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Kirchliches ArbeitsrechtAbmahnungen, Angst und Schikane

Beschäftigte sprechen über die Situation in kirchlichen Unternehmen. Frank Bsirske geißelt sie auf dem Ver.di-Kongress als "vordemokratische Zustände".

Ans Arbeitsrecht gehalten? Paramentenwerkstatt der Diakonie in Neuendettelsau. Bild: dpa

LEIPZIG taz | Als Jörg Bauer zu einer Demonstration für das Streikrecht in kirchlichen Einrichtungen aufrief, brach der Kleinkrieg wieder aus. Der Altenpfleger im diakonischen Wichernstift in Delmenhorst hat die Flugblätter dreimal in den Schaukasten gehängt. Der Arbeitgeber nahm sie immer wieder ab. "Am Ende haben sie den Schaukasten abmontiert."

Der 56-Jährige ist Auseinandersetzungen gewohnt, mit seinen Abmahnungen könne er mittlerweile Wände tapezieren, sagt Bauer, der so gar nicht wirkt wie ein gestandener Arbeitskämpfer. "Ich habe ein gutes Nervenkostüm. Und ein großes Ungerechtigkeitsempfinden."

Als die Altenpfleger vor einiger Zeit zu Sanierungszwecken in eine GmbH ausgegliedert wurden, unterschrieben er und zehn weitere der knapp 100 Mitarbeiter die neuen Verträge nicht. "Die Diakonie sagte, die Löhne sind zu hoch, sie müssen 20 Prozent an den Gehaltskosten einsparen. Da haben wir nicht mitgemacht."

Stattdessen klagten sie - und gewannen. Doch da hatten die anderen aus Angst bereits unterschrieben. Das 13. Monatsgehalt war weg und statt 38,5 mussten sie fortan 40 Stunden arbeiten. Pflegehelfer, die vorher 1.600 Euro brutto erhielten, bekamen nun 150 Euro weniger.

"Große Opferbereitschaft"

Bauer selbst arbeitet noch zu den alten Konditionen. "Das nutzt der Arbeitgeber aus, um uns gegeneinander auszuspielen." Er veröffentlichte die Namen von Bauer und den anderen auf einer Liste der "Sanierungsverweigerer". Anfeindungen aus der Belegschaft waren die Folge.

Dabei verdient auch Bauer nicht üppig. 2.600 Euro bekommt er für seinen Vollzeitjob im gerontopsychiatrischen Bereich. Dort kümmert er sich um Demenzkranke. "Wir haben eine große Opferbereitschaft den alten Menschen gegenüber, die nutzt der Arbeitgeber total aus."

Immerhin brachte die Ausgliederung in die GmbH die Möglichkeit, einen Betriebsrat zu gründen. Bauer wurde Vorsitzender. Die Diakonie sähe es am liebsten, wenn die GmbH in kirchliches Arbeitsrecht rücküberführt würde, denn dann wäre der Betriebsrat hinfällig. "Wir müssten jetzt eigentlich streiken", sagt Bauer, "aber so weit sind wir noch nicht". Dabei wurden bereits neue Sanierungsmaßnahmen angekündigt.

"Ich klage da ja fast auf hohem Niveau", sagt Maike Hecheltjen, als sie Bauer reden hört. Die 39-Jährige hatte sich am Mittwochmorgen vor den 1.000 Delegierten des Ver.di-Kongresses in Rage geredet. "Die Kirchenoberen haben doch keine Ahnung, wie es bei uns zugeht", rief sie und erntete stürmischen Beifall. Jetzt sagt sie, ihr Job als OP-Schwester im evangelischen Krankenhaus in Oldenburg sei gar nicht so schlecht - obwohl sie mit rund 2.500 Euro gut 200 Euro weniger verdient als nach geltenden Tarifverträgen. "Ich habe ein super Team und gute Arbeitszeiten."

Doch dann forderte die Arbeitsrechtliche Kommission, das spezielle Lohngremium in den kirchlichen Einrichtungen, die Arbeitszeiten zu erhöhen und den Krankenpflegehelfern von rund 1.600 Euro brutto fünf bis sechs Prozent wegzunehmen. Sie wollten es den Ärzten und Schwestern zuschlagen. Die Arbeitnehmer in der Kommission brachen die Verhandlungen ab.

"Wir wollen jetzt Tarifverhandlungen für alle, ein Zurück zur Arbeitsrechtlichen Kommission gibt es für uns nicht mehr." Daher werden sie in der nächsten Woche einen dreistündigen Warnstreik ausrufen. Die Zahl der Ver.di-Mitglieder ist bei 600 Beschäftigten im Krankenhaus mittlerweile auf 150 gestiegen.

Mehrere Warnstreiks

Auch in mehreren diakonischen Einrichtungen Niedersachsens und Nordrhein-Westfalens soll es ab nächster Woche Warnstreiks geben. Ver.di will den Druck erhöhen. "Wer sich wie ein ganz normaler Marktteilnehmer verhält, der muss auch die elementaren Grundrechte wie das Streikrecht, Betriebsräte und Tarifverhandlungen achten", sagt Gewerkschaftssekretär Georg Güttner-Mayer.

Ver.di-Chef Frank Bsirske hatte am Mittwoch gefordert: "Schluss mit den vordemokratischen Zuständen bei kirchlichen Wirtschaftsunternehmen." Und er hat die Kirchen an eine unangenehme Wahrheit erinnert: Der Begriff der "Dienstgemeinschaft", mit der die Kirchen das besondere Verhältnis unter ihrem Dach beschreiben, stammt aus der Arbeitsgesetzgebung des Dritten Reichs.

Zwar gehen die Grundgesetzartikel zur kirchlichen Selbstbestimmung auf Gesetze der Weimarer Republik zurück, doch damals seien Streiks unter dem Kirchendach noch möglich gewesen, sagte Bsirske.

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12 Kommentare

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  • L
    Luftikus

    @Bruce:

    "Kirchen sind Tendenzbetriebe - man kann ja auch nicht als NPD- Mitglied Redakteur bei der Süddeutschen werden."

     

    Nicht alles was hinkt, ist ein Vergleich. Es will ja kein Nicht-Kirchenmitglied Bischof werden, sondern lediglich Angestellter in einer Einrichtung, die ja nicht mal von den Kirchen selbst finanziert wird - in "kirchliche" Krankenhäuser, Altenheime u.ä. fließt kein Cent Kirchensteuer, sie finanzieren sich genau wie alle anderen Einrichtungen dieser Art über Pflegesätze usw.

     

    Aber das kirchliche Arbeitsrecht, das wie im Artikel beschrieben kein Streikrecht, keinen Betriebsrat und weitreichende Eingriffe ins Privatleben der Mitarbeiter beinhaltet, soll natürlich trotzdem gelten. Ahja.

     

    Und dass es den Kirchen da nur um reinen Altruismus und Menschenliebe geht, können Sie vielleicht ihrem Meerschweinchen erzählen, aber niemandem, der diesen Artikel gelesen hat. Arbeitszeiterhöhungen, Lohnsenkungen, noch schlechtere Arbeitsbedingungen... das ist knallharter Wettbewerb auf dem Rücken der Arbeitnehmer.

  • D
    Dark_Tigger

    @Bruce

    Also erst mal:

    Atheisten ziehen auch keine eigene Steuer ein.

    Und ich wüsste von keinem großen atheistischem Verein der auch nur ein zehntel der Staatlichen Finanzhilfen bekommt wie die Kirchen.

     

    Und WAS zum geier hat das aus Purem Humanismus Dementzkranke bespaßen mit diesem Artikel zu tun?

     

    Ach ja das man das in kirchlichen Einrichtungen tun muss. Weil bezahlt wird man ja nicht ordentlich....

  • L
    Leidkultur

    @von upupintothebluesky:

     

    Ablehnen kann man kaum ein Angebot der Arge. Aber Sie können- wenn Sie Mitglied der Kirche sind- austreten oder gar nicht erst eintreten- wenn Sie kein Mitgleid sind, denn als Nichtkirchenmitglied nimmt die Kirche Sie in der Regel nicht. Dann sind Sie raus aus der Nummer. Die Arge darf Sie nicht zwingen, der Kirche beizutretetn. Religionsfreiheit hat auch gute Seiten :-)

  • WB
    Wolfgang Banse

    es ist nicht alles kirche was sich Kirche nennt

    Die Kirchen führen ei Sonderstatus,was ihr Arbeitgebertum anbetrifft.Was für andere Arbeitgeber zutrifft,trifft auf den Arbeitgeber Kirche nicht zu.Unter vor gehaltener Hand sprechen kirchliche Arbeitnehmer folgendes:Man muss schon wissen für wen man arbeitet als dienstherrn,Nicht immer ist der Arbeitgeber sozial ausgewogen.Als Arbeitgeber Kirche nimm sie keie Vorbildsfunktion ein,was die Beschäftigung vo gehandicapten Arbeitnehmern betrifft.Bevor die Kirchen immer moralisch den Finger heben,solltn sie erst einmal bei sich nachsehen,ob alles was hier geschieht mit JESUS CHRISTUS auf den die Kirchen sich berufen im Einklang zu bringen ist.

  • M
    Machtapparat

    Ich habe über Jahre 60 Stunden und mehr pro Woche für ein kirchliches Unternehmen gearbeitet. Dann wurde ich krank. Heute bin ich schwerbehindert. Da hat man mich entlassen. Jetzt kann ich zur "Tafel" gehen, damit ich was zu essen habe.

    Ich habe mich also erst für die Kirche kaputt gearbeitet und nun können sie auch noch medienwirksam behaupten, sie seien "sozial", weil sie arme Menschen, deren Armut sie selbst geschaffen haben, mit Essen versorgen.

    Paradox. Absurd. Irrsinnig. Krank.

    Das ist Deutschland und das ist die Kirche.

    Mein Wunsch: Tretet alle aus und macht sie kaputt!

  • B
    Bruce

    Gerade Bsirske muss sich aufregen!

    Jeder weiß, dass die Arbeitsbedingungen bei der Gewerkschaft auch nicht rosig sind und eben solche Missstände bei ver.di an der Tagesordnung sind.

     

    Dafür lässt sich Bsirske im A8 herumchauffieren...

     

     

    Kirchen sind Tendenzbetriebe - man kann ja auch nicht als NPD- Mitglied Redakteur bei der Süddeutschen werden.

     

    Ich freue mich schon auf die Zeiten, in denen atheistische Hilfswerke für Alte, Kranke und Behinderte wie Pilze aus dem Boden schießen und Atheisten und Religionshasser voller Humanismus Exkremente beseitigen und Demenzkranke bespaßen - aus reinem Humanismus natürlich!

  • H
    Helene

    @ upupintothebluesky: Ob ein arbeitsloser Hartz-IV-Empfänger ein Arbeitsangebot von einem kirchlichen Unternehmen ablehnen darf, wenn er noch in der betreffenden Kirche ist, da kenne ich mich auch nicht aus.

     

    Aber er kann ja austreten. Dann ist er vor Arbeitsangeboten von kirchlichen Unternehmen ziemlich sicher. Viele kirchliche Unternehmen wollen keine Nicht-Kirchenmitglieder einstellen, und erst recht keine Nicht-mehr-Kirchenmitglieder. Wer nicht bei Unternehmen mit dieser diskriminierenden Einstellungspraxis arbeiten will, der kann sie so mit ihren eigenen Waffen schlagen... ;-)

  • D
    docvonstock

    @ upupintothebluesky:

     

    nein, der Hartz IV-Empfänger, wie auch ein Bezieher von ALG I darf den Job nicht ablehnen, ohne dass er Sanktionen in Kauf nehmen muss. Wenn es sich um eine katholische Einrichtung handelt, bei der Man(n) partout nicht arbeiten möchte, so kann eine offene homosexuelle Orientierung vor der Einstellung schützen. Bei weiblichen Arbeitssuchenden zieht noch immer die frühere Scheidung einer kirchlich geschlossenen Ehe.

     

    Die evangelische Kirche ist da robuster. Dort ist dann mehr Phantasie gefragt. Aber das Arbeiten in der Kirche ist immer noch angenehmer als die Maloche als Call-Center-Agent bei "Tickdumm" im Kohlenpott. Wenn einen das Arbeitsamt dorthin vermitteln will, muss man den leidenschaftlichen Gewerkschafter heraus hängen lassen. Das hilft bei solchen Sklaventreibern immer.

  • JK
    Juergen K.

    Christliche Leidkultur.

  • O
    Odysseus

    Die Kirche soll endlich klar offen legen, wie viel Gelder sie vom Staat erhält und wie wenig sie eigentlich selbst bezahlt. Es ist eine Frechheit, wie sich diese Institution aufführt, wer sich scheiden lässt oder (welch Sünde!!) homosexuelle ist, dem kann einfach gekündigt werden. Die Methoden sind nicht "vor-demokratisch" das ist absolut euphemistisch ausgedrückt. Die Kirche ist absolut und diktatorisch. Und hier kann keiner mit dem Argument kommen "jeder weiß auf was er sich einlässt, wenn er bei der Kirche arbeitet". Wer einen Job braucht, der nimmt denjenigen den er bekommen kann, abgesehen davon sind die Kirchen im Pflegesektor stark vertreten, zwar nicht mit ihrem Geld aber mit ihrer Pseudomoral. Der Staat sollte die Bezüge streichen oder die Kirche sollte nach geltendem Recht arbeiten. Ich kann mich nur dem Beitrag von Weinberg anschließen, die Kirchenaustritte lassen auch mich hoffen.

  • U
    upupintothebluesky

    Kann ein arbeitsloser Hartz-IV-Empfänger ein Arbeitsangebot eines kirchlichen Unternehmens durch die Arbeitsvermittlung ablehnen?

    Gilt das kirchliche Arbeitsrecht als zumutbar für den Arbeitslosen?

    Wer kennt sich hier aus?

  • W
    Weinberg

    Das Arbeitsrecht der religiösen Vereine (Kirchen usw.) orientiert sich streng an den Grundsätzen der „christlichen Nächstenliebe“.

     

    Der Leitspruch der dieser Nächstenliebe verpflichteten ach so christlichen Arbeitgeber lautet: „Nehmen ist seliger denn geben“.

     

    Es ist dringend erfoderlich, dass dieser relgiöse Sumpf in der allernächsten Zeit trocken gelegt wird. Die Kirchenaustrittszahlen stimmen mich hoffnungsvoll!