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Kirgisischer Nationalsport mit totem Schaf"Ich habe keine Angst"

In Kirgistan feiert ein zu Sowjetzeiten verbotener Nomaden-Traditionssport ein Comeback. Als Spielgerät dient ein totes Schaf, das nach der Partie verzehrt wird.

Kampf um das tote Schaf: Ein Kok-Boru-Match. Bild: ap

Sportfans im zentralasiatischen Kirgisistan haben einen Traum: Ihr Nationalsport Kok-Boru soll olympisch werden. Der erfolgreiche Spieler Urmat Musaev (22) und sein Betreuer Ruslan Taigashkaeb aus der Hauptstadt Bischkek erklären ihre Faszination für den traditionsreichen Sport.

taz: Herr Taigashkaeb, um was geht es bei Kok-Boru?

Ruslan Taigashkaeb: Zwei Mannschaften mit je vier Spielern treten auf Pferden gegeneinander an. Ziel ist es, ein totes Schaf über die gegnerische Ziellinie zu bringen.

Warum benutzen sie ausgerechnet ein totes Schaf?

Taigashkaeb: Das fragt mich jeder Ausländer. Aber das Tier wird ja vor dem Spiel geschlachtet.

Aber sie könnten doch auch einen Ball nehmen.

Taigashkaeb: Es ist Tradition, dass die Siegermannschaft das Tier bekommt, um es zu essen. Was sollten die Spieler mit einem Ball?

Leiden die Pferde unter der Härte des Spiels?

Taigashkaeb: Die Pferde denken während des Wettkampfes nicht darüber nach, was sie machen. Aber wenn ihre Mannschaft gewonnen hat, spüren sie, dass sie ein Teil des Teams sind.

Wenn Europäer das Spiel anschauen, haben sie Mitleid mit den Tieren und erkennen oft den Reiz nicht.

Taigashkaeb: Das Spiel hat eine unglaubliche Tradition. Seit wann gibt es Fußball? Kok-Boru gibt es seit 1.000 Jahren. Alle unsere Vorfahren, die jahrhundertelang als Nomaden in den Bergen lebten, haben es gespielt. Als Kirgisistan zur Sowjetunion gehörte, hat Moskau Kok-Boru verboten. Aber wir haben auf den Dörfern heimlich weitergespielt.

Und wenn die Polizei es merkte?

Taigashkaeb: Dann musste man ins Gefängnis. Aber das ist nur selten passiert, weil wir zusammengehalten haben. Keiner hat den anderen verraten. Heute ist das Spiel wieder erlaubt, aber es gibt nicht mehr viele Nomaden in Kirgisistan.

Hat sich auch der Nationalsport verändert?

Taigashkaeb: Ja. Früher konnte ein Spiel eine Woche lang dauern und ganze Dörfer traten gegeneinander an. Die Spiele waren hart, manchmal kamen sogar Menschen ums Leben. Seit zehn Jahren haben wir die heute gültigen Regeln. Ein Spiel dauert drei mal 20 Minuten mit je zehn Minuten Pause. Und es ist sicherer geworden.

Was heißt sicherer?

Taigashkaeb: Früher gab es immer wieder Todesfälle, weil fast alles erlaubt war, um an das Schaf zu kommen. Sogar Zuschauer sind ums Leben gekommen. Heute sind die Regeln strenger, man darf Gegner nicht absichtlich verletzen.

Urmat Musaev: Wir tragen eine Uniform, die Arme und Beine vor Schlägen und Tritten schützt, und eine Maske fürs Gesicht. Ich habe keine Angst.

Sie haben eine Narbe am Hals und Striemen an den Armen.

Musaev: Ja, das sind Sachen, die im Eifer des Gefechtes eben passieren. Die Pferde verletzen uns manchmal, ohne es zu merken. Und ich bemerke das auch erst, wenn das Spiel vorbei ist.

Taigashkaeb: Es kommt schon noch vor, dass sich ein Spieler einen Arm oder ein Bein bricht. Aber wir haben jetzt sogar Sanitäter am Spielfeldrand.

Herr Musaev, was war ihr größter Moment als Sportler?

Musaev: Letztes Jahr nach den Landesmeisterschaften hat mich Präsident Kurmanbek Bakijew persönlich geehrt.

Können sie von ihrem Sport leben?

Musaev: Ich verdiene vielleicht 120 Dollar pro Monat, davon kann meine Familie gerade so leben. Aber ich kann bei Wettkämpfen kostenlos essen und habe sogar schon ein Auto spendiert bekommen.

Taigashkaeb: Und bald bekommt er ein Haus.

Was sind ihre Ziele?

Musaev: Kok-Boru ist nur ein Hobby für mich. Ich trainiere schon seit fünf Jahren. Aber eigentlich möchte ich studieren.

Taigashkaeb: Aber für Leute, die studiert haben, gibt es in Kirgisistan keine Arbeit. Ich sage ihm immer, er soll Kok-Boru machen, hier wird er berühmt und kann um Ruhm und Ehre kämpfen. Bei den Landesmeisterschaften schauen 5.000 Menschen zu, außerdem werden die Wettkämpfe im Fernsehen übertragen. Und unser Verbandspräsident möchte jetzt ein Stadion für 10.000 Zuschauer bauen. Man muss sich das mal vorstellen: Vor 15 Jahren war unser Sport noch verboten!

Hat Kirgisistan die besten Kok-Boru-Spieler?

Musaev: Im Sommer habe ich mit einer Landesauswahl bei einem Turnier in Astana mitgespielt. Kasachstan hat gewonnen.

Taigashkaeb: Nächstes Jahr holen wir uns den Cup zurück. Gegen Kasachstan geht es ums Prestige.

INTERVIEW SEBASTIAN BRÄUER

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2 Kommentare

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  • A
    Antonietta

    Warum müssen tote Tiere als "Spielgeräte" dienen ?

    Leider ist es so auch beim Gänsereiten. Es sind respekt- und würdelose Behandlungen der Tierleichen.

  • MH
    maike hellmig

    Ich finde, dass man sich als Leser dieses Artikels fragt, wieso das Schaf am Ende des Spiels noch essbar ist.