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Kläger, Richter und Henker in einem

US-Präsident Bush will terrorismusverdächtige Ausländer vor geheime Militärgerichte stellen und ihnen die Rechte der Strafprozessordnung verwehren. Liberale und Bürgerrechtsorganisationen laufen gegen die Anordnung des Präsidenten Sturm

von BERND PICKERT

US-Präsident George W. Bush hat am Dienstag angeordnet, alle Gerichtsverfahren gegen Nicht-US-Bürger, die wegen der Unterstützung terroristischer Anschläge auf die USA angeklagt werden, vor Militärgerichten durchzuführen. Ausländische Staatsbürger, die sich irgendwo im Land wegen Terrorismusverdachtes in Haft oder Polizeigewahrsam befänden, seien dem Verteidigungsministerium zu überstellen.

Damit werden zukünftigen Angeklagten wesentliche Rechte verwehrt. Es gibt kein unabhängiges Gericht – die Militärs sind Ankläger, Richter und gegebenenfalls Henker in einem. Um einen Verdächtigen vor Gericht zu bringen, genügt es, dass die Regierung, genauer: der Präsident, ihn für verdächtig hält. Vor dem Militärgericht – einer von der Exekutive zusammengestellten Junta von Offizieren – sind auch Beweise zulässig, die in normalen Prozessen nicht verwandt werden dürften. Zur Verurteilung – auch zu lebenslanger Haft- oder zur Todesstrafe – reicht es, wenn zwei Drittel der Offiziere den Angeklagten für schuldig halten. In normalen Prozessen ist ein einstimmiges Urteil der Jury erforderlich. Eine Berufung ist nicht möglich, lediglich der Präsident selbst oder – wenn Bush das so anordnet – der Verteidigungsminister haben die Möglichkeit, Begnadigungen oder Strafabwandlungen vorzunehmen. Die Gerichtsverhandlungen sind nicht öffentlich und können überall auf der Welt stattfinden, wo US-Militärs aktiv sind – etwa direkt in Afghanistan.

Nachdem die Anordnung des Präsidenten in den USA sofort massive Kritik auslöste, verteidigten am Mittwoch Vizepräsident Dick Cheney und Justizminister John Ashcroft die Anordnung aus dem Weißen Haus. Die Terroristen, sagte Cheney, „verdienen es nicht, als Kriegsgefangene behandelt zu werden. Sie verdienen nicht dieselben Garantien und Sicherheiten wie ein amerikanischer Bürger, der einen normalen Strafprozess durchläuft.“ Während Cheney einerseits versicherte, den Angeklagten werde ein „fairer Prozess“ zuteil werden, sagte er gleichzeitig, die Aburteilung vor Militärgerichten garantiere, „dass wir diese Individuen so behandeln, wie wir glauben, dass sie es verdienen.“ Cheney berief sich auf Präzedenzfälle aus dem Zweiten Weltkrieg.

Justizminister Ashcroft verteidigte die Anordnung mit dem Argument, es gebe überhaupt keinen Grund, einen etwa in Afghanistan gefangenen Al-Qaida-Terroristen erst in die USA zu schaffen, um ihm den Prozess zu machen.

Nun sind allerdings auch diese Ankündigungen nicht geeignet, die Kritik liberaler Kongressabgeordneter und Bürgerrechtsorganisationen verstummen zu lassen. Laura Murphy, Chefin des Washingtoner Büros der American Civil Liberties Union (ACLU), erklärte, der Präsident müsse „rechtfertigen, warum das bestehende Justizsystem keine zeitgerechte Verfolgung der wegen terroristischer Aktivitäten Angeklagten erlaubt. Wenn es eine solche Rechtfertigung nicht gibt, dann ist die Anordnung zutiefst beunruhigend und ein weiteres Anzeichen dafür, dass diese Regierung nicht gewillt ist, sich an die checks and balances zu halten, die für unsere Demokratie so zentral sind.“

Hinter der Anordnung Bushs scheint die Angst zu stehen, ein normaler öffentlicher Gerichtsprozess in den USA gegen Bin Laden oder Mitglieder seiner Organisation könne diesen eine politische Bühne bieten und weitere Anschläge nach sich ziehen. In einem wütenden Kommentar schreibt William Safire gestern in der New York Times, es sei eine Unverschämtheit des Präsidenten, diktatorische Vollmachten zu verlangen, die alle Prinzipien des US-Rechtssystems außer Kraft setzten. Seine Schlussfolgerung: „Die Lösung ist, seine (Bin Ladens) Höhle in sein Grab zu verwandeln. Wenn die fliehenden Taliban seinen Aufenthaltsort verraten, sollten unsere Bomber ihm mit 15.000-Pfund-Daisy-Cutter-Bomben und 5.000-Pfund-Bunkerbrechern Lebewohl sagen.“ Das ist Todesstrafe ganz ohne Gerichtsverfahren. Die USA sind immer für eine Überraschung gut.

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