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■ Kirchentage: Auf dem Leipziger Markt der MöglichkeitenIn Mexiko brennt noch Licht

Der Pavillon sah von außen harmlos aus. Jutewände, die am Messeboden festgezurrt waren. Drinnen – Dunkelheit. Eine Meditationsstätte vielleicht? Grübeln zu koreanischen Klostergesängen? Bioenergetische Massagen im Geiste der Evangelien – warm und schmiegig? Man weiß es ja oft nicht, was einen auf dem „Markt der Möglichkeiten“ erwartet, vorerst nur, daß nirgendwo geraucht werden darf, „damit unsere Lungen rein bleiben“, wie mir versichert wird, obwohl in der Bibel nirgends etwas gegen das Qualmen steht. Dafür um so mehr spirituelle Rauchzeichen... Aber man will ja nicht streiten.

Der „Markt der Möglichkeiten“ bildet das eigentliche Zentrum evangelischer Kirchentage: Hunderte von Ständen, thematisch bunter zusammengewürfelt als jeder Rummel, anspruchsvoller zudem als alle Parteitage der Grünen zusammen. Ob nun die Bundeswehr mit jungen Feldwebeln der Initiative „Bundeswehr ohne Armee“ freundlich schulterklopfend beim Aufbau ihres Standes helfen, ob der Evangelische Frauenkreis aus Calw zugunsten einer nigerianischen Fraueninitiative Kuchen bereithält („Mit Rosinen? Hahaha. Gern, esse ich auch am liebsten. Hahaha“) oder ein Männerkreis aus Niebüll Kaffee zum „Solipreis“ ausschenkt, auf daß „auch in Mexiko ein Licht brennt“: Nein, niemand mäkelt, ätzt, lästert. Alle zeigen Interesse an allem.

Rohheiten sind verpönt. Menschen lassen sich an einem Stand in kreischend bunte Tücher hüllen, die Aktion heißt: „Saris wickeln – leicht gemacht.“ Dicke und dünne, männliche und weibliche: Was für ein Gejuchze und Gekicher, als ein besonders beleibter Mann in seinem neuen Look plötzlich zu tänzeln anfängt. Kurzum: Man streichelt sich, rempelt kaum in den engen Gängen und wünscht sich stets einen „gesegneten Abend“. Auch die Evangelikale, die Traktate verteilt, in denen die Hölle jenen versprochen wird, die solche Sünden wie Sex, Homosexualität und Onanie begehen, wird mild behandelt. Man könnte diese Veranstaltung also für eine klassische Form einer Art Bullerbü-Psychiatrie halten, aber damit kommt man auch nicht weiter: Es ist schließlich alles so ernst gemeint!

Und dann dieser schwarze Kasten. Rüde schubst mich einer plötzlich in dieses Verlies, schließt die Stofftür und vertäut die Schloßseile – draußen, wo es hell ist. Nichts ist in dem Raum, gar nichts. Kein Bänkchen, kein Tee und keine weichen Hände. Teppich liegt auch keiner aus.

Ungemütlich, ja, leider. „Darf ich bitte wieder raus?“ Keine Antwort. Nach zwei Minuten – außerhalb plaudern offenbar gerade zwei Mädchen über ihre verstimmten Blockflöten – beginne ich süßlich zu drängeln: „Könnte ich jetzt bitte raus?“ Dreißig Sekunden später: „Nein?“ Ungehaltener nun: „Weshalb nicht?“ Keine Reaktion. Wütend dann: „Ich reiß' hier gleich die Wände ein...“ Provozierend: „Versuch's doch.“ Es klappt nicht. Dann die Mahnung, der Gag sozusagen: „Jetzt fühlst du mal, wie es dir ginge, wenn du schwarz wärest und in Afrika in den Kerker geworfen würdest.“ Hat Gott das gewollt?

Vielleicht. Ein bärtige Mann, mein Kerkermeister, schenkt mir am Schluß noch ein geflochtenes Kreuz aus hellem Ton, darin eingebrannt eine Jesusfigur, die bitter guckt. Auf dem Gang herrscht derweil Aufruhr. Nicht der Klimaprozession wegen, die andernorts durch die Hallen mit versteinerten Mienen schleicht. Nein, es ist ein Mann im Schlafanzug und mit irrem Blick, der um Aufmerksamkeit heischt. Er schiebt ein Krankenhausbett vor sich her. Da drohen die eng angeordneten Buden zusammenzukrachen. Die Polizei wollte ihn Stunden zuvor schon einsperren, weil man ihn für einen entlaufenen und verwirrten Patienten gehalten habe. Er aber sagt: „Ich bin hier, um uns zu zeigen, daß es nicht nur schöne Menschen gibt, sondern auch Bettlägerige und Beladene.“ Max Schobel

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