Kitschkunst: Katzenfrau und Kapitalistenschwein

Der holländische Künstler Paul Reimert sammelt grässliche Nippesfiguren, zerstört sie und bildet daraus Skulpturen. Dabei balancieren seine Werke selbst hart am Rand zum Kitsch.

Kitschkunst mag doch jeder irgendwie Bild: dpa

Aus Paul Reimerts Werkstattregalen quillt das Grauen. Die Metallböden in seinem Atelier am Schlesischen Tor biegen sich unter dem Gewicht von Kaffeetassen in Hündchenform, Stehvasen mit kreischbuntem Blumenmuster und Porzellandamen mit goldenen Sonnenschirmchen.

"Scheußlicher Nippes, nicht wahr?" Der Künstler, der zwischen all den Kulleraugen und Goldborten kantig wirkt, lächelt. Reimert hat eine Mission. Er will das Grauen zurückdrängen, zurechtstutzen, unschädlich machen. Dafür kauft er auf Flohmärkten Nippesgegenstände in großer Menge auf und bearbeitet sie so lange mit Heißklebepistole, Gips und Metall, bis aus dem Kitsch Kunst wird. Die fertigen Keramikcollagen sind noch immer schreibunt, aber haben die Form von Schweinen, Bäumen, oder lebensgroßen Statuen angenommen.

Über schlechten Massengeschmack hat sich der 55-jährige Holländer schon immer geärgert, besonders der Hang vieler Frauen zu unnützen Deko-Objekten nervt ihn. "Süß, lieb, niedlich, ich konnte es irgendwann nicht mehr hören. Vor allem, weil diese industriell gefertigte Dekorationsware so schrecklich einfallslos ist." Statt den Dingern mit dem Vorschlaghammer zu Leibe zu rücken, wählte Reimert die kreative Auseinandersetzung. Um die Produktion der Nippesartikel nicht zusätzlich anzuheizen, verwendet er nur gebrauchte Ware. Keinen kostbaren Rohstoff wie Plastik, sondern schwer recyclebare Keramik, Verpackungs- und Metallabfälle. Vieles bringen ihm Nachbarn, anderes holt er auf Schrottplätzen und Baustellen.

Auch einen sozialen Gedanken verfolgt der Künstler mit seinen Objekten. Leuten, die Geld brauchen, kauft er ihren Nippes ab, um ihn, dekonstruiert und neu zusammengesetzt, als Kunst an reiche Leute zu verkaufen. Viele von Reimerts Stammkunden sind Millionäre oder Milliardäre, seine Objekte schmücken Villen in Gstaad, Anwaltskanzleien oder das Ritz Carlton in Berlin. Vom Verkauf zweier lebensgroßer Figuren kann er ein Jahr lang leben. Dass sein 190 cm hoher "David aus Kreuzberg" aus DDR-Suppenschüsseln und Kätzchen besteht, macht Reimert auch nach 15 Jahren Kitsch-Kunst noch diebische Freude.

Was aber unterscheidet die Flohmarkt-Kätzchen von Reimerts aus bunten Scherben gefertigter "Katzenfrau" mit Kätzchen als Brustwarzen? Warum ist das eine Kitsch, das andere Kunst - und: Hat er selbst vielleicht diese Grenze überschritten?

Der Künstler holt tief Luft, nimmt ein Hündchen mit Kulleraugen in die Hand und doziert: "Kitsch zeichnet sich durch eine liebliche Form aus, ist auf den Durchschnittsgeschmack zugeschnitten und von vornherein auf Verkäuflichkeit getrimmt. Ein Kunstwerk ist ein Unikat, bei dem es in erster Linie um den Schaffensprozess geht." Man hört Reimert den Kunstlehrer noch an, der er war, bevor er sich dem Kitsch widmete.

Als bekennendem Antikonsumisten und Nippeshasser ist Reimert die Weihnachtszeit zuwider. Zum Glück sei seine Frau auch Künstlerin, deshalb sei die gemeinsame Wohnung nippesfrei. Bis auf das eine oder andere Schweinchen.

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