von oben.“
Offenbar sei die Reise auf Basis einer „politischen Anordnung“ verhindert worden, um den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan nicht zu verärgern, glaubt Özdemir noch heute: „In diese Anordnung muss das Bundesinnen- oder das Bundesaußenministerium involviert gewesen sein.“
Cansu Özdemir, Die Linke
Mitglieder der Delegation aus Hamburg seien teilweise „vier bis fünf Stunden“ festgehalten worden – und verpassten wie Özdemir selbst ihren Flug. 16 Delegationsmitgliedern untersagte die Bundespolizei außerdem für einen Monat die Ausreise in den Irak. Dokumentiert wurde dies auch mit einem Stempel im Reisepass.
Zur Begründung hieß es, die Delegationsteilnehmer:innen könnten die von der Europäischen Union, nicht aber von den Vereinten Nationen als terroristische Vereinigung eingestufte Arbeiterpartei Kurdistans unterstützen wollen. Konkret bestehe der Verdacht, sie könnten sich der PKK als „menschliche Schutzschilde“ gegen Angriffe des türkischen Militärs zur Verfügung stellen – was nicht nur Özdemir, sondern auch die beiden Klägerinnen vor dem Düsseldorfer Verwaltungsgericht, Ronja H. und Theda O., als „realitätsfern“ zurückwiesen.
Ausreiseverbote sind rechtswidrig
„Ich wollte auf der Reise Öffentlichkeitsarbeit für die Friedensdelegation leisten“, erklärte Ronja H. im Gerichtssaal. „Mit unseren Klagen wollen wir klarmachen, dass wir massive Eingriffe in unsere Grundrechte wie durch diese ‚Ausreiseuntersagungen‘ nicht einfach hinnehmen“, so die Klimaktivistin zur taz – und bekam wie Theda O. Recht: Die Ausreiseverbote seien rechtswidrig, urteilte das Kölner Verwaltungsgericht.
Zwar erlaubt das Passgesetz, Ausreisen zu untersagen, wenn „die innere oder äußere Sicherheit oder sonstige erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährdet“ seien. Dies muss aber mit „Tatsachen“ begründet werden – der bloße Verdacht, als „menschliche Schutzschilde“ fungieren zu wollen, reiche nicht aus. Auch der Hinweis, die PKK rekrutiere gezielt europäische Jugendliche, sei insbesondere mit Blick auf die 2021 bereits 70-jährige Theda O. wertlos.
„Sehr positiv“ sei die Entscheidung, findet Özdemir. Sie konnte nicht klagen, da sie keine formelle Ausreiseuntersagung erhalten hat. Ihre Anzeige wegen Freiheitsberaubung und Nötigung wurde von der Staatsanwaltschaft Düsseldorf abgeschmettert. „Das Urteil macht klar, wie die Bundespolitik dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan unrechtmäßig den roten Teppich ausrollt“, kritisiert die Linke – „und so einen islamistischen Diktator stützt“.
Allerdings: Angewendet wird das Druckmittel der Ausreiseverweigerung von der Bundespolizei noch immer. Erst am 30. Juli wurden am Münchener Flughafen fünf Studierende festgehalten, die an Gedenkveranstaltungen zum zehnten Jahrestag des Genozids an den Jesid:innen im Irak teilnehmen wollten. Auch in diesem Fall sind bereits Klagen angekündigt.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Berlinale-Rückblick
Verleugnung der Gegenwart
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
Nichtwähler*innen
Ohne Stimme