Kinotipp der Woche: Die Levi-Sphäre

Sie ist eine Filmemacherin mit unerschütterlicher politischer Haltung. Nun widmet das Arsenal3 Angelika Levi eine Werkschau mit Schwerpunkt Frühwerk.

Zwei Frauen schauen in den Himmel, über ihnen fliegt direkt ein Flugzeug

Zu sehen in der Angelika Levi-Werkschau: „Auf Geht's! Aber Wohin?“ (1989) Foto: Angelika Levi / Arsenal

Eine genetisch modifizierte Kartoffel flieht mit Freunden, die sich in den Tiefen eines niedersächsischen atomaren Endlagers ein Zuhause eingerichtet haben, in die Anden. Übergroße Trivialität kann man Angelika Levis Animationsfilm „Desireé und Polylepis“ von 1995 ebenso wenig vorwerfen wie eine übermäßig stringente Handlung. Doch auch dieser eher unbekanntere Film Levis ist ein gutes Beispiel für das Talent der Regisseurin, Themen der Zeit in einen atmosphärisch stimmigen Film zu integrieren und politisch zu sein, ohne den Humor zu verlieren. Nun präsentiert das Berliner Arsenal eine Auswahl der Filme Angelika Levis im hauseigenen Streamingangebot Arsenal 3. Im Zentrum der Auswahl steht Levis Frühwerk, entstanden bis Mitte der 1990er Jahre.

„Auf geht’s! Aber wohin?“ von 1989 verschränkt die Fernsucht zweier Slackerinnen mit einer vagen RAF-Story im West-Berlin der späten 1980er Jahre. Die Anregungen für die Farbwahl beim Streichen der Wohnung stammen aus einem Buch mit dem Titel „Krebs Gifte“, die Entscheidungen fallen spontan.

Unter allen Protagonistinnen wirkt die RAF-Frau wie die einzige, die wirklich einen Plan hat, was sie tut. Alle wollen irgendwie weg oder etwas tun, wenn da bloß die Widernisse des Alltags nicht wären. „Auf geht’s! Aber wohin!“ ist einer der schönsten subkulturellen Berlinfilme der 1980er Jahre. Drei Jahre später, 1992, entstand der Science-Fiction-Film „Das kleine Objekt a“.

Levi studierte ab 1985 an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin und arbeitete danach weiter als unabhängige Filmemacherin. Ab 1996 entsteht der erste Langfilm „Mein Leben – Teil 2“, eine komplexe autobiographische Collage, die jüngst für die Arsenal-Reihe Assembly #1 digital restauriert wurde.

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Werkschau Angelika Levi noch bis zum 31.10.2021 auf arsenal3

Was Mieter_innen zusammenhält

Ab Anfang der 2010er Jahre greift Levi die Mieter_innenproteste am Kottbusser Tor auf. Zunächst auf eigene Faust gemeinsam mit Gülây Akın und Brigitta Kuster, später in „Miete essen Seele auf“ koproduziert von ZDF/Arte. Der Film zeigt das Leben der Protestierenden, die Kontakte zwischen den verschiedenen Gruppen von Mieter_innen, die im Zuge der gemeinsamen Proteste entstehen. Zu Beginn greift der Film kurz zurück in die Mietproteste der 1970er, 1980er Jahre, bleibt dann aber in der Gegenwart und zeigt die verschiedenen Ebenen der gemeinsamen Arbeit.

Levis neuster Film „Ahorita Frames“ ist ein kritischer Beitrag zu den Gedenkfeiern zum 20. Jahrestag der Anschläge auf das World Trade Center. Der Film greift die Arbeit von Einwanderinnen aus Südamerika bei der Beseitigung von Asbest aus den Häusern rund um Ground Zero nach den Anschlägen auf. Er beginnt mit Jon Stewarts Auftritt vor dem US-Kongress angesichts der mangelnden Unterstützung der Ersthelfer_innen aus den USA.

Dann rekonstruiert Levi die Arbeit der Einwanderinnen an einem Grenzübergang in Tijuana. Die Frauen erinnern sich an Details der Arbeit: die Farbe der Schutzmasken, die darauf hinweist, dass diese nutzlos sind, die Trompete, die nach jedem Fund einer Leiche in den Trümmern der Gebäude erklingt. Auch hier findet Levi Szenen, in denen die Frauen beim gemeinsamen Entspannen und Scherzen zu sehen sind, die die Frauen nicht bloß als Opfer des Umgangs mit ihnen zeigen, sondern sie als Menschen sichtbar werden lassen.

Jeder einzelne von Angelika Levis Filmen ist immer aufs Neue ein kleines Wagnis. Nicht alles an den Filmen ist uneingeschränkt gelungen, aber in den Momenten, in denen das Wagnis gelingt, sind die Filme dafür umso beglückender. In jenen Momenten, in denen das Wagnis nicht ganz aufgeht, werden die Filme getragen von Levis unerschütterlicher politischer Haltung – das allein ist schon mehr als die meisten Regisseur_innen in Deutschland von sich sagen können.

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